Neues Blog-Phänomen: Provokation als Unterhaltung

Casey Serin hat gewaltige Schulden und spricht darüber: in seinem Blog iamfacingforeclosure.com, zu Deutsch „Mir droht die Zwangsvollstreckung“. Der Möchtegern-Immobilienmogul hatte mit seinem knappen Einkommen, geringem Vermögen und sehr wenig Geschäftssinn versucht, acht Immobilien zu kaufen und mit Gewinn zu verkaufen. Er verlor alles, häufte riesige Schulden an und teilt sein Leid nun mit der Webwelt.

Sein finanzieller Exhibitionismus und die Wurstigkeit, mit der er seine Gläubiger behandelt, haben den 24-jährigen aus einer verschlafenen Vorstadt von Sacramento zu einem Star unter seinen Mit-Bloggern gemacht. Anders als bei vielen andern Online-Stars hat Serins Berühmtheit aber eine ganz bestimmte Ursache: Es sind die Serin-Hasser, die seinen Blog lesen, nur, um auf dem Laufenden zu bleiben, welche Finanzschlamassel er heute wieder angerichtet hat.

Serin bloggt nach eigenen Angaben seit vergangenem September und hat in der Zwischenzeit gelernt, wie einträglich es sein kann, tausende Leser vor den Kopf zu stoßen und bis aufs Blut zu reizen. Er schätzt, dass er bis zu 1000 Dollar (rund 739 Euro) monatlich durch Google-Ads verdient. Außerdem sei er auf einem guten Weg, mit Yahoos Werbe-Netzwerk noch mehr Geld zu verdienen. Sein schlechter Ruf habe ihm bereits Auftritte in Fernsehshows verschafft, außerdem arbeite er an einem Buch und an einem Ratgeber, den er online verkaufen wolle.

Die Heerscharen seiner Kritiker belegen ihn mit Schmähungen aller Art: Der Housepanic-Blog zum Beispiel nennt Serin „die lebende Verkörperung von Betrug, Gier, Schuld, Angst, Aufgeblasenheit und Verrücktheit“. Es gibt sogar schon einen „Casey Serin Dance Remix“, in dem seine besten Zitate parodiert werden. Rob Dawg, der die Anti-Serin-Site Exurbannation betreibt, sagt: „Zu diesem Thema hat jeder eine Meinung und jeder kann spekulieren. Ist er geisteskrank oder labil? Haben seine bizarren Gewohnheiten sein Urteilsvermögen beeinflusst oder umgekehrt?“, schreibt Dawg in einer E-Mail. „So geht es immer weiter. Für viele von uns ist Serin aber trotzdem mehr das Auge des Sturms – und nicht der Sturm selbst.“

Die Spannung zwischen Serin und seinen „Hassern“ hat in der Zwischenzeit zu einer paradoxen Situation geführt. Diejenigen Leser, die ihn am meisten verachten, sind süchtig nach ihm als ihrem täglichen Amüsement. Das Konzept heißt „Irritainment“ und ist definiert als „ärgerliches Unterhaltungs- und Medienspektakel mit Suchteffekt“. Als bekanntes Beispiel gilt die Fernsehshow „Big Brother“.

Gegen alle Vernunft sind manche Serin-Hasser sogar Serin-Wohltäter geworden. Im März hatte Serin zum Beispiel mit einem Inkassobüro zu tun, das für seine wenig zimperlichen Methoden bekannt war. Er veranstaltete damals einen „Bettel-Marathon“, um die geforderten 220,48 Dollar (162,89 Euro) zusammen zu bekommen. Es funktionierte: Die Leser gaben Geld dafür, ihm intime Fragen stellen zu dürfen, zum Beispiel, warum seine Frau Galina das College abgebrochen habe. Ein Leser zahlte 250 Dollar (rund 185 Euro), um ihm eine einstündige Moralpredigt über finanzielles Verantwortungsbewusstsein zu halten.

Serin glaubt, zu wissen, wie er seine Geschichten darlegen muss, damit sie seine Leser richtig ärgern. „Ich ziehe Kraft daraus“, sagt er. „Ich weiß, auf welche Knöpfe ich drücken muss, um die Jungs auf Trab zu bringen. Mit der Zeit lernt man, welche Themen besonders viele Kommentare provozieren.“ Er habe sich zum Beispiel bei einer Fruchtsaft-Kette um einen Job beworben. Dabei sei ihm eingefallen, wie viel Zeit er wöchentlich für seinen Blog brauche. Deshalb habe er den Kassier gefragt: „Kann ich meinen Laptop während der