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Microsofts CEO für das 21ste Jahrhundert

Redmond, Washington – Wenn er begeistert ist – und Microsofts (Börse Frankfurt: MSF) Chef Steve Ballmer ist sehr begeisterungsfähig – wiederholt er sich häufig drei und mehr Male, um Nachdruck auf seine Aussage zu legen.

„Windows, Windows, Windows“, war der Aufruf Mitte der 1980er, mit dem das mittlerweile allgegenwärtige Betriebssystem bekannt gemacht wurde. Jetzt nutzt Ballmer einen neuen Schlachtruf, um Microsofts neue Technologie für Web-Dienstleistungen, .Net, anzupreisen: In einem ins Internet durchgesickerten Video stürmt ein nassgeschwitzter Ballmer über die Bühne auf einer Microsoft-Konferenz und wiederholt mit evangelischer Inbrunst das Wort „Entwickler“ nicht weniger als 14 Mal. „Ich halte reden und bin selbst ganz begeistert davon“, gab er kürzlich in einem seltenen Anflug von Understatement zu. Dieser begeisterte Enthusiasmus ist Ballmer wie er leibt und lebt, ein Mann, dessen Name in Industriekreisen gleichsam ein Synonym für Überfliegerleistungen geworden ist, die noch gewaltiger erscheinen, wenn sie mit den üblichen trockenen Darstellungen der meisten anderen Unternehmen verglichen werden. Ballmer lediglich als übereifrigen Anpeitscher zu sehen, täte jedoch seiner ebenso außerordentlichen Geschäftstüchtigkeit und seiner Spürnasse für den Markt Abbruch, urteilen ehemalige Angestellte und langjährige Beobachter.

Seit Jahren wird Ballmers öffentliche Identität eng mit seinem besten Freund und Alter Ego, dem analytischen und technokratischen Bill Gates verknüpft. Ein früherer Mitarbeiter fasste dies so zusammen: „Gemeinsam sind die beiden der beste CEO im Geschäft.“ Heute bereitet Ballmer sich auf sein drittes Jahr an der Spitze des weltgrößten Software-Herstellers vor und die Qualitäten, die ihn von Gates unterscheiden, sind offensichtlicher und möglicherweise auch wertvoller als je zuvor. Ballmers Kombination aus Intellekt, Begeisterung, Leidenschaft und einem klaren Verständnis von Öffentlichkeitsarbeit macht ihn vielleicht zu einem besseren CEO für das Microsoft des 21sten Jahrhunderts als Gates, der zwei Jahrzehnte lang die Seele des Unternehmens darstellte.

Ballmer benötigt diese Eigenschaften, wenn er sich dem Dreigespann von Herausforderungen stellt, das Microsoft für die kommenden Jahre prägen wird: Leben und Arbeit unter den wachsamen Augen der Regierung, Wiederherstellung des Firmenrufes als Schmied neuer Partnerschaften und Motivation der mehr als 45.000 Mitarbeiter, viele davon Millionäre in Stock Options, für neue Herausforderungen. „Steve ist ansteckend und mitreißend. Wenn Sie nach einem Treffen mit Steve den Raum verlassen, müssten Sie schon eine Leiche sein, um sich nicht angespornt zu fühlen“, so Naseem Tuffaha, sechs Jahre „Produkt-Evangelist“ bei Microsoft und mittlerweile CEO des Webdienste-Unternehmens Fidesic. Schnell weist er darauf hin, dass Ballmer und nicht Gates – das Marktpotential von Webdiensten erkannt hat und das später .Net genannte Konzept als erster öffentlich Diskutiert hat. „Steve sprach schon damals darüber.“, sagt Tuffaha. „Er hatte die Idee, konzentrierte sich darauf und ging die Sache mit dem für ihn typischen Eifer an.“

Viele mit Microsoft Vertraute erkennen in .Net einen weiteren großen Unterschied zwischen Ballmer und seinem berühmten Vorgänger: Gates kann zwar einen Fehler im Quellcode erkennen, aber Ballmer kann erkennen, ob sich die Software verkaufen wird. Ballmers „intellektuelle Stärke ist … wirklich in vielerlei Hinsicht beeindruckend“ verglichen mit der von Gates, sagte Rob Horwitz, den Ballmer direkt vom Massachusetts Institute of Technology für die Arbeit an früheren Windows-Versionen rekrutiert hat. „Nennen Sie ihm ein Beispiel für irgendein Business – auch eines, in dem er keine Erfahrung hat und über das er nichts weiß – und er wird Ihnen ganz schnell ausrechnen, wie hoch die Gewinnspannen sind und wo dabei Geld verdient und wo verloren wird. Dabei irrt er sich um weniger als fünf Prozent.“

Der lange Arm des Gesetzes

Mit diesem Geschäftssinn verhindert Ballmer, dass die oberen Etagen nachlässig werden, insbesondere, während er das Management auf die aktuellen Aufgaben konzentriert und die Ablenkung durch den Monopolprozess der Regierung minimiert, die damit droht, Microsoft in zwei Teile zu spalten. Einigen Aussagen zufolge hat das Wirken des Justizministeriums einen nicht unerheblichen Zoll von Firma und Management gefordert und wird dies auch künftig tun.

