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Red Hat – Nicht nur für Geeks

Durham – Kritiker von Linux, einem von freiwilligen Programmierern entwickelten und kostenlos lizenzierten Betriebssystem, waren überzeugt, dass das von Red Hat versprochene profitable Geschäft ein Ding der Unmöglichkeit sei. Aber Szulik preschte an der Wall Street voran und jagte durch eine zweite Emission, nach denen die Schatztruhen des Unternehmens geleert waren.

„Die 300 Millionen Dollar bei der Bank waren in der Bilanz ausschlaggebend“, sagt Peter von Schilling, Senior-Analyst bei Merrill Lynch. „Damit war jeder Zweifel an Red Hats Tragfähigkeit ausgeräumt.“ Für Szulik war es eine erfolgreiche Feuertaufe. Doch war dies nur der erste Test bei Red Hat für den 45-jährigen New Englander, der noch immer beweisen muss, dass der Linux-Händler als profitable Unternehmen in einem Markt überleben kann ,der von solchen Schwergewichten wie Microsoft und Sun Microsystems dominiert wird.

Als harter Vorarbeiter, der keine Dummheit duldet, hat Szulik viel Lob von Linux-Enthusiasten für seine tiefe Loyalität geerntet, die manchmal als Hightech-Sozialismus beschrieben wird. Nun muss der Software-Veteran einen Weg finden, aus diesem Betriebssystem für die Massen einen Gewinn zu erzielen und Red Hat zu mehr zu machen, als einem Produkt für Geeks, nämlich zu etwas, was für den Geschäftseinsatz in der feindlichen Hightech-Industrie taugt.

Mit dem Nachlassen des galoppierenden Schwungs hinter Linux kamen Red Hats Quartalsergebnisse ins Schwanken. Das „Open Source“-Modell des Unternehmens ermöglicht es Red Hat, aus der Arbeit einer breiten Programmier-Gemeinde und von Linux-Softwareherstellern Nutzen zu ziehen, aber dieses Arrangement macht das Betriebssystem praktisch auch zu kostenfreiem Allgemeingut, denn jeder hat Zugriff auf den Softwarecode. Trotz dieser Hindernisse hat Red Hat Fortschritte gemacht. Vor drei Jahren gab es für das Unternehmen nur einen Weg, Geld zu machen: eine Distribution zu vermarkten, die mehrere Linux-Programme und Komponenten aus den Open Source-Projekten unter einem Betriebssystem zusammenfasste.

Mittlerweile gibt es mindestens zwei Dutzend Einnahmequellen, unter anderem Support-Leistungen und Systemintegration. Red Hat stellt sicher, dass die komplette Software zusammen funktioniert – kein einfaches Unterfangen mit den aktuellen Distributionen, die mehrere Hundert Anwendungsprogramme enthalten, zum Beispiel Web-Server, Mail-Programme und Büroanwendungen.

Gefährliche Klippen

Linux-Anwender sparen Geld, denn sie können theoretisch eine Kopie der Software kaufen und überall installieren. Google nutzt beispielsweise Red Hat auf allen 10.000 Servern und spart Millionen Dollar, da nur ein paar Pakete gekauft werden, sagt Jim Reese, Chief Operations Engineer des Web-Unternehmens. Wäre statt dessen Windows-Software zum Einsatz gekommen, wären nach Reese Aussage „allein die Platzlizenzen horrend gewesen.“

Diese Hingabe wirkt sich jedoch kaum positiv auf das Ergebnis von Red Hat aus. Da das Unternehmen keinen Gewinn mit dem Vertrieb der Kernsoftware machen kann, ist unklar, wie sich die Beliebtheit von Linux in Ertrag umsetzen lässt.

„Das stellt Matt vor eine besonders schwierige Herausforderung“, sagt Dan Kusnetzky, ein Vize-President beim Marktforscher IDC. „Er muss viele Wege finden, wie er in einem Markt zu Geld kommen kann, in dem die Software nicht teuer sein darf.“ Auch Szulik hat bereits sehen müssen, wie die Hightech-Rezession Linux und Open Source-Unternehmen geschadet hat. Mehrere bejubelte Start-ups mussten im letzten Jahr ihren Betrieb einstellen, nachdem sie den Weg in die Gewinnzone nicht fanden.

