In den vergangenen zehn Jahren interessierten sich eigentlich nur Computer-Freaks mit Headset für Internet-Telefonie. Doch mittlerweile machen nicht nur Privatkunden, sondern auch Unternehmen Gebrauch von der Sprachübertragung per Internet. Noch agieren die klassischen Telekom-Unternehmen defensiv, dabei steht die Branche nach Einschätzung von Experten vor tiefgreifenden Umwälzungen. Verschwindet die Trennung von Sprach- und Datennetzen, kann mittelfristig nur noch ein geringer Umsatz mit herkömmlichen Telefongesprächen erzielt werden. Auf lange Sicht würde das konventionelle Telefon-Festnetz nach diesem Szenario gar keine Rolle mehr spielen.
Derzeit ist VoIP noch kein Massenmarkt. Einer Studie des Beratungsunternehmens Deloitte zufolge telefonieren in Deutschland nur rund eine halbe Million Privatnutzer regelmäßig über das Internet. Etwa 14 Prozent der deutschen Unternehmen haben auf VoIP umgestellt. Das Bundeswirtschaftsministerium geht davon aus, dass bis 2010 in fast jedem dritten Privathaushalt VoIP genutzt und in bis zu 60 Prozent der Unternehmen eingesetzt wird. Bis 2020 werde die Internet-Telefonie das klassische Telefonnetz vollständig ersetzt haben.
Deloitte schätzt, dass das Marktvolumen für VoIP-Lösungen in Deutschland bis zum Jahr 2007 auf 528 Mill. Euro wachsen wird. Die großen europäischen Ex-Monopolisten wie British Telecom, Deutsche Telekom und France Télécom müssten in den nächsten Jahren mit Umsatzausfällen in Milliardenhöhe rechnen. „Die Substitution ihrer Produkte durch VoIP ist kein Zukunftsszenario, sondern hat bereits begonnen“, heißt es in der Deloitte-Studie. Doch bisher gelten die Geschäftsmodelle der Telekom-Konzerne als wenig geeignet, die durch die Konkurrenz von Internettelefonie und Mobilfunk zu erwartenden Ausfälle im klassischen Geschäft kompensieren zu können.
„Die Telekom-Anbieter haben erkannt, dass sie umdenken müssen“, meint Steve Blood, Analyst beim Marktforscher Gartner. „Gelingt es ihnen nicht, zu diversifizieren und zusätzliche Services anzubieten, werden sie zu den Verlierern gehören.“ Der Konkurrenzdruck durch reine VoIP-Anbieter wie Skype werde noch zunehmen. Blood rechnet daher mit einer Fusionswelle. In Zukunft werde es mehrere große Konzerne geben, die sowohl Internet als auch Festnetz und Mobilfunk anbieten. Als ein Indiz für diesen Trend wertet der Gartner-Analyst die kürzliche Übernahme des spanischen Mobilfunkers Amena durch France Télécom.
Zurückhaltend wird die Internet-Telefonie von Deutsche Bank Research beurteilt. „Voice over IP ist zwar technisch ausgereift, aber die Kostenvorteile sind zu gering. als dass große Nutzergruppen erschlossen werden können“, sagt Analyst Stefan Heng. Von einem Massenmarkt sei Internet-Telefonie noch weit entfernt. Als allein stehendes Produkt interessiere VoIP deswegen kaum. „Das, was wir Triple Play nennen, also ein Produktbündel von TV, Sprach- und Datentelefon, kann ein Ausweg sein“, meint Heng. Für international agierende Unternehmen lohne sich der Wechsel zur Internet-Telefonie allerdings schon jetzt: „Die Kostendifferenz zur üblichen Telefonie ist groß genug.“
Noch profitieren die Telekom-Unternehmen in Deutschland von der bestehenden Regulierung. Die sieht vor, dass der für VoIP notwendige Breitbandanschluss an einen Festnetzanschluss gekoppelt ist. Für den Privatnutzer relativieren sich so nicht nur die Kostenvorteile, er wird zugleich an das klassische Telefonnetz gebunden. Würde der zuständige Regulierer, die Bundesnetzagentur, eine Entkoppelung der Dienste beschließen, dürfte der Internet-Telefonie der Durchbruch gelingen. Deutsche Bank-Analyst Heng hält einen solchen Schritt jedoch erst in drei oder vier Jahren für wahrscheinlich.
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