Interessenten, die sich bei der Siemens um eine Lehrstelle bewerben, erwartet ab dem Herbst ein völlig neues Verfahren: Der Konzern plant die komplette Umstellung auf Online-Bewerbungen. Dicke Briefumschläge mit Stapeln von Kopien sind passé, E-Recruiting heißt das Zauberwort für die Personalsuche der Zukunft.
„Wir bekommen bundesweit bis zu 65.000 Bewerbungen im Jahr, da sind Heerscharen von Menschen mit der Sichtung beschäftigt“, sagt Philip Huber, Leiter des Bewerbermarketings bei Siemens. Rund 30 Prozent dieser Bewerbungen gehen schon jetzt online ein – zukünftig werden es 100 Prozent sein. Um die neue Technik für das Unternehmen optimal zu nutzen, entwickeln Huber und seine Kollegen derzeit Selektions-Tools und Testverfahren, mit denen Fähigkeiten und Eigenschaften der Bewerber automatisch ermittelt werden können.
Die Siemens-Pläne stehen für einen bundesweiten Trend: Immer mehr Unternehmen erklären klassische Papier-Bewerbungen zum Auslaufmodell. Statt dessen stellen sie elektronische Bewerbungsformulare ins Internet und fordern Interessenten auf, Zeugnisse und ein Foto zu scannen und mit dem Lebenslauf per Mail einzureichen. „Danach gibt es allerdings häufig einen Medienbruch“, sagt Axel Evers, Produktmanager beim Internet-Karriereportal Jobpilot/Monster. „Viele Firmen betreiben E-Recruiting, nutzen die Vorteile aber nicht konsequent.“ So würden die digitalen Bewerbungen oft ausgedruckt und dann „klassisch von Hand“ bearbeitet.
„Zahlreiche Chancen für effektives Bewerbermanagement gehen damit verloren“, bestätigt Rainer Möller, Geschäftsführer der Willmy Consult & Content GmbH in Nürnberg. Zusammen mit dem Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik an der Uni Erlangen-Nürnberg hat Möller die Software Persokomp entwickelt, die vor allem kleinen und mittleren Unternehmen die Chance bieten soll, elektronisch eingegangene Bewerbungen weiter zu verarbeiten. „Das Programm vergleicht das Stellenprofil des Unternehmens mit den Kompetenzprofilen der Bewerber und erstellt daraus ein Ranking“, erläutert Möller die Funktionsweise.
Dazu muss der potenzielle Mitarbeiter online einen Fragenkatalog ausfüllen, der von Psychologen entwickelt wurde. Geprüft werden neben fachlichen Qualifikationen auch Soft-Skills wie Teamfähigkeit und Durchsetzungsvermögen. Dem Stellenanbieter zeigt das Programm dann detailliert, wie gut welcher Bewerber auf die ausgeschriebene Stelle passt. „Wir sprechen dabei aber ganz bewusst von einer Vorauswahl“, sagt Rainer Möller, „denn natürlich kann die Software niemals 100-prozentig einen Menschen abbilden. Eine Papierbewerbung allerdings kann das auch nicht.“
Um die Nutzung von Persokomp für kleine Firmen attraktiv zu machen, wird das Programm ab April auch als so genannte ASP-Lösung (Application Service Providing) zur Verfügung stehen. Unternehmen können das Management-Tool dann für ein Bewerbungsverfahren mieten. „Unter 1 000 Euro“ lägen die Kosten pro Stellenausschreibung, verspricht Rainer Möller.
Auf ein ähnliches Konzept setzt auch Jobpilot-Manager Axel Evers: Ab 545 Euro pro Monat aufwärts können Firmen ihre Bewerbersuche auf den Rechnern des Karriereportals abwickeln lassen – inklusive der Einrichtung automatischer Filter, die genau jene Kriterien bewerten, die für die ausgeschriebene Stelle interessant sind.
Jeder Bewerber erzielt dabei eine bestimmte Zahl von Punkten. Axel Evers: „Wir können ganz genau einstellen, ab welchen Punktwerten ein Interessent einen automatischen Zwischenbescheid oder eine Absage erhält.“
In der Praxis setzt sich die Personalauswahl mit Hilfe von Software bislang allerdings nur zögerlich durch – viele Unternehmen reagieren noch skeptisch auf die neuen Programme. So gehen beim Energiekonzern RWE zwar knapp 25 Prozent der Bewerbungen online ein, die Bewertung erfolgt aber durch die Experten der Personalabteilung. „Eine Auswahl, die der Persönlichkeit des Bewerbers gerecht wird, kann der Computer noch nicht leisten“, heißt es dazu in der RWE-Zentrale in Essen.
Bei Siemens in München hofft man dagegen auf spürbar gesteigerte Effizienz bei der Bearbeitung von Bewerbungsverfahren – und setzt trotzdem auf die Kompetenzen der Personalfachleute. „Schriftliche Eignungstests oder das persönliche Gespräch können durch solche Tools zwar nicht ersetzt werden“, betont Philip Huber, „sie erleichtern uns aber die erste Auswahl und Kategorisierung.“
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