Meine Damen, etwas mehr Ruhe bitte“, raunt die Kindergärtnerin den Frauen zu, die durch einen Türspalt ins Spielzimmer lugen. Sie tragen weiße Schürzen und einen Mundschutz. In dieser Verkleidung als Kantinenhilfen beobachten sie heimlich ihre Kleinen. Der öffentliche Kindergarten im Zentrum von Tokio bietet Besuchstage an, an denen Eltern ihren Kindern beim Spielen, Essen und Schlafen zuschauen dürfen. Solche Maskeraden dürften bald nicht mehr nötig sein, denn immer mehr japanische Kindergärten installieren digitale Kameras.
Kinder und Betreuer bleiben ständig im Visier, und Mütter und Väter können die Live-Bilder jederzeit im Internet abrufen. Das zuständige Ministerium investierte mehr als zwei Millionen YenEuro) in Kameras und Übertragungstechnik. Im November vergangenen Jahres ging die Tagesstätte im Herzen der japanischen Hauptstadt online.
Eltern zahlen monatlich 1000 Yen (8,7 Euro), um sich auf dem Computerbildschirm oder dem Display ihres Handys vom Wohlergehen ihres Nachwuchs überzeugen zu können. Wenn Yuko Nagano ihren einjährigen Shogo zufrieden grinsend auf dem Bildschirm erblickt, ist sie erleichtert. Andererseits versucht sie sich während ihrer Arbeit im Bildungsministerium zu zwingen, nicht allzu oft zu den Live-Filmen aus dem Kindergarten zu surfen. „Wenn man einmal angefangen hat, fällt es schwer, darauf zu verzichten.“
Auch wenn sie nicht misstrauisch gegenüber den Kindergärtnern sei, sei sie doch beruhigt darüber, nachsehen zu können, dass die Kinder nicht misshandelt würden, beteuert sie. Diese Sorge treibt viele Eltern um, seit im Jahr 2000 eine Reihe von Misshandlungen in einer Kinderkrippe für Schlagzeilen sorgte. Im Juni 2000 wurde die Chefin der Krippe „Smile Mom“ wegen Totschlags verhaftet. Ein zweijähriger Junge war an einem Schädelbruch gestorben. Die Krippe war durch eine ungewöhnlich hohe Unfallrate seit ihrer Eröffnung im Februar 1999 aufgefallen: Ein einjähriges Mädchen erlitt im August 1999 einen Trommelfellriss, einen Monat später musste ein zweijähriger Junge mit einem Knochenbruch behandelt werden und im Februar 2000 starb ein Einjähriger an einer Gehirnblutung. Mit diesen Vorfällen in schrecklicher Erinnerung sind viele Eltern dankbar für die Beobachtungsangebote der Krippen im Internet.
Einige Pädagogen allerdings zweifeln an dem digitalen Überwachungssystem. „Die Kindergärtner sind unter ständiger Kontrolle durch die Eltern. Ich frage mich, wie ein Betreuer da in der Lage sein soll, ein Kind auszuschimpfen, wenn es einmal notwendig sein sollte“, meint Kazuko Imai, Professorin für Pädagogik am Tokio Seitoku College. Imai gibt außerdem zu bedenken, dass Eltern leicht falsche Schlüsse aus dem ziehen, was sie beobachten. „Wenn ein Kind alleine spielt, heißt das nicht, dass es von den Erziehern vernachlässigt wird. Augenkontakt oder andere Gesten werden von der Kamera ja nicht zuverlässig eingefangen.“
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