Dazu gehören Eazel, die sich auf einen Desktop-Ersatz konzentrierten, der Datenbankhersteller Great Bridge und die Linux-Sparte des Software-Hauses Corel. Andere haben den Ansatz kostenloser Software links liegen lassen und sich proprietären Anwendungen gewidmet, so zum Beispiel das E-Commerce-Unternehmen Ars Digita, der Linux-Software-Hersteller VA Software (ehemals VA Linux Systems) und der Dateisystemhersteller Sistina. Szulik versteckt sich allerdings nicht vor Schwierigkeiten. Als Teenager hat er sich als Caddy im örtlichen Country Club durch schwere wirtschaftliche Zeiten in seinem Heimatort New Bedford in Massachusetts geschlagen und genug gelernt, um ein Golfstipendium fürs College zu ergattern.

In seinen Zwanzigern begann Szulik bei Exxon Office Systems und wurde dort schließlich Leiter des weltweiten Verkaufs. Nach neun Jahren bei Interleaf machte er Stippvisiten in mehreren Start-ups, unter anderem MapInfo, Sapiens International und Relativity Software. Szulik wäre wohl bei Relativity geblieben, wäre er als erfahrener Software-Executive in den Gewässern von North Carolina nicht eine seltene Spezies gewesen. William Kaiser, ein Partner der Venture-Firma Greylock und Vorstandsmitglied, der die Suche nach Red Hats CEO geleitet hat, erinnert sich: „Das ist nicht gerade ein Ort, an den Sie ein erfahrenes Talent leicht locken können.“

Ein wahrhaft Gläubiger

Kaiser fand in Szulik genau, was er gesucht hatte. Und was vielleicht genauso wichtig ist, er fand einen wahren Gläubigen. Szulik sagt, dass er seit mehr als vier Jahren kein Windows-Produkt auch nur angerührt habe. Er hat sogar Kopien von Linux und der Desktop-Oberfläche Gnome für seine Kinder mit nach Hause genommen, die diese seit letztem Jahr benutzen.

„Matthew sieht darin nicht nur eine Aufgabe, sondern eine Mission“, bewundert ihn Billy Marshall, der mit Szulik als Vize-President im Business-Vertrieb und -Marketing für Red Hat arbeitet.

Während andere Unternehmen das Open Source-Modell verstoßen haben, hat Szuliks Beharren auf der engen Verbindung zwischen Red Hat und Linux ihm die Unterstützung auch außerhalb der Zentrale im Research Triangle Park bei Durham in North Carolina eingebracht. „Er tut etwas fürs Gemeinwohl“, sagt Bruce Perens, ein bekannter Linux-Entwickler und Open Source-Stratege bei Hewlett-Packard. „Es ist großartig, dass Red Hat den Wechsel zu einer neuen Führung geschafft hat, ohne das Fundament, auf dem die Firma stand, umzumodeln.“

Doch gibt es keinen schwungvollen Anführer ohne Kontroversen. Szulik ist sich zwar bewusst, dass Talent belohnt werden muss, rühmt sich aber seiner geistigen Unabhängigkeit, die manchmal in Sturköpfigkeit ausartet – diese Eigenschaften haben hin und wieder auch einige seiner 600 Angestellten zu spüren bekommen. Jene, die sich nicht zu seiner Zufriedenheit entwickeln, finden in dem 1,93 m großen CEO einen harten Lehrmeister, wissen einige zu berichten. Vivek Wadhwa, der bei Relativity Szuliks Chef war, erinnert sich daran, dass Meinungsverschiedenheiten nicht immer freundschaftlich endeten: „Wir haben uns manchmal gegenseitig auf dem Flur niedergeschrieen“, sagt er.

Andere sind der Meinung, dass Szulik einfach das tut, was von einem Chief Executive erwartet wird, besonders in harten Zeiten, die harte Maßnahmen erforderlich machen. „Er hat eine sehr starke Persönlichkeit. Wenn er Sie überrollt, respektiert er Sie nicht“, sagt ein Angestellter, der ungenannt bleiben möchte. Gleichzeitig fügt er hinzu, dass „die Arbeit [eines CEO] nur getan werden kann, wenn man die anderen tritt.“

Tatsächlich hat Szulik einiges bei Red Hat geleistet. Seit er das Ruder übernommen hat, ist das Unternehmen über den Vertrieb von Software hinausgewachsen und nimmt Gebühren für technische Unterstützung über das Red Hat Network. Auch mit Büchern, Training und Installationen für große Kunden wird Geld erwirtschaftet.

