Online-Händler setzen aufs Weihnachtsgeschäft

Mit multimedialen Angeboten, mehr Surfkomfort und Spezialshops für neue Zielgruppen rüsten sich Deutschlands Online-Händler für das Weihnachtsgeschäft – und die Zukunft des Internethandels. Unangefochtener Spitzenreiter bei den meistgekauften Produkten im Netz bleiben mit einem Umsatzanteil von 21 Prozent Reisebuchungen.

Freitagabend im Internet. Das Gewusel auf den Seiten des Karstadt-Webshops erinnert an eine Mischung aus Comic und Computerspiel. Zwischen Werbung für edle Tropfen zum Fest und dem Download-Angebot für den Pop-Klassiker „Do they know it´s Christmas?“ bewegen sich daumengroße Figürchen über den virtuellen Weihnachtsmarkt. Überall auf dem PC-Bildschirm vor Christine Stumpf öffnen und schließen sich Sprechblasen.

Die 35-jährige Kogeschäftsführerin des Karlsruher Softwarespezialisten Bluehands lehnt sich in ihrem Schreibtischstuhl zurück und lächelt, während die digitalen Däumlinge angeregt über die Qualität der jüngsten Neuauflage des einstigen Band-Aid-Hits diskutieren. Zufrieden verfolgt Stumpf, wie eine Hand voll Freunde ihren Weihnachtsbummel durchs Web genießen. Möglich macht das eine von Bluehands entwickelte Software namens Lluna. Mithilfe so genannter „virtueller Präsenzen“ können Onliner unabhängig von ihrem tatsächlichen Standort zu gemeinsamen Touren durchs Web aufbrechen, sich für die Mitreisenden durch kleine Symbolbilder sichtbar machen und über die Sprechblasen miteinander kommunizieren. „Das macht viel mehr Spaß, als wenn man alleine im Netz unterwegs ist“, verspricht Stumpf.

Derlei kollektive Bummel über digitale Weihnachtsmärkte oder andere Shoppingportale im Netz sind – noch – die Ausnahme im E-Commerce. Doch der Trend zu mehr Service und komfortableren Einkaufserlebnissen am PC-Bildschirm ist eindeutig. Rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft bauen Deutschlands Online-Händler ihre Web-Auftritte um, erweitern die Internetfilialen um neue Surf- und Suchfunktionen oder eröffnen Shops in neuen Marktnischen.

Für den Innovationsschub zum Jahresende haben die so genannten E-Tailer – so der Branchenbegriff für die Internethändler in Anlehnung an den englischen Branchenbegriff „Retail“ – einen guten Grund. „Das Weihnachtsgeschäft ist auch für uns Online-Händler besonders wichtig“, sagt Ralf Kleber, Deutschland-Chef von Amazon. Das einst als Buchhändler gestartete und mittlerweile zum Web-Warenhaus mutierte Unternehmen machte 2003 mehr als ein Drittel seiner Umsätze im Weihnachtsquartal.

„Weihnachtszeit ist die Hauptsaison für Internetshops. 25 bis 50 Prozent des Jahresgesamtumsatzes des Online-Handels entfallen auf die letzten Wochen des Jahres“, sagt Matthias Ehrlich, Vertriebsvorstand beim Internetportal Web.de. Und das Geschäft wächst: „Im Durchschnitt wird in diesem Jahr jeder deutsche Onliner 137 Euro für Web-Einkäufe in der Weihnachtszeit ausgeben“, rechnet Hellen Omwando, E-Commerce-Spezialistin beim Marktforscher Forrester Research in Amsterdam, vor. „2003 waren es mit nur 109 Euro noch durchschnittlich 20 Prozent weniger.“

Insgesamt summieren sich die elektronischen Weihnachtseinkäufe der Bundesbürger auf rund 3,8 Milliarden Euro; ein Plus von fast 35 Prozent. Nahezu jeder dritte in diesem Zeitraum in Europas Internet umgesetzte Euro fließt damit in die Kassen deutscher Web-Shops; nur in Großbritannien wechselt beim Christmas-Shopping im Internet mit 4,2 Milliarden Euro noch mehr Geld den Besitzer. Das starke Wachstum im Web elektrisiert auch die Werbebranche. Nach Berechnung von Nielsen Media Research werden alleine in Deutschland die Bruttowerbeausgaben im Internet voraussichtlich um mindestens 35 Prozent auf wenigstens 350 Millionen Euro steigen.

Dank des anhaltenden Booms im E-Commerce geben europäische Online-Shopper in diesem Jahr zudem erstmals mehr Geld auf den digitalen Weihnachtsmärkten aus als ihre Pendants in den USA. Während diesseits des Atlantiks die Online-Umsätze im Advent gegenüber dem Vorjahr europaweit voraussichtlich um 44 Prozent auf rund 13 Milliarden Euro steigen werden, geht das Volumen in den Staaten von 13 auf 10 Milliarden Euro zurück.

