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Radikalkur für Siemens verordnet

Mit einem drastischen Schnitt will Klaus Kleinfeld das Ruder bei den drei Siemens-Problemsparten herumreißen: Der Konzernchef verordnet dem Unternehmen eine Radikalkur – ein Programm für die Zukunft der Verlustbringer bleibt er schuldig. Dass Klaus Kleinfeld bald durchgreifen würde, deutete sich bereits vor Kurzem an – zumindest verbal. „Probleme werden nicht dadurch einfacher, dass man sie auf die lange Bank schiebt“, sagte der Siemens-Chef vor wenigen Tagen in einem Interview. „Ich möchte aber keine Zeit verlieren.“

Anfang der Woche hat Kleinfeld seine wenig verhohlene Drohung in Richtung der Verlustbringer des Konzerns wahr gemacht. Mit einem drastischen Schnitt will Kleinfeld das Ruder bei den drei Siemens-Problemsparten herumreißen: In den Bereichen Kommunikation (Com), Computer-Dienstleistungen (Siemens Business Services, SBS) und Logistik (L&A) will der 47-Jährige in den kommenden zwei Jahren durch Stellenstreichungen und Betriebsauslagerungen mehr als 10.000 Stellen abbauen. Im abgelaufenen dritten Quartal des laufenden Geschäftsjahres hatten die drei Geschäftsfelder, die immerhin für knapp 30 Prozent des Gesamtumsatzes stehen, fast 230 Millionen Euro Verlust gemacht – ohne das tiefrote Handygeschäft, das Siemens an den Taiwaner Benq verkauft, zu berücksichtigen.

Trotz des Umbaus erntet Kleinfeld längst nicht nur Beifall. „Wir waren schon ein wenig enttäuscht, denn bis auf SBS sind die Pläne sehr vage“, sagt Jochen Klusmann, IT-Analyst der BHF-Bank. Während Kleinfeld aus Sicht der Analysten nicht weit genug geht, kritisiert die Gewerkschaft seine Pläne aus der entgegengesetzten Richtung: „Kleinfeld zielt mehr auf den Aktienkurs als auf operative Verbesserungen“, sagt Wolfgang Müller, Siemens-Aufsichtsrat und IG-Metall-Vertreter.

Kleinfelds Aktionismus wundert indes nicht. Er will um jeden Preis vermeiden, als Zauderer zu gelten. Schließlich hatte sich sein Vorgänger Heinrich v. Pierer lange geziert, eine Entscheidung über die Zukunft der defizitären Handysparte zu fällen. Und auch Kleinfeld konnte nach seinem Amtsantritt Anfang des Jahres nicht sofort eine Lösung des Problems bieten, als das Geschäft immer tiefer in die Krise schlitterte und zuletzt eine Million Euro Miese am Tag machte. Der Neuling an der Konzernspitze trat in der Öffentlichkeit jungenhaft und charmant auf. Und blieb eine Antwort schuldig. Bis Juni. Da reagierte er schließlich. Kalt lächelnd und mit einem Paukenschlag: Er verschenkte das Handygeschäft an den taiwanischen Computer- und Unterhaltungselektronikhersteller BenQ – und legte als Mitgift noch 300 Millionen Euro obendrauf. Ähnlich hart will er jetzt bei den verbleibenden Verlustsparten durchgreifen.

Problemfeld SBS. Das Geschäft mit IT-Dienstleistungen ist das größte Sorgenkind des Konzerns. Bei dem Ende 1995 aus dem Siemens-Nixdorf-Erbe hervorgegangenen Bereich war nie klar, in welche Richtung es – außer dem Betrieb der Siemens-eigenen Computersysteme und Netzwerke – eigentlich gehen soll. Mit Chittur Ramakrishnan, heute Chef der IT-Abteilung bei RWE, Friedrich Fröschl, Paul Stodden und Adrian von Hammerstein wurden über die Jahre vier unterschiedliche Managertypen an die Spitze von SBS berufen. Doch keinem gelang es, die Sparte im Wettbewerb gegen die Branchengrößen wie IBM, EDS oder CSC in Stellung zu bringen.

Zuletzt nahm am vergangenen Montag von Hammerstein nach vielen aufreibenden Meetings mit dem Zentralvorstand entnervt seinen Hut – der zweite Abgang eines hochrangigen Siemens-Managers in kurzer Zeit. Erst Anfang September wechselte Lothar Pauly, bis dahin Chef der Kommunikationssparte, überraschend zur Telekom-Tochter T-Systems. Nachfolger von Hammersteins ist Christoph Kollatz, der bisher das Geschäftsfeld Straßenverkehrstechnik innerhalb der Industriedienstleistungssparte I&S geleitet hat. Kollatz ist bei SBS kein Unbekannter: Vor seinem Job bei I&S war er ein Jahr für das SBS-Geschäft in Zentral- und Südosteuropa zuständig.

