Morgen ist es soweit: China tritt der Welthandelsorganisation (WTO) bei. Damit steht das mit 1,3 Milliarden Menschen bevölkerungsreichste Land der Erde vor einer tief greifenden Umwälzung. Befürchtungen des Westens, Billigwaren aus der Volksrepublik könnten nun noch ungehinderter die internationalen Märkte überschwemmen, sind nur die halbe Wahrheit.
Laut Expertenmeinungen werden Elektronikhersteller des Landes vom Wegfall von Handelsbarrieren auf den Auslandsmärkten profitieren. Dies dürfte vor allem auf Kosten vieler asiatischer Nachbarstaaten wie Taiwan gehen, die bisher als Billighersteller Chips über Computer bis zu Mobiltelefonen in die Industrienationen exportieren konnten.
„China könnte Deutschland als zweitgrößte Handelsnation der Welt binnen zehn Jahren ablösen“, sagte China-Experte Nicholas Lardy vom Wirtschaftsforschungsinstitut Brookings Institute in Schanghai. Mit dem Beitritt zur WTO erhalte die Volksrepublik die Möglichkeit, in den kommenden Jahren einer der größten Produzenten von Elektronik, Halbleitern und Computer-Hardware zu werden.
In der Telekommunikations- und Internet-Branche lockert China die Möglichkeiten der Beteiligung von ausländischen Firmen. Bei Internet-Providern wird der Anteil, den Auslandsfirmen an einem inländischen Unternehmen halten dürfen, von zunächst 30 Prozent binnen zwei Jahren auf 50 Prozent erhöht. Zudem sollen geltende geografische Beschränkungen aufgehoben werden, die Auslandsfirmen bisher nur den Zugang zu bestimmten Gebieten erlaubt hatten.
Negativ wirke sich der Beitritt jedoch für Chinas Landwirtschaft aus. Nach Expertenmeinungen verlieren Millionen Menschen in den kommenden Jahren ihren Job. Mit der schrittweisen Senkung von Einfuhrzöllen würden viele Produkte angesichts jahrelang verschleppter Modernisierung in der Produktion auch auf dem Heimatmarkt nicht mehr konkurrenzfähig sein. So werden etwa die Zölle für Fleisch und Geflügel nach den Vereinbarungen mit der WTO von 31 Prozent auf 14 Prozent fallen. Angesichts von 900 Millionen Chinesen, die von der Landwirtschaft arbeiten, sagen Experten einen beispiellosen Exodus arbeitsloser Chinesen in die Städte voraus.
Auch die Stahlindustrie werde am Ende als einer der Verlierer dastehen. Der noch immer stark planwirtschaftlich geprägte Zweig profitierte jahrelang von Staatshilfen und künstlich hoch gehaltenen Preisen auf dem Heimatmarkt.
Bei Autos sei China schon weiter. Viele ausländische Unternehmen – aus Deutschland etwa VW – sind schon im Land und produzieren dort. Dennoch bringt die WTO-Aufnahme dramatisch sinkende Importzölle. Von derzeit 80 Prozent für Motoren über 3000 Kubikzentimeter müssen die Aufschläge innerhalb der kommenden sechs Jahre auf 50,7 Prozent fallen. Unter 3000 Kubik erfolgt die Senkung von 70 auf 43,8 Prozent.
Im Banken- und Finanzsektor seien schnelle Umwälzungen nach dem WTO-Beitritt unwahrscheinlich. Der Regierung in Peking, die sich der zentralen Bedeutung des Bereichs für die Gesamtwirtschaft bewusst ist, gelang es in den Verhandlungen mit der WTO, hier eine langsame Öffnung durchzusetzen. So können ausländische Banken erst in zwei Jahren inländische Währungsgeschäfte tätigen. Erst in fünf Jahren dürfen sie auch in das Geschäft mit Privatkunden einsteigen.
Großer Gewinner durch den Deal sei die Textilwirtschaft. Beschränkungen für den Zugang chinesischer Exporte auf die Weltmärkte werden 2005 weitgehend aufgehoben. Für bestimmte Bereiche laufen sie aber erst 2008 aus. Experten rechnen damit, dass in der Branche mit dem WTO-Beitritt bis zu fünf Millionen neue Jobs entstehen können.
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