San Jose, Kalifornien – Der „Große Knall“ hat sofort Fragen zur Zukunft von Meg Whitman als CEO aufgeworfen. Kritiker vom frustrierten Wall Street-Analysten bis zum Beanie Baby-Sammler forderten ihre sofortige Ablösung.
Aber die Newcomerin aus dem Silicon Valley hat eine schnelle Auffassungsgabe. Sie begann, sich mit den Details von Datenbankproblemen zu beschäftigen und stellte einen hochgelobten Technokraten als Krisenbewältiger ein. Whitman gab Maynard Webb, dem ehemaligen Chief Information Officer von Gateway (Börse Frankfurt: GTW) , das Büro direkt neben ihrem und bat darum, sofort informiert zu werden, wenn auch nur das kleinste Problem aufträte.
„Ich habe Sie öfter um drei Uhr früh geweckt, als mir lieb ist“, sagt Webb, der mittlerweile President für den Technikbereich bei Ebay ist. „Ich kannte ihren Mann von unseren Telefonaten, schon ein Jahr, bevor ich ihn das erste Mal traf.“
Der Ausfall – eine der kostspieligsten Softwarepannen, die ein US-Unternehmen je getroffen haben – wurde zu einem Drehpunkt in Whitmans Karriere. Da Sie zuvor kaum etwas über die Technik hinter dem System kannte, wurde ihr klar, dass sie schnellstmöglich die Sprache der Server und weit gefächerten Netzwerke lernen musste. Gleichzeitig, erinnert sich Whitman, erfuhr sie bei Ebay mehr als in jeder anderen Firma, wie wichtig es ist, Entscheidungen schnell zu treffen.
Die 45-jährige Chief Executive hat viel aus diesen Erfahrungen gelernt und wird sich darauf stützen, wenn sie Ebay 2002 um noch größere Hindernisse steuert – unter anderem das wichtigste Technikupgrade in der Firmengeschichte – und so eine Geschäftsstrategie aufbaut, die ihre Führung überlebt.
„Es gibt keinen Ersatz für die direkte Teilnahme am geschehen“, erklärt Whitman. „Es geht letztlich um die Qualität und Erfahrung des Führungsteams. Es geht wirklich nur um die Leute, die eingestellt werden und deren Fähigkeiten – die Fähigkeit, Entscheidungen in einer sich rasend schnell verändernden Situation zu treffen.“
Es geht auch um die Leute, die den Erfolg von Ebay durch täglich Millionen von Transaktionen herbeigeführt haben. Und genau hier steht Whitman vor einer der größten Herausforderungen: Wie kann man das Unternehmen erweitern, ohne die Legionen Kunden an der Basis zu verärgern.
Man muss Whitman zugute halten, dass sie Schritte in diese Richtung unternommen hat, die man von einer Führungskraft mit eindeutigem „Old Economy“-Hintergrund, die noch dazu Nummer 2 in der Liste der mächtigsten Geschäftsfrauen des „Fortune Magazins“ 2001 hinter Hewlett-Packard CEO Carly Fiorina ist, nicht erwartet hätte. So hat sie sich mit einer Bescheidenheit, die für die meisten CEO des Silicon Valley undenkbar wäre, in öffentlichen Chats entschuldigt; ein Schritt, der ihr bestimmt viel Sympathie eingebracht hat.
„Wir sprechen Sie mit Meg an. Wie viele Leute in Firmen dieser Größe dürfen ihren CEO voll mit Vornamen anreden?“, fragt Marsha Collier, Bürgerin von Los Angeles, die 1996 den Handel mit „Star Trek“-Figuren auf Ebay begann und neulich das Buch „Starting an Ebay Business for Dummies“ (Ebay Business für Dummies) schrieb. „Sie hat keine Angst, Problemen ins Auge zu sehen.“
Die Aufmerksamkeit, die Whitman der Ebay „Community“ zukommen lässt, ist gut angelegt. Mit dem Eins-zu-eins-Verkauf ist Ebay wahrscheinlich die einzige große Internet-Unternehmung, deren Kerngeschäft nicht offline existieren könnte, und die daher auch nicht wie andere Unternehmungen geführt werden kann.
Selbst nach ihren Versuchen, mit Käufern und Verkäufern in Kontakt zu bleiben, beschweren sich viele Hobbyhändler, dass Whitman vermehrt große Firmen und hochwertige Kunden umsorgt. Kleinere Geschäfte haben ihrer Herkunft aus der Wirtschaft immer misstraut, besonders, da sie sich so stark von ihrem Vorgänger unterschied, dessen Erfahrung in der Programmierung und einer Überzeugung für ein demokratisches Web bestand.
