Je ausgelassener die Party, desto schlimmer der Kater: Diese bittere Erfahrung mussten Anleger, Analysten und Banker nach dem Platzen der Börsenblase machen. Bis zum 10. März 2000 schien die Devise auf dem Parkett zu lauten: „Nur der Himmel ist das Limit“. Die 1000 Tage seit dem Rekordhoch wurden jedoch zur Hölle für enttäuschte Aktionäre: Der DAX fiel um fast 70 Prozent, der Nemax 50 brach um 96,5 Prozent auf ein Rekordtief von 311 Punkten ein. Allein in Deutschland wurde ein dreistelliger Milliardenbetrag an Börsenkapitalisierung verbrannt: Der Schaden ist damit mehr als 20 mal so hoch wie bei der Hochwasserkatastrophe vom August dieses Jahres. Auch wenn sich DAX und NEMAX bis Anfang Dezember wieder etwas erholt haben: Das deutsche Börsenjahr 2002 ist mit Abstand das schlechteste seit dem Zweiten Weltkrieg. Was war passiert?
Börsen-Baisse
Der März 2000 markiert den Wendepunkt in einem fast zehnjährigen Aufwärtstrend: Egal ob Nasdaq oder Nemax: Die Dotcom-Euphorie und der weitgehend bugfreie Wechsel ins neue Jahrtausend hatten dafür gesorgt, dass die Kurse der Hightechs geradezu explodierten: So hatte der Nasdaq Composite seinen Wert zwischen 1996 und 2000 verfünffacht, der Nemax All Share verbesserte sich gar um den Faktor acht. Eine Korrektur war überfällig und fiel härter aus als befürchtet.
Den Grund dazu lieferten viele Firmen selbst: Zum Börsengang wurden allzu hohe Erwartungen geweckt, die dann nicht bestätigt werden konnten. Aktienkurse spiegeln aber gerade Erwartungen und nicht den aktuellen Stand einer AG wider. So begann Intershop das Börsenjahr 2001 mit einem Paukenschlag, der Anleger und Analysten erzittern ließ: Der Umsatz lag weit unter den Erwartungen, der Verlust belief sich auf fast 40 Millionen Euro. Die Aktie verlor innerhalb weniger Stunden über 60 Prozent und zog andere Technologiewerte mit in den Keller. Intershop-Chef Stephan Schambach zeigte sich am gleichen Tag dennoch „überzeugt, dass die Unternehmen in diesem Jahr ihre Investitionen in E-Commerce wieder ausbauen werden“ – eine weitere Fehlprognose. Die Intershop-Aktie fiel in den letzten Jahren von 130 auf unter einen Euro, Anleger verloren dabei mehr als 99 Prozent ihres Investments.
17 Monate später sorgte eine weitere Horrormeldung für fallende Kurse: Worldcom gestand im Juni 2002 Bilanzfälschungen in Höhe von über vier Milliarden Dollar ein. Die Aktienindizes rund um den Globus stürzten am gleichen Tag massiv ab. Schlimmer noch: Im Juli, September und November räumt der Telko weitere Fehlbuchungen ein, sodass sich die Summe auf zuletzt neun Milliarden Dollar erhöhte. Es ist nicht so sehr die Sorge um eine komplette Pleite Worldcoms, die die Kurse in den Keller gehen lassen. Der wahre Grund liegt im Vertrauensverlust: Anleger und Analysten können den vorgelegten Bilanzen immer weniger glauben und halten sich mit Investments zurück.
Viele weitere Faktoren prügelten die Kurse immer tiefer: Die Terroranschläge vom 11. September versetzten der Weltwirtschaft einen Schlag, Hedge-Fonds sorgten im Sommer 2002 mit Leerverkäufen für weiter fallende Indizes, die Sorge um einen bevorstehenden Irak-Krieg lässt jede Hoffnung auf eine schnelle Erholung der Börsenkurse im Keim ersticken.
Doch diese externen Faktoren dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Probleme auch hausgemacht sind. Mit Verwunderung reagierte die gesamte Branche im Mai 2000 auf die erste große Dotcom-Pleite, den Konkurs von Boo.com. Geschäftsführer Christoph Wilanek erklärte noch am gleichen Tag im ZDNet-Interview, vom Konkurs selbst überrascht worden zu sein. Doch Analysten haben kurze Zeit später den wahren Grund ausgemacht: Zu viel Werbung und zu wenig Kundenservice ließen den Traum vom virtuellen Modehaus platzen. Die mangelnde Orientierung am User und gleichermaßen überhöhte wie unsinnige Ausgaben bedeutete für viele weitere Unternehmen das Aus. Zu den Pleitefirmen zählen unter anderem Metabox, Letsbuyit.com, Pixelnet, Phenomedia, Elsa, Gatrix, Popnet Internet, Netztel, Sportgate, Teldafax, Teamwork und Gigabell.
Viele der großen Unternehmen gingen nicht konkurs, sondern suchten in Fusionen und Übernahmen ihr Heil. So sorgten HP und Compaq mit ihrer Elefantenhochzeit für Aufsehen. Bereits im Juli 2000 hatte die Deutsche Telekom den US-Mobilfunker Voicestream für 50 Milliarden Dollar gekauft und musste dafür zwei Jahre später einen Verlust von 28 Milliarden Euro aufgrund hoher Abschreibungen bekannt geben. Die Anleger werden im kommenden Jahr die Zeche zahlen. Denn aufgrund der tiefroten Zahlen fällt zum ersten Mal in der Geschichte der T-Aktie die Dividende aus.
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