Zweifel am Öffnungswillen des neuen ICANN-Chefs

Seit wenigen Tagen steht der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) ein neuer Vorsitzender vor: Der Australier Paul Twomey folgte auf Stuart Lynn und versprach umgehend, die Organisation transparenter zu machen. In der Vergangenheit war die ICANN vielfach für ihre undurchsichtigen Strukturen und ihre Abhängigkeit vom US-amerikanischen Wirtschaftsministerium gescholten worden. Doch nach einem ersten Gespräch von ZDNet Australien mit Twomey wachsen die Zweifel an seinem Öffnungswillen.

Im Interview erklärte Twomey, generell enthalte seine Agenda drei Punkte: Zum ersten müsse man „sehr offen und gesprächsbereit zu allen Beteiligten sein.“ So sei man dafür kritisiert worden, die Online-Wahl der Direktoren wieder abgeschafft zu haben. „Aus Sicht des Komitees hat das aber nicht funktioniert“, so Twomey. In Europa und Nordamerika hätten sich Tausende von Surfern an der Wahl beteiligt, im südlichen Asien seien es aber Millionen von Menschen gewesen. Daraus habe sich ein grundsätzliches Ungleichgewicht ergeben. Durch Gespräche mit „anderen Internet-Organisationen und einzelnen Nutzern“ wolle man stattdessen künftig den Einfluss der Anwender auf die ICANN aufrechterhalten und ausbauen.

Der Jura-Professor Michael Froomkin von der University of Miami kommentierte diesen Schritt: „Eine ICANN, die sich von jedem demokratischen Gebaren verabschiedet, sollte sich ausschließlich auf technische Features konzentrieren. Ich mache einige bedenkliche Tendenzen aus, die auf eine Errichtung eines Reiches abzielen.“

Zum zweiten, so Twomey, wolle man ein Memorandum of Understanding mit dem amerikanischen Wirtschaftsministerium umsetzen. Was genau diese Absichtserklärung enthält blieb jedoch im Unklaren. ICANN-Direktor Andy Müller-Maguhn hatte bereits im vergangenen Jahr wiederholt geäußert, dass er es für problematisch halte, dass Root-Server-Dateien erst nach Zustimmung der US-Behörde geändert werden dürften. Dadurch wäre die ICANN unter anderem nach einem Anschlag auf die amerikanische Regierung handlungsunfähig, erklärte der deutsche ICANN-Direktor.

Zum dritten sei es an der Zeit, so Twomey weiter, dass sich die ICANN auch um Länder kümmere, die nicht der Organization for Economic Cooperation and Development (OECD) angehören. Nur so könne man eine wirklich globale Nutzergemeinde abdecken. Die Herausforderung bestehe darin, die Interoperabilität von Systemen mit unterschiedlichen Schriftzeichen zu gewährleisten. „Dies ist ein sehr complexes Thema, sowohl in wirtschaftlicher als auch linguistischer Hinsicht.“ Im pazifischen Raum etwa kämen vorwiegend Chinesisch, Koreanisch, Japanisch und Englisch zum Einsatz.“ Würden die darunter liegenden Systeme nicht miteinander kommunizieren können, würde auch der milliardenschwere internationale Handel Einschränkungen unterworfen.

Die Aussagen des Australiers hören sich nicht wirklich nach dem Versuch einer Demokratisierung der Organisation an, die originär für die Pflege der Kontaktdaten der Top Level Domains und die Verteilung der IP-Adressen zuständig ist. Um genau zu sein: Twomey hat keinen Plan vorgelegt, mit dem er die „drei Jahre Stillstand“ überwinden will, die die für die „.de“-Domain zuständige Denic im Februar bei der Diskussion um eine ICANN-Reform beklagt hat.

Die Geschäftsführerin des europäischen Dachverbandes der Registrierungsstellen CENTR, Marianne Wolfsgruber, beklagte im Februar in Berlin, dass das gegenseitige Vertrauen durch diverse Vorfälle der letzten Jahre stark gelitten habe. Sie äußerte jedoch die Hoffnung, dass mit der neuen Struktur auch neue Personen bei ICANN zum Zuge kommen und die „institutionelle Inzucht“ ein Ende finde.

ZDNet.de Redaktion

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