Im großen Bild hat Red Hat den Vorteil schlechter Wirtschaftslagen zu nutzen gewusst und kleinere Unternehmen übernommen und neue Märkte betreten. Durch solche Zusammenschlüsse wurde die Expertise gewonnen, ein minimiertes Linux-Betriebssystem zu entwickeln, das auf Handheld-Geräten und Kommunikationsausrüstung läuft; damit wurden Unternehmen wie der Mobiltelefonhersteller Ericsson und die Hardware-Schmiede Intel als Kunden gewonnen.

Red Hat war nicht immun gegenüber der Rezession in der Branche, aber Szulik hat die Probleme des Unternehmens nie auf die wirtschaftliche Lage geschoben. Mitbegründer Bob Young sagt, dass Red Hats Führungsriege jedes Recht hätte, diese Entschuldigung anzuführen. „Aber sie haben es nicht getan“, betont Young. „Im Gegenteil, sie haben jede Menge finanzielle Disziplin bewiesen.“

Diese Disziplin hat sich positiv auf Red Hats Ergebnis ausgewirkt. Im letzten Quartal wurden beispielsweise die Kosten für Abonnements und Lieferleistungen reduziert. Dadurch wuchs die Bruttomarge von 53 Prozent 2001 auf 60 Prozent.Mit einem Umsatz von nur 68 Millionen Dollar in den ersten drei Quartalen dürfte Red Hats Ertrag die 103 Millionen Dollar Gesamtumsatz aus dem Vorjahr nicht erreichen. Szulik denkt, dass Gewinne erst im nächsten Wirtschaftsjahr, das im Februar 2003 endet, zu sehen sein werden.

Red Hat wird Mitbewerber wie Microsoft nicht in Kürze ausstechen, aber Erfolg ist immer relativ. Da Red Hat nur 100 Millionen Dollar Umsatz bieten kann, ist der Schritt zum Milliarden-Unternehmen ein gewaltiger. Das heißt jedoch nicht, dass Red Hat sich davor fürchtet, gegen die Branchenführer anzutreten. Durch Linux wetteifern sie mit Sun, denn es handelt sich um eine Open Source-Variante von Unix, die zu den meisten Unix-Anwendungen kompatibel aber deutlich günstiger ist.

Eine neuere IDC-Studie zeigt, dass Unternehmen, die von Unix zu Linux wechseln, bis zu 82 Prozent bei Messaging- und Teamanwendungen und bis zu 45 Prozent bei Internet- und Intranetanwendungen sparen können. Amazon.com gab kürzlich bekannt, dass mehr als 17 Millionen Dollar durch den Umstieg von Suns Solaris Unix auf Linux eingespart wurden.

Microsofts Kunden für sich zu gewinnen steht auf einem anderen Blatt. Der Umstieg von Unix zu Linux ist recht einfach, denn es gibt viele Gemeinsamkeiten, aber der Umstieg von Windows-Systemen erfordert deutlich mehr Können und Wissen. Trotzdem wird erwartet, dass Unternehmen, die neue Systeme anschaffen, sich ernsthaft mit Linux als Windows-Alternative befassen, urteilt Kusnetzky von IDC.

„Derzeit ist es eine Hauptwahl in einigen wenigen Märkten, aber im Jahr 2005 wird es eine Hauptwahl in jedem Markt sein“, sagt Kusnetzky. Mehr als ein Drittel der großen Windows-Kunden haben oder hatten in ihren Unternehmen bereits Linux-Software installiert (Quelle: IDC). Linux wird sogar vom Computer-Titanen IBM unterstützt, der sich verpflichtete, 2001 eine Milliarde Dollar in die Open Source-Technologie zu stecken. Red Hat hat auch weitere Kunden mit Vorbildfunktion für sich gewinnen können, unter anderen Morgan Stanley und Cisco Systems.

Obwohl die Verkäufe auf der Basis älterer und teurerer Unix-Systeme erfolgten, sieht Szulik den größten Kampf gegen das heute dominierende Betriebssystem in vollem Gange. „Im Jahr 2005 wird es zwei wichtige Betriebssysteme geben“, sagt er. „Das eine ist Linux, das andere eines von Microsoft.“ Die Frage ist, ob Red Hat das Ziel erreicht, bevor das Geld ausgeht.

ZDNet.de Redaktion

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