Der Physiker Claus Zimmermann hat mit seiner Arbeitsgruppe ein so genanntes Bose-Einstein-Kondensat an der Oberfläche eines Mikrochips erzeugt und damit erstmals einen „Atomchip“ realisiert. Mit diesem Durchbruch werden die Kondensate auch technisch nutzbar, erklärte die Universität Tübingen, an der Zimmermann lehrt.
Bei minus 200 Grad Celsius tritt das Phänomen der Supraleitung auf: Manche Metalle setzen dem elektrischen Strom in der Kälte keinen Widerstand mehr entgegen. Zu den Effekten, die nur unter solch extremen Bedingungen zu erzeugen sind, gehört auch das so genannte Bose-Einstein-Kondensat. Die Materie befindet sich dabei, millionstel Grad Celsius über dem absoluten Nullpunkt, in einem ungewöhnlichen Zustand, der mit den bekannten Begriffen fest, flüssig oder gasförmig nicht zu beschreiben ist.
Zimmermann, Jozsef Fortagh und Herwig Ott vom Physikalischen Institut haben bei ihren Experimenten eine Methode entwickelt, mit der sie ein Bose-Einstein-Kondensat mit einem Mikrochip verbinden können. Von der neuen Technologie versprechen sich die Physiker Fortschritte in der Grundlagenforschung, aber auch neue Möglichkeiten für die Herstellung von Kraftdetektoren und Ansatzpunkte für die Verwirklichung des Quantencomputers.
Eins der schwierigsten Probleme, ein Bose-Einstein-Kondensat zu erzeugen, sind die sehr tiefen Temperaturen. „Natürlicherweise gibt es diese Bedingungen nirgends auf der Erde, das ist auch kälter als das Weltall“, erklärt Zimmermann. Die Materie muss sehr stark gekühlt werden und zieht sich dabei zusammen. Die Tübinger verwenden bei ihren Forschungen Rubidium, ein silberglänzendes, sehr weiches Alkalimetall, das bei Raumtemperatur zähflüssig ist, ähnlich wie Quecksilber.
Die tiefen Temperaturen erreichen die Tübinger über Kühlung des Rubidiums mit Laserlicht und in einem zweiten Schritt durch Verdampfungskühlung. Bei der Abkühlung auf Temperaturen dicht am absoluten Nullpunkt werden die Rubidiumatome zu kleinen Wolken mit bis zu 50 Millionen Atomen, einem winzigen Tröpfchen von der Größe eines Haardurchmessers. „In diesem Zustand halten wir die Atome durch Magnetfelder schwebend und berührungslos fest und isolieren sie in einer Art Thermoskanne“, beschreibt Zimmermann. Das Tröpfchen kann einige Sekunden in diesem Zustand, als Bose-Einstein-Kondensat, gehalten werden – lang genug für die Experimente der Physiker, die nur Bruchteile von Sekunden dauern.
„Die Besonderheit des Bose-Einstein-Kondensats ist, dass diese Tröpfchen eine ganz neue Materieform darstellen“, sagt Jozsef Fortagh. Und Zimmermann setzt hinzu: „Die Atome in dem Tröpfchen verhalten sich alle gleich, wie Soldaten, die im Gleichschritt marschieren.“ Das Rubidium gewinnt Eigenschaften, die es im festen, flüssigen oder gasförmigen Zustand nicht hat.
Der technologische Durchbruch gelang den Tübingern, als sie das Bose-Einstein-Kondensat über der Oberfläche von einem Keramikchip herstellen und die Materie in Leiterbahnen auf dem Chip, lange feine Kanälchen, einfüllen konnten. Die extrem dünnen Kanäle werden durch winzige, stromdurchflossene Mikroleiter an der Oberfläche eines Keramikplättchens erzeugt. „Auf dem Chip kann man das Tröpfchen strukturieren, trennen und zusammenführen und dadurch für verschiedene Anwendungen beim Speichern oder Übertragen von Informationen nutzbar machen“, erklärt Zimmermann.
