Die meisten Naturkatastrophen wie die Überschwemmung von Flüssen, Erdbeben oder Unwetter treten zwar plötzlich auf, ihr Verlauf kann jedoch recht genau vorhergesagt werden. „Viele Systeme stehen am Rande ihrer Belastung, kippen plötzlich um und greifen wie in einem Dominoeffekt auf andere Sektoren über“, sagt Dirk Helbing. Welche Reaktionsketten zu erwarten sind und wie diese beeinflusst werden können, das hat der Professor an der Technischen Universität Dresden zusammen mit seinem Team untersucht und ein Simulationsprogramm entwickelt, mit dem die Auswirkungen verschiedener Katastophen durchgespielt werden können. Seine neueste Studie behandelt die Auswirkungen von Erdbeben, großflächigen Stromausfällen – so genannten Blackouts -, Unwetterkatastrophen, Terroranschläge sowie Epidemien.
Früher hat sich Helbing vor allem mit der Simulation und Vorhersage von Staus beschäftigt. Doch so viel anders sei die Simulation von Katastophen auch nicht, sagt der Naturwissenschaftler. Wie bei der Verkehrsplanung gehe es darum, Zusammenhänge zu erkennen und in einem Modell abzubilden. „Die meisten Katastrophen beginnen lokal. Die Überlastung eines Bereichs führt dann aber schnell zu einer Ausbreitung auf angrenzende Sektoren“, fasst Helbing seine Ergebnisse zusammen. In manchen Fällen könne diese Dynamik sogar Konsequenzen in globalem Maßstab haben.
Welche Reaktionsketten bei einem großflächigen Stromausfall in Gang gesetzt werden, zeigt der Blackout in Nordamerika im Jahre 2003, bei dem zeitweilig 50 Millionen Menschen ohne Strom waren. Der plötzliche Ausfall eines Kraftwerkes hatte zu einem kaskadenartigem Abschalten anderer Kraftwerke geführt, um Überlastungen zu vermeiden. In der Folge war auch die Wasserversorgung betroffen, da der Wasserdruck ohne Pumpen absackte. Darüber hinaus lag der Verkehr lahm. Viele Flughäfen waren geschlossen, der Ausfall der Lichtsignalanlagen bewirkte ein Verkehrs-chaos, und Tankstellen konnten kein Benzin pumpen.
Um die komplexen Wirkzusammenhänge einer Katastrophe transparenter zu machen, haben die Wissenschaftler die Auswirkungen einer Katastophe als Netzwerk dargestellt und in ein Computermodell überführt, das die Berechnung der Ausbreitungsdynamik unter Berücksichtigung der ansonsten kaum überschaubaren Rückwirkungen erlaubt. So lässt sich nun voraussagen, in welcher zeitlichen Abfolge bestimmte Sektoren vom Ausfall bedroht sind. „Statt das Katastrophenmanagement auf die Beseitigung von Folgen zu konzentrieren, können die Einsatzkräfte mit unserer Technik die Ausbreitung einer Katastrophe gezielter bekämpfen“, sagt Helbing.
Die computergestützte Methode eignet sich jedoch nicht nur zur Vorhersage. Die Forscher interessieren sich auch für die Katastrophenlogistik und für Organisationsstrukturen. Untersucht wird u.a. wie verflochtene Liefernetzwerke für Energie, Material, Spezialgeräte oder Informationen am besten gemanagt werden können. „Das schwächste Glied einer Lieferkette bestimmt ihre Wirksamkeit, so dass die Effizienz vieler Maßnahmen unter schwierigen Bedingungen gering ist“, sagt Helbing. Hier könnten redundante Netzwerkkonzepte helfen, die Versorgung zu sichern, wenn Informationen oder Materialien ausfallen.
Mit ihrem Modell können die Forscher auch die Wirksamkeit verschiedener Bekämpfungsmaßnahmen überprüfen und Nebenwirkungen aufzeigen. „Manchmal wird durch die Simulation deutlich, dass mit einer geplanten Hilfsmaßnahme genau das Gegenteil erreicht wird“, sagt der Mathematiker. Daher ließe sich nicht nur der Einsatz verfügbarer Resourcen optimieren, sondern auch Schlimmeres verhindern.
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