Deutschland geht neue Wege in der Software-Entwicklung. Mit dem so genannten V-Modell XT will der Bund vermeiden, dass sich Desaster wie beim Maut-System Toll-Collect oder der Software für Hartz IV wiederholen. Wissenschaftler haben deshalb einen neuen Standard entwickelt, nach dem künftig Software für den öffentlichen Bereich, aber auch für viele Firmen, entwickelt werden soll. „Bis zu 70 Prozent aller Software-Projekte verzögern sich und sind viel zu teuer, oft scheitern sie sogar“, sagt Nigel Brown, Europachef des amerikanischen Softwarehauses Borland. Warnend fügt er hinzu: „Die Software-Entwicklung ist immer noch mehr eine Kunst, als eine industrielle Tätigkeit.“ Das zeigte sich zuletzt bei Großvorhaben wie der LKW-Maut, die unter anderem durch Softwarefehler um viele Monate zurück geworfen wurden. Schäden in Milliardenhöhe waren die Folge.
Die Bundesregierung hat diese Herausforderung früh erkannt und führte deshalb bereits in den 90er Jahren einen Leitfaden für die Software-Entwicklung der öffentlichen Hand ein. Das so genannte Vorgehensmodell, kurz V-Modell, wurde zur Pflicht für öffentliche Aufträge und wird zudem in zahlreichen Unternehmen benutzt, vor allem in der Automobilindustrie.
Allerdings hat diese Vorgehensweise zahlreiche Mängel und wurde zuletzt 1997 aktualisiert. Deshalb haben Informatiker der TU München und der TU Kaiserslautern das V-Modell komplett überarbeitet und nun die neue Version XT heraus gebracht. Im Boot saßen aber auch Industriekonzerne wie Siemens und EADS.
„Jetzt lässt sich das Modell sehr genau auf jedes einzelne Projekt zuschneiden“, erläutert Manfred Broy, Professor an der TU München, einen der Unterschiede zur Vorgänger-Version. Zudem war in dem Modell bislang vorgesehen, dass ein Schritt genau nach dem anderen zu folgen habe. Das sei jetzt nicht mehr nötig. Broy: „Nun kann man mit der Implementierung und Integration anfangen und dann erst die Anforderungen festlegen.“ Ein großes Problem aller Softwareprojekte sei, dass sich die Anforderungen oft ändern. Experten sind sich einig, dass es deshalb schwierig ist, die Reihenfolge genau vorzugeben.
„Wenn Projekte scheitern, liegt es oft an Planungsmängeln“, klagt Wolfgang Stolp, Präsident des IT-Amtes der Bundeswehr, des Auftraggebers des neuen Modells. Die Herausforderung haben die Forscher aufgenommen. Bislang war es so, dass der Auftragnehmer Vorgaben erhielt und dann kontrolliert wurde. Weil aber auch auf Seite der Auftraggeber Dinge in die falsche Richtung laufen können, wurden jetzt Rollen für beide Seiten festgelegt. „Viele Schwierigkeiten ergeben sich aus Reibereien zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer“, sagt Broy.
Die Industrie hat die Vorgaben des V-Modells XT bereits übernommen und die entsprechenden Werkzeuge und Programme auf den Markt gebracht. „Die Software-Entwicklung wird immer stärker automatisiert“, zeigt sich Borland-Manager Brown überzeugt. „Damit wird die Ausfallrate von Software-Projekten langfristig deutlich zurück gehen.“ Künftig solle das V-Modell XT alle sechs Monate auf den neuesten Stand gebracht werden, verspricht Andreas Rausch, Professor an der TU Kaiserslautern. Bund und Industrie haben bis kommendes Jahr rund vier Mill. Euro für das Vorhaben eingeplant.
In Zukunft wird das neue Modell als verbindlicher Standard für Software-Projekte des Bundes gelten. Die Forscher hoffen aber, dass es sich auch außerhalb der Landesgrenzen durchsetzen kann. Das hält Borland-Manager Brown für durchaus realistisch: „Wenn das Modell in Deutschland erfolgreich ist, hat es im Ausland eine Chance.“ Bislang fehlt ein einheitlicher europäischer Standard. Der Staat ist einer der größten Auftraggeber für die Software-Industrie: Alleine in der Bundeswehr laufen derzeit 770 Projekte.
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