Infosys-Chef Nandan Nilekani hat eine klare Vorstellung von der Zukunft der IT-Industrie, und sein Konzern spielt darin eine Schlüsselrolle. „Die Branche steckt in einem fundamentalen Umbruch“, sagt er. „Daraus erwachsen neue Marktführer, und wir wollen dazuzählen.“ Triebkraft der Umwälzung ist Offshoring – die Verlagerung von Arbeit in Niedriglohnländer. Firmen wie Infosys und ihre schärfsten heimischen Rivalen TCS und Wipro haben diesen Trend zuerst konsequent genutzt und damit eine neue Front der Globalisierung eröffnet. Die IT-Dienstleister entwickeln Software für Kunden aus dem Westen, verwalten Datenbanken, warten Computersysteme, übernehmen Büroarbeiten und bieten zunehmend Ingenieurdienste an.
Der Kostendruck durch die neuen Konkurrenten zwingt Konzerne wie IBM oder Accenture dazu, ihre Entwicklungskapazitäten in Indien stark auszubauen. Analysten sehen das als mögliche Bedrohung für Infosys. Doch Nilekani wiegelt ab: „Es reicht nicht, Entwickler in Indien einzustellen. Es geht doch nicht nur um Löhne.“ Westliche Firmen müssten ihre Organisationen völlig umkrempeln, um Offshoring effizient zu integrieren. Das führe zu großen inneren Verwerfungen und dauere lange. „Accenture oder IBM können uns keine Konkurrenz machen, unser Geschäftsmodell ist ihrem fundamental überlegen“, sagt er. „Der IT-Dienstleister der Zukunft muss Entwicklung in Niedriglohnländern mit weltweitem Vertrieb und Consulting verbinden.“ Eben wie Infosys.
Starke Sprüche kann sich der Manager leisten, solange sein Unternehmen so atemberaubend schnell wächst und mit einer Nettogewinnmarge von 27 Prozent Indiens profitabelster IT-Dienstleister ist. 1999 betrug der Umsatz 129 Millionen Dollar – 2004 lag er bei 1,6 Milliarden Dollar, ein Plus von 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. IBM schaffte nur acht Prozent Wachstum.
Aber noch ist Infosys ein Zwerg im Vergleich zu seinen US-Wettbewerbern. Diese werfen jahrzehntealte Kundenbeziehungen, starke Marken, Branchen-Know-how und bewährtes Consulting in die Waagschale. Genau da startet Nilekani seine Aufholjagd. Er hat eine teure und riskante Offensive ins Beratungsgeschäft gestartet. Sie soll Infosys auf Augenhöhe mit Firmen wie Accenture und EDS bringen. Analysten halten diesen Vorstoß in ein unbekanntes Geschäft für die größte Herausforderung indischer IT-Firmen auf dem Weg zu globalen Größen. Aber Nilekani sieht keine Alternative zur Einstellung Hunderter teurer Berater: „Unsere Kunden fordern komplette Endlösungen, dazu müssen wir ihr Geschäft verstehen.“ Ohne Consulting sei dies unmöglich.
Der Manager weiß, dass sich Infosys´ Wachstum in einigen Jahren verlangsamen wird. Das setzt ihn unter Zeitdruck. Um die Umbruchphase auszunutzen, müsse die Firma so schnell wachsen, wie es geht. Sein Mantra dafür: standardisierte Abläufe, die es erlauben, das Geschäftsvolumen rasant hochzufahren. Was das heißt, zeigt sich im Personalwesen: Die Personalabteilung kann pro Tag bis zu 10&nsbp;000 Bewerbungen bearbeiten, ein internes Weiterbildungszentrum unterrichtet gleichzeitig bis zu 4500 Mitarbeiter. 2004 hat Infosys 14.500 Mitarbeiter eingestellt und dazu 1,3 Millionen Bewerbungen geprüft. Für die „Neuen“ sind 300.000 Quadratmeter Bürofläche im Bau.
Europa hat sich gegen Offshoring lange viel stärker als die USA gesperrt. Aber inzwischen wächst das Geschäft von Infosys am schnellsten in Deutschland, Holland, Skandinavien und der Schweiz. Gerade hat Nilekani einen neuen europäischen Kunden an Land gezogen: 300 seiner Ingenieure werden für den Siemens-Konkurrenten Alstom umweltfreundliche Kraftwerke der nächsten Generation entwickeln.
Branchenkenner sehen asiatische IT-Firmen in Versuchung, mit eigenen Produkten auf den Markt zu drängen, statt Aufträge aus dem Westen abzuarbeiten. „In den nächsten zehn Jahren werden viel mehr Innovationen aus Indien und China kommen“, sagt auch Nilekani. Denkbar für ihn ist ein Partnermodell, bei dem Firmen wie seine die eigene Software auf etablierte Plattformen wie Microsoft aufsetzen.
Eine „riesige Wachstumschance“ sieht der Infosys-Chef zudem in der Automatisierung von Geschäftsprozessen wie Auftragsverwaltung, die westliche Konzerne zunehmend an Offshore-Anbieter auslagern. „Die Automatisierung wird dramatisch zunehmen“, prophezeit er, „und wir selbst müssen darin die Führung übernehmen.“ Gelingt dies, würden viele seiner heute 36.000 Angestellten überflüssig. Nilekani will sie umschulen und fordert Flexibilität: „Wer still steht, hat verloren. Nur wer alte Kenntnisse ständig über Bord wirft und Neues lernt, kann in diesem Geschäft überleben.“
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