Ballmer gibt zu, dass der Fall die interne Moral bei Microsoft beeinflusst. „Vom tiefen moralischen Standpunkt aus gesehen denke ich, dass nicht viele im unteren und oberen Management von dem Gerichtsverfahren beeinflusst wurden. Aber letztlich will niemand von seiner Regierung verklagt werden“, sagte er kürzlich in einem Interview mit CNET News.com. Jetzt muss Microsoft die berühmte Schärfe und Zielstrebigkeit bewahren und gleichzeitig im Rahmen einer vorgeschlagenen Einigung auf der richtigen Seite des Gesetzes stehen.

Wenn die Vereinbarung durchgesetzt wird, wird künftig ein unabhängiges, dreiköpfiges Technologiekontrollgremium im Microsoft-Hauptquartier in Redmond, Washington sitzen. Dieses Gremium erhält Zugriff auf den Windows-Quellcode, die so scharf verteidigte Basis des gerühmten Betriebssystems. Wahrscheinlich hat das Kontrollgremium die Macht, jeden Microsoft-Mitarbeiter auszuquetschen, den Code zu untersuchen und sämtliche internen Produktplanungsdokumente zu lesen. „Die Vereinbarung umfasst klare Verbote und Richtlinien zu unserer Arbeitsweise, die wir vor der Unterschrift nicht hatten“, sagte Ballmer. „Ich kann also nicht behaupten, dass wir dadurch mehr Freiheiten erhalten – ganz im Gegenteil. Wir werden deutlich eingeschränkt.“

Weitere Veränderungen sind im Unternehmen bereits im Gange. Im November hat Ballmer ein Memo an die Microsoft-Mitarbeiter versandt und dargelegt, welche Maßnahmen erforderlich sind, um mögliche Monopolkonflikte zu vermeiden. So müssen die Microsoft-Geschäftsentwicklungsgruppen und das Rechtsteam sich regelmäßig zu Beratungen treffen. Ballmer hat sich scheinbar der neuen Regelung ergeben und ist deutlich erregt wenn Mitbewerber behaupten, Microsoft sei vom Haken gelassen worden. Einige, wie Real Networks (Börse Frankfurt: RNW), ein Unternehmen für Streaming Media, nannten die vorgeschlagene Einigung eine „Belohnung, keine Lösung“.

Ballmers schärfste Seitenhiebe gehen in Richtung Sun Microsystems (Börse Frankfurt: SSY), das von Microsoft-Managern häufig als erbittertster Rivale des Unternehmens genannt wird. Als die Einigung angekündigt wurde, gab Sun eine Bekanntmachung heraus die besagte, dass dadurch lediglich „der Status Quo bestärkt wird, jedoch nichts getan wird, um Wettbewerb und Innovation am Markt wiederherzustellen“. Ballmer gab halb witzelnd zurück, dass „es nicht möglich ist, Sun glücklich zu machen. Wenn wir zerschlagen würden, würde Sun behaupten, dass wir nicht hart genug zerschlagen wurden.“

Friedensschluss?

Trotz solcher Aussagen weiß Ballmer, dass Microsoft mit vielen dieser Mitbewerber für .Net und den Erfolg anderer Business-Software zusammen arbeiten muss. „Nachdem die Industrie uns nicht zur Hilfe geeilt ist, ist uns klar, dass wir unsere Einstellung und Zusammenarbeit mit eben dieser Industrie überdenken müssen“, sagte Ballmer auf der Jahresversammlung der Firma im November. Viele glauben, dass dieses Schuldeingeständnis durch die außergewöhnlich harsche Kritik an Microsoft während des Monopolverfahrens verursacht wurde, andere denken, dass Ballmer die Basis für gesteigerte Softwareverkäufe an Unternehmen legt, denn dieser Plan erfordert Zusammenschlüsse mit anderen Firmen. Analysten halten die Herausforderung für mindestens ebenso groß wie Microsofts Bemühungen, den Anschluss an die Internet-Revolution Mitte der 1990er nicht zu verlieren.