Im Chip bilden Atome die Informationseinheiten und nicht – wie bei herkömmlichen Computern – Bits mit der „Schalterstellung“ Null oder Eins. „Eigentlich denkt man, dass die ganz kalten Atome wie Kügelchen hin und her fliegen. Dann merkt man, dass es sich um Wellenpakete handelt, nicht um Kügelchen. Wenn die vermeintlichen Kügelchen aufeinandertreffen, prallen sie nicht voneinander ab, sondern legen sich wie Wellenpakete übereinander.“
Wenn sich zwei Flüssigkeitströpfchen überlagern, würden sie normalerweise einen großen Tropfen bilden. Beim Bose-Einstein-Kondensat gibt es beim Zusammentreffen zweier Tröpfchen dagegen Interferenzphänomene, ähnlich wie bei Licht: „Man erhält ein Streifenmuster, an einigen Stellen verdichtet sich die Materie, an anderen Stellen entsteht ein Vakuum“, erklärt der Atomphysiker.
Den besonderen Zustand der Materie im tiefgekühlten Kondensat hatte der Physiker Albert Einstein bereits 1923 auf der Basis von Arbeiten des indischen Physikers Satyendra Nath Bose in der Theorie vorhergesagt. Bose hatte solche Systeme bei Photonen, den Bestandteilen jeder Strahlung wie etwa Lichtquanten, untersucht. Einstein hat die Ergebnisse auf Materieteilchen übertragen. Im Bose-Einstein-Kondensat seien Teilchen enthalten, so Zimmermann, die sich jeweils wie eine Welle verhalten, im Gleichtakt der Teilchen entstehe eine große Welle. „Einstein hat das nur als akademische Fingerübung gesehen“, meint der Physiker. Einstein hätte im Experiment wohl auch nicht die notwendigen tiefen Temperaturen für Bose-Einstein-Kondensate erzeugen können. Das gelang Wissenschaftlern zum ersten Mal erst 1995, als die Kühlung über Laserlicht entwickelt worden war.
Bose-Einstein-Kondensate lassen sich nicht nur mit Rubidium, sondern auch mit chemisch verwandten Elementen wie Wasserstoff oder Lithium herstellen. Rubidium ist jedoch am besten untersucht und lässt sich mit einfachen Lasern, wie sie etwa auch in CD-Spielern verwendet werden, gut kühlen. Auch die Chips, über denen die Tübinger Physiker Bose-Einstein-Kondensate herstellen, lassen sich mit Standardtechnologien herstellen. Sie hoffen, dass mit Hilfe der tiefgekühlten Kondensate auch besonders leistungsfähige Quantencomputer entwickelt werden könnten. Solche Computer sind bisher nur graue Theorie. Doch an dem Forschungsgebiet arbeiten zahlreiche Wissenschaftler. Noch wird nach einem System gesucht, mit dem sich ein Quantencomputer realisieren ließe. „Mit unserer Entwicklung sind Bose-Einstein-Kondensate ein heißer Kandidat“, meint Zimmermann.
In dem von den Tübingern entwickelten „Atomchip“ bewegen sich die Materiewellen wie Licht in einer Glasfaser. Bisher war das Interesse an Bose-Einstein-Kondensaten „vor allem akademisch“, so Zimmermann. Die Forscher setzen nun auf die Entwicklung atomoptischer Bauelemente, mit denen Drehungen, Beschleunigungen und Kräfte mit bisher unerreichter Empfindlichkeit gemessen werden könnten, zum Beispiel auch zur Messung der Schwerkraft. „Solche Detektoren könnten zum Beispiel bei der Suche nach Erdölvorkommen vom Hubschrauber aus eingesetzt werden.“
Bis zu solchen Anwendungen ist es jedoch noch ein weiter Weg. Die Tübinger Physiker wollen zunächst die ungewöhnlichen Interferenzphänomene der Bose-Einstein-Kondensate genauer untersuchen, die auftreten, wenn das Kondensat stark in die Länge gezogen und aufgeteilt wird. „Die Kanälchen auf dem Chip sind zwar höchstens zwei Zentimeter lang, doch im Größenvergleich wird das Kondensat so lang gezogen wie eine vier Meter breite Autobahn, die tausend Kilometer lang ist“, erklärt Zimmermann. Nach Einschätzung der Physiker behält das Kondensat jedoch in einem weiten Bereich die interessanten quantenmechanischen Eigenschaften.
Kontakt:
Professor Claus Zimmermann, Tel.: 07071/2976075 (günstigsten Tarif anzeigen)
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