Verantwortlich für die Verschiebung ist nicht nur die aktuelle Euro-Stärke. „Während in Europa der E-Commerce ungeachtet der Nachfrageflaute im stationären Handel weiter boomt, entwickeln sich in den USA Online- und Offline-Umsätze inzwischen weit gehend parallel“, erklärt Omwando. „Folglich fallen die Web-Verkäufe dort ähnlich flau aus, wie in der realen Welt.“

In Deutschland nimmt mit der wachsenden Online-Gemeinde auch die Zahl potenzieller Kunden weiter zu. War 2001 erst jeder dritte Bundesbürger im Netz, überspringt die Surferquote laut IT-Branchenverband Bitkom in diesem Jahr erstmals die 50-Prozent-Schwelle. „Gleichzeitig steigt die Zahl der langjährigen Onliner, die schon wiederholt etwas im Web gekauft haben“, sagt Olivier Beauvillain, Analyst beim Marktforschungsunternehmen Jupitermedia in Paris. „Mit zunehmender Erfahrung kaufen diese Kunden nicht nur mehr, sondern auch teurere Produkte.“

Zudem ändert sich die Käuferstruktur: „Mehr als zwei Fünftel aller Einkäufe im Netz gehen inzwischen auf das Konto weiblicher Konsumenten“, so Rüdiger Trautmann, Chef des E-Payment-Anbieters Pago. „Zudem geben Frauen im Mittel auch noch rund 14 Prozent mehr Geld im Web aus als der männliche Durchschnittsonliner.“ Und sie kaufen andere Produkte: Orderten die bisher im Netz dominierenden Männer hauptsächlich technische Geräte, suchen Frauen eher Kleidung und Haushaltswaren.

Auf die sich verändernden Zielgruppen reagieren die Shopbetreiber. Rechtzeitig zum Weihnachtseinkauf wendet sich etwa der bisher vorwiegend für sein kaum überschaubares Angebot an technischen Produkten für Heim- und Profielektroniker bekannte Spezialanbieter Conrad Elektronic unter dem neuen Label „Conrad-Sisters“ nun mit einem speziellen Shop an die weibliche Kundschaft im Netz. Auf der Homepage sollen unter anderem ein „kuscheliger Fußwärmer mit eingebauter Massagefunktion“ oder ein „Ultraschallgerät zum Vertreiben von Spinnen“ die Kundin zur Online-Order bewegen. Amazon-Manager Kleber wiederum erweitert die Zielgruppe Richtung jüngerer Kunden und startet erstmals ein eigenes Angebot speziell mit Weihnachtsgeschenken für Kinder.

Unangefochtener Spitzenreiter bei den meistgekauften Produkten im Netz bleiben mit einem Umsatzanteil von 21 Prozent Reisebuchungen – „allein schon wegen der insgesamt deutlich höheren Summen pro Transaktion“, sagt Forrester-Analystin Omwando. Doch der Markt ist im Wandel. Zweitgrößter Umsatzbringer dürften in diesem Jahr erstmals Orders von Kleidung sein (zwölf Prozent), gefolgt von Lebensmitteln und Büchern mit je zehn Prozent.

Grund für den Nachfragesprung bei Kleidung ist der Trend bei Internetkunden, ihre Einkäufe bei den klassischen Versandhändlern via Web und nicht mehr telefonisch oder per Post abzuwickeln. „Das ist ein hochprofitables Geschäft“, frohlockt Konzernchef Michael Otto, dessen Branchenriese 2003 rund zwei Milliarden Euro im Web umsetzte. Damit machte der nach eigenen Angaben hinter Amazon weltweit zweitgrößte Online-Einzelhändler 2003 rund 24 Prozent mehr Umsatz im Web als im Vorjahr. Und der Wachstumstrend hält an. Auch in diesem Jahr wächst Ottos Online-Geschäft zweistellig.

Das dürfte – nicht nur beim größten deutschen E-Tailer – noch eine Weile so weitergehen. Vor allem dank einer zunehmenden Verbreitung schneller Beitband-Internetzugänge, etwa über so genannte DSL-Anschlüsse. Wer schneller surft, kauft schneller – und mehr, so eine Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting. Bis 2008 soll sich die Zahl der DSL-Anschlüsse in Deutschland nach Schätzungen von Marktforschern auf 12,6 Millionen verdreifachen.

Dank High-Speed-Internet wird auch die alte Vision des Einkaufs mithilfe virtueller Assistenten realistisch, wie etwa die gemeinsamen virtuellen Einkaufsbummel der digitalen Däumlinge von Christine Stumpf und ihren Freunden belegen. Für ein entscheidendes Manko auch der modernsten E-Commerce-Technologien aber hat die Karlsruherin noch keine Lösung: „Beim Gruppenspaziergang im Web fehlt das echte Weihnachtsmarktgefühl“, sagt die Softwaremanagerin. „Glühweinduft und Zimtsternstimmung gibt es nicht am PC.“

ZDNet.de Redaktion

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