„Partner sind unerlässlich dafür und bedeuten im Unternehmensgeschäft eine ganze Menge“, urteilte Horwitz, Mitbegründer von Directions on Mircosoft, einer Forschungs- und Beratungsfirma aus Kirkland, Washington. „Das liegt daran, dass Firmen, die Unternehmenssoftwarelösungen kaufen, sich nicht für ein einzelnes Produkt, sondern für eine Produktgruppe entscheiden, die problemlos zusammen arbeitet.“ So hört man aus dem Management von Compaq (Börse Frankfurt: CPQ), dass deren Beziehung zu Microsoft bereits enger geworden ist, seit Ballmer am Ruder steht, da dieser sich gut mit Michael Capellas, dem CEO des Computerherstellers, versteht. Die Kooperation hat bei der Markteinführung von Microsoft-Kernprodukten wie Windows CE und Windows XP geholfen.

„Er versteht viel vom Geschäft und die Führung hat sich unter Steve verbessert“, konstatierte Michael Winkler, Vizepräsident der Global Business Units bei Compaq, Microsofts größtem Windows-Abnehmer unter den PC-Herstellern. Microsofts .Net-Services hängt ebenfalls von Partnern ab, die auf ihren Sites die Web-Dienste anbieten müssen. Microsofts .Net-Web-Dienste und Software-Programmarchitektur nach oben zu holen ist eine von Ballmers Hauptprioritäten: „Es gibt keinen Plan B“, sagte er.

Industrieveteranen halten Ballmer für genau den richtigen Mann, um solche Partnerschaften zu forcieren und gesund zu erhalten – entgegen einigen früheren Managern, die als Gates rechte Hand dienten, zum Beispiel Mike Maples, einem Vizepräsident, der das Unternehmen 1995 verlassen hat, und Jon Shirley, ehemaligen CEO und jetzigem Vorstandsmitglied. „Microsoft ist über die Jahre reifer geworden“, meinte Will Zachmann, Industrieanalyst der Meta Group, der das Unternehmen seit nahezu 20 Jahren beobachtet. „Maples und Shirley waren Außenseiter, die weder die Microsoft-Kultur kannten noch so eng mit Bill zusammen gearbeitet haben, wie Steve.“

Technologie schläft nie

Ballmers Stehvermögen wird einmal mehr getestet werden, wenn Microsoft expandiert, um seine Stellung auch außerhalb des PC-Betriebssystemmarktes zu festigen. In den letzten paar Monaten hat das Unternehmen drei wichtige Produkte auf den Markt gebracht: XP, die Spielkonsole X-Box und MSN 7.0 (ZDNet berichtete). Außerdem wurde die Kerninitiative .Net gestartet. Microsoft bereitet sich auch auf die Überholung der SQL Server-Datenbank vor und beginnt mit einem neuen Software-Projekt für Unternehmen auf Basis der früher im Jahr eingekauften Great Plains Software, einem Anwendungsentwickler für kleine und mittelständische Unternehmen.

Das Unternehmen verlegt sich langsam vom Fertigproduktgeschäft in den Servicebereich. Analysten beurteilen diesen Schritt als wichtigen Fortschritt für das Unternehmen und die Hightech-Industrie im Allgemeinen. Viele fragen sich allerdings, ob Microsofts angekündigte .Net-Dienste nicht zu ambitioniert sind, da bereits Kritik aufgrund von Ausfällen und Sicherheitslöchern aufgekommen ist. Neben all diesen Herausforderungen muss Ballmer auch noch darauf achten, Microsofts omnidirektionale Ausdehnung im Rahmen zu halten. Während Microsoft wächst, bemerkt Horwitz, „wird es schwerer, den Tiefgang beizubehalten und jeder stößt irgendwo an seine Grenzen“.

An diesem Punkt kann Ballmers überlebensgroße Persönlichkeit am deutlichsten werden. „Seit Steve Präsident und CEO geworden ist, hat sich die Mitarbeiterzahl bei Microsoft verdoppelt. Das Unternehmen hat sich bereits deutlich gegenüber Bills Zeit als CEO geändert“, so Tuffaha. „Wer wird diesen Giganten zusammen halten? Microsoft benötigt die richtige Strategie, aber das allein reicht nicht aus“, fügte er hinzu. „Es muss jemand her, der diese Strategie 50.000 Menschen nahe bringt. Und da kommt Steve ins Spiel. Bill spricht den Verstand an, Steve das Herz.“

ZDNet.de Redaktion

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