Die Internet-Telefonie beschäftigt mittlerweile auch die Berliner Politik: Wieviele Anbieter es denn in Deutschland gebe, wollte die CDU/CSU-Fraktion in einer kleinen Anfrage unlängst wissen. Die Antwort der Regierung: Im vergangenen Jahr waren es 15 – Tendenz steigend. In der vergangenen Woche präzisierte das Wirtschaftsministerium: „Bis 2020 wird die Internet-Telefonie das klassische Telefonnetz vollständig ersetzt haben.“ Schon 2010 werde die Technik „Voice over Internet Protocol“ (VoIP) in fast jedem dritten Privathaushalt genutzt, bei den Firmen seien Zahlen um die 45 bis 60 Prozent realistisch.
Voice over IP wird zum Megatrend: „Die Verschmelzung von Daten und Sprache über das Internet-Protokoll verändert die Kommunikationswelt von Unternehmen und Privatkunden nachhaltiger als der Siegeszug der Faxgeräte oder DVD-Rekorder“, sagt Helmut Reisinger, Geschäftsführer des Stuttgarter IT-Dienstleisters Nextira-One. Seine Firma hat gerade der Universität Stuttgart eine IP-Telefonie-Anlage installiert. 6 700 Telefone in den mehr als 120 Gebäuden der Uni sind so genannte IP-Telefone. Langfristig solle die Anlage die Kosten senken und die Arbeitsabläufe vereinfachen. Denn alle Kommunikationsmittel wie Fax, Anrufbeantworter, SMS und E-Mail werden nach Vorstellungen der Stuttgarter in Zukunft auf einem Apparat enden. Reisinger sieht Vorteile in neuen Anwendungen und benutzerfreundlichen Kommunikationsterminals.
Vor wenigen Jahren galt IP-Telefonie noch als exotisches Spielzeug für Internet-Fans, die gerne mit Headset vor dem Monitor hocken, um ein paar Cent zu sparen. Die Qualität der Sprachverbindungen war noch lange nicht auf dem Niveau von Festnetz-Gesprächen. Es ist erst knapp elf Jahre her, dass überhaupt der erste Versuch unternommen wurde, über Internet ein Gespräch zu führen.
Die technische Entwicklung in den letzten Jahren hat die Qualität der Sprachverbindungen gewaltig nach vorn gebracht. „Voice over IP ist heute mindestens genauso gut wie ISDN“, meint Wolfgang Essig, Deutschland-Chef des Telekommunikationsanbieters Colt Telecom. Berücksichtige man auch den Komfort und die neuen Möglichkeiten, sei die Internet-Telefonie sogar überlegen. „Das Interesse in Unternehmen nimmt dynamisch zu“, ergänzt Essig und verweist auf Studien, nach denen schon jetzt in 25 Prozent der Großunternehmen Voice-over-IP-Technologie im Einsatz ist. Weitere 40 Prozent haben sich immerhin bereits damit beschäftigt.
Auch das Marktforschungsunternehmen Ovum glaubt an ein kräftiges Wachstum der IP-Telefonie und prognostiziert für Europa bis 2008 einen Anstieg des Marktvolumens für netzwerkbasierte IP-Telefoniedienste auf 1,4 Milliarden Dollar. Die Bundesregierung erwartet Produkt- und Prozessinnovationen in der IP-Telefonie, die den Nutzen der Kunden und damit die Nachfrage steigern werden. Zudem taxiert die Regierung das Kostensenkungspotenzial in den Firmen auf 30 Prozent.
Colt-Chef Essig verweist darauf, dass es nicht nur um geringere Gesprächskosten gehe. Unternehmen müssten seiner Ansicht nach die Gesamtkosten im Auge behalten. Und da könne Voice over IP erst recht seine Überlegenheit ausspielen. Beispielsweise entfalle die Administration der alten Telefonanlage, und die neue lasse sich für alle autorisierten Personen immer und überall im Internet programmieren. Im Durchschnitt schätzt Essig die Einsparungen durch den Übergang auf die IP-basierte Telefonie auf 20 Prozent. „Im Einzelfall können es aber auch bis zu 40 Prozent sein“, so Essig.
Die Einsparungen sind tendenziell höher, wenn Unternehmen einen radikalen Schnitt vollziehen. Zwar gibt es die Möglichkeit, die komplette bestehende Infrastruktur aus Telefonanlage und Telefonen mit Hilfe von Adaptern auch im Voice-over-IP-Zeitalter weiterzunutzen. Doch in diesem Fall bestehen die Einsparungen tatsächlich nur aus geringeren Gesprächskosten. Die möglichen Vereinfachungen in der Administration blieben ungenutzt.
Zu den Vorteilenfür Firmenkunden gehört, dass jeder Mitarbeiter über eine einzige Telefonnummer erreichbar ist; egal ob er an seinem eigenen Schreibtisch arbeitet oder für eine Woche eine Niederlassung besucht. Sobald er sich über den PC am jeweiligen Schreibtisch registriert hat, erreichen ihn auch seine Telefonanrufe am aktuellen Ort – ebenso wie die E-Mails.
Das Thema Unified Messaging erhält so eine neue Aktualität. Bedient wird das Telefon der Zukunft über den PC. Services wie Anrufweiterleitung oder Konferenzschaltungen werden über ein webbasiertes Management-Programm eingerichtet. Die Administration beim Umzug von einzelnen Mitarbeitern oder ganzen Abteilungen sowie bei neu eingestellten oder ausgeschiedenen Kollegen kann im Prinzip jeder Mitarbeiter auch selbst über das Web vornehmen. Die Telefonanlage hängt virtuell im Netz.
Das genau ist aber auch ein potenzieller Nachteil: Mit der zunehmenden Penetration in Unternehmen wächst die Furcht vor Anschlägen von Computer-Kriminellen auf Firmen-Telefonanlagen. Im Prinzip sind Denial-of-Service-Attacken – massenhafte Anfragen an den Server einer Website, die ihn zusammenbrechen lassen – auch auf IP-Telefonanlagen denkbar. Kosten durch Spam über Internet-Telefonie – kurz Spit – ist eine weitere Sorge.
„Fast alle Unternehmen, die VoIP in Erwägung ziehen, haben Bedenken hinsichtlich der Sicherheit, Qualität und Infrastruktur“, räumt Essig ein. Auf dem aktuellen Stand der Technik bestehe aber kein Anlass mehr dazu, ergänzt er. Sonst hätte wohl auch das österreichische Außenministerium kaum auf IP-Telefonie umgestellt. Auf Basis des Internet-Protokolls hat Wien weltweit 111 Außenstellen des Ministeriums in eine neue Telefonanlage integriert.
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