Das Unternehmen wuchs aus einer Website namens Auction Web heran, die von Pierre Omidyar, einem Programmierer aus dem Silicon Valley erstellt wurde. Nach Whitmans Aussage bestand das Geschäft hauptsächlich aus einer Auktionssite, die zu Ebay wurde – einer Website, die von Omidyars Verlobter erstellt wurde, die PEZ-Spender sammelte. Rivalen wie Onsale, First Auction und Auction Universe konnten scheinbar nicht anders, als das winzige Ebay zu überstrahlen.
Whitman war wohl kaum die offensichtliche Wahl, Ebay oder irgendeine andere Internet-Firma zu übernehmen. Sie stand zuvor an der Spitze von Pawtucket, einer Hasbro-Niederlassung in Providence, die für Vorschulspielzeug wie Herrn Kartoffelkopf und Playskool zuständig war.
Davor hatte sie versucht, FTD, das größte Blumen-Unternehmen der Welt, aus einem Interessenverband in eine private Körperschaft umzuwandeln. Nachdem Sie einen aufgeblähten Wasserkopf zurechtgestutzt hatte, die Marketing-Kampagne modernisieren und das Personal schrumpfen wollte, warf sie vor Ablauf von zwei Jahren aufgrund internen Widerstands das Handtuch.
Als Whitman Anfang 1998 den Posten bei Ebay angeboten kam, lehnte sie ab. Sie lebte bei Boston und wollte ihre beiden Söhne nicht zum Schulwechsel zwingen, ebenso wenig ihren Ehemann, den Neurochirurgen Griffith Harsh IV, dazu, sich eine neue Stelle zu suchen. Nach ungefähr drei Wochen voller Telefonate mit dem Headhunter flog sie schließlich widerwillig nach San Jose in Kaliforniern – und änderte ihre Meinung.
„So viele andere Konzept der Zeit waren nur Internet-Versionen von Standard-Geschäftsideen“, sagt Whitman. „Dies war ein gänzlich neues Konzept: Menschen können rund um die Uhr an 7 Tagen der Woche miteinander handeln.“ Sie fing im Mai 1998 bei Ebay an und versprach, mehrere Monate mit „Bodenarbeit“ zuzubringen, als da wären der Aufbau eines Führungsteams, die Umstellung der Finanzsysteme, die Erstellung einer Marketingstrategie und die Begradigung des E-Mail-Systems. Außerdem hatte sie vor, die Wall Street auf Ebays Börsengang im September 1998 vorzubereiten.
Statt dessen fiel an ihrem ersten Arbeitstag die Ebay-Site für acht Stunden aus – ein wiederkehrendes Problem, das Whitman und das Unternehmen mehr als ein Jahr plagen sollte. Damit war natürlich die Stabilität der Site Thema Nummer 1. Als Ebay den Schwarzen Peter an Sun Microsystems‘ Software, die eine Datenbank beschädigt habe, weitergab, begann Whitman, an technischen Besprechungen zwischen den beiden Firmen teilzunehmen und rief Suns CEO Scott McNealy persönlich an, um seine Hilfe zu erbitten.
Webb erzählt, dass Ebay mittlerweile ungeplante Downtime von 4 Sekunden monatlich hat – ein respektables Verhältnis, bedenkt man die 260 Millionen Page View pro Tag (1998 waren es 65 Millionen) und jede Sekunde 1,3 Gigabit an Daten sendet (1998: 180 Megabit pro Sekunde). Aber Whitman kann sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen. 2002 beschert dem Unternehmen eines der wichtigsten Technologie-Upgrades und die Wall Street wird jeden Schritt der CEO und von „Megs Jungs“ – ihren 10 direkt Unterstellten – genau beobachten um zu sehen, ob das Team die Technologie gemeistert hat.
Sie überwacht die schwierige Installation von Ebays neuester Handelssoftware „V3“, die unter anderem Ebays Datenspeicher in Echtzeit aktualisiert (was derzeit nur einmal täglich passiert). Auch die Eintragungen werden minütlich statt stündlich aktualisiert werden. In der ersten Jahreshälfte 2002 wird Ebay auch neue Such- und Lizenztechniken einführen. Gleichzeitig arbeitet Whitman an einer langfristigen Strategie, mit der Ebay auch in der „Post-Meg-Ära“ bestehen kann.
„Ich möchte sagen können, dass wir eine globale Online-Handelsplattform aufgebaut haben, die allen Arten von Anwendern ermöglicht, ihrem Hobby erfolgreich nachzugehen“, wünscht sich Whitman.
Graue Märkte wachsen
Auf dem Weg dorthin gibt es allerdings auch Hindernisse. Ein nagendes Problem ist der graue Markt auf Ebay, also Käufer und Verkäufer, die zwar Produkte auf Ebay anbieten, die Geschäfte aber auf privater Ebene zum Abschluss bringen. Nach Aussage von Salomon Smith Barney verliert Ebay durch diese Verkaufsart 10 bis 25 Prozent der Bruttoverläufe. Daher muss Ebay eine Möglichkeit finden, solche Transaktionen für sich zu gewinnen.
Das Unternehmen hat auch mit Beschwerden von Mitgliedern der Ebay-Verkäufergemeinde zu kämpfen, die behaupten, dass Whitman beim Versuch, das Umsatzwachstum zu halten, die kleinen Verkäufer ignoriert, die noch immer das Rückgrat des Unternehmens bilden.
Im April 1999 eskalierten diese Ängste, denn Ebay übernahm das große Auktionshaus Butterfield & Butterfield für 260 Million Dollar. Viele Kunden befürchteten, dass Ebay damit seine Wurzeln als Site für PEZ-Liebhaber und Beanie Baby-Sammler verlassen würde. Auch Ebay Motors wurde das Ziel von Besorgnis-Äußerungen. Dieser Zweig hat sich mit General Motors und anderen Großen der Old Economy zusammengetan. Ebenso gibt es Beschwerden über Ebays Versuche, im Verkauf von mehrere Millionen Dollar teuren Eigenheimen Fuß zu fassen und den Online-Immobilienmarkt für sich zu öffnen.
Whitman muss sich auch aufgrund der Powerseller beschimpfen lassen. Dieses Programm kümmert sich besonders um große Partner wie Sun (Börse Frankfurt: SSY), IBM (Börse Frankfurt: IBM) und die US-Post. Powerseller müssen einen Umsatz von 2000 Dollar monatlich aufweisen und mindestens 98 Prozent der Beurteilungen müssen positiv sein. Dafür dürfen sie in Anzeigen auf die eigene Website verweisen, und damit praktisch auf legale Weise am Grauen Markt teilnehmen, was ihnen „kleine“ Verkäufer übel nehmen, die dafür bestraft werden.
Trotz der Herausforderungen kann Ebay ein Wachstum vorweisen, das den meisten Internet-Firmen fehlt. Für 2002 werden Nettoerträge von mindestens 1,05 Milliarden Dollar auf Basis von Bruttoverkäufen in Höhe von 13 Milliarden Dollar erwartet, verglichen mit 730 Millionen Dollar Nettoertrag auf Basis von neun Milliarden Dollar Bruttoverkäufen im Jahre 2001.
Der Antrieb resultiert aus internationale Expansion. Vor drei Jahren war das Unternehmen in fünf Ländern aktiv; das Ziel für 2005 sind 30 Länder. Internationale Geschäftstätigkeiten brachten 2001 etwa 110 Millionen Dollar in die Kassen. Der Chief Financial Officer Rajiv Dutta prognostiziert, dass 2005 dadurch mehr als 800 Millionen Dollar eingenommen werden.
Die Wall Street mag Ebay, denn das Unternehmen hat keine Lagerhaltungskosten und ist für eine kurze Gehaltsliste bekannt. Die Personalkosten sind seit 1999 gesunken und wurden für Ende 2001 auf lediglich vier Prozent vom Gesamtertrag geschätzt.“Soweit der Plan erfolgreich befolgt und der Ertrag prozentual zum Transaktionsbruttowert erhalten werden kann, läuft er sehr, sehr gut“, urteilt Tom Underwood, Vize-President Technologieforschung bei Legg Mason. „Der Schlüssel ist jedoch die Anwenderbasis – und sie glücklich zu halten.“
Whitman selbst sagt, dass sie sich bei Ebay wohl fühlt und keine Pläne hat, in naher Zukunft zu gehen. Sie hat allerdings gesagt, dass sie gerne mehr mit ihrer Alma Mater, der Princeton University, machen und irgendwann einmal eine Rolle neben dem täglichen Management im Wirtschaftsleben Amerikas ausprobieren würde. „Es ist zwar nicht mehr ganz so schwierig wie früher, aber CEO in irgendeiner Firma zu sein, bedeutet eine Menge Arbeit“, so Whitman. „Ganz sicher ist dies mein letzter Job in der Wirtschaft.“
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