SBS ist trotz mancher Korrekturen – wie dem Verkauf des PC-Wartungsgeschäfts Anfang des Jahres an den Dienstleister A&O – bis heute ein Gemischtwarenladen. Die Dienste umfassen einfachste Computerschraubereien bis zum kompletten Rechenzentrumsbetrieb, und das bei Personal- und Verwaltungskosten weit über dem Branchenschnitt. Gleichzeitig sind die Preise bei IT-Dienstleistungen wegen Überkapazitäten und Nachfrageschwäche im Keller. Beides verhagelt SBS die Marge. Die Sparte schreibt seit fünf Quartalen in Folge rote Zahlen.

Der jetzt angekündigte Personalabbau von 2400 Stellen in Verbindung mit der Schließung von zwei Dritteln aller SBS-Standorte – statt 63 künftig nur noch 20 Niederlassungen in Deutschland – ist freilich kaum mehr als eine längst fällige Anpassung der Kapazitäten. Bis Ende 2007 will Kleinfeld 1,5 Milliarden Euro einsparen. Er hofft, dass ihm der Abbau bei der Suche nach starken Partnern hilft: „Optionen in jeder Variante sind besser, wenn Siemens Business Services stark ist.“

Dennoch steht eine Entscheidung über die Zukunft des Geschäfts weiter aus. „Kostensenkungen lösen kein strategisches Defizit“, sagt Peter Kreutter vom Institute for Industrial Organization an der WHU in Vallendar. Ihn erinnert Kleinfelds Vorgehensweise bei SBS an die im Handygeschäft. „Ähnlich wie dort hat er vielleicht auch für SBS länger einen Partner gesucht. Als er den nicht fand, hat er die Sanierung selber in die Hand genommen“, sagt Kreutter. „Zumindest bei den Mobilfunkgeräten hat er dadurch letztlich den Verkauf vorbereitet.“ Möglicherweise sei das auch Kleinfelds Plan mit der IT-Services-Sparte.

Fast noch härter muss Kleinfeld im Bereich Kommunikation – mit einem Umsatzanteil von 18 Prozent die größte Konzernsparte – durchgreifen. Denn Siemens kämpft wie kaum ein anderer Ausrüster von Telekomnetzen mit den Hinterlassenschaften der herkömmlichen Telefontechnik. Seit dem Start von ISDN Mitte der Achtzigerjahre gehört Siemens zu den großen Spielern im Markt der Nebenstellenanlagen. Wie eine Bank konnten sich die Münchner darauf verlassen, dass kleine und große Unternehmen in Deutschland ihre Hicom-Telefonanlagen installierten. Die Kunden sind dann in einer Siemens-Welt gefangen, aus der es kaum ein Entrinnen gibt. Miet- und Leasingverträge mit Laufzeiten von bis zu zehn Jahren garantieren nicht nur die Störungsbeseitung bei Pannen und kontinuierliche Wartung durch Siemens-Techniker. Sie sorgen auch noch für ein hochprofitables Servicegeschäft mit auf Jahre stabilen Einnahmen.

Der Einzug der Internettechnologie in die Telefonwelt – Neudeutsch IP-Telefonie – läutet das Ende der klassischen Nebenstellenanlage und des damit verbundenen Wartungsgeschäfts ein. Siemens pocht zwar noch auf die Einhaltung der langfristigen Leasingverträge und bietet die Installation hybrider Systeme an, die alte und neue Technik miteinander verschmelzen und langfristigen Übergang zur IP-Technik versprechen. Doch der Umsatzrückgang ist dadurch nicht zu stoppen. Sogar Siemens-Vorzeigekunden wie LTU rechnen vor, dass die Internettechnologie um rund 80 Prozent billiger ist.

Daher konzentriert sich Kleinfelds Umbau bei Com vor allem auf das Geschäft mit Unternehmensnetzen. Bereits in der vergangenen Woche wurde bekannt, dass 4600 Beschäftigte im Vertrieb für Mittelstandskunden in eine eigenständige Gesellschaft ausgegliedert werden sollen. Auch über den Großkundenvertrieb mit rund 1700 Mitarbeitern wird nach internen Angeben bereits verhandelt. Darüber hinaus plant Kleinfeld weiteren Stellenabbau. Über Art und Umfang spricht er derzeit mit Arbeitnehmervertretern. Die befürchten, dass der Aderlass weitere 3000 bis 4000 Mitarbeiter treffen könnte.

Problemfeld Logistik. Der kleinste der Siemens-Verlustbringer existiert nach dem Willen Kleinfelds demnächst gar nicht mehr. Das Geschäft mit Automatisierungslösungen für den Mittelstand, in dem rund 5000 Siemensianer arbeiten, wird in die eigenständige Dematic GmbH ausgegliedert. Die andere Hälfte der bisher rund 10.000 Mann starken Sparte soll anderen Siemens-Bereichen zugeschlagen werden. Die Ausgliederung werten Marktbeobachter als klaren Schritt in Richtung Verkauf. Weil Dematic zu den größten Spielern der Branche zählt, kommen als mögliche Käufer nur wenige in Betracht: Die britische FKI Logistex, Nummer zwei hinter Siemens, kämpft mit eigenen Problemen. Der Branchendritte Daifuku aus Osaka erzielt derzeit noch rund 60 Prozent seines Umsatzes in Japan und will sein internationales Engagement ausbauen – da käme Dematic vermutlich gerade recht.

ZDNet.de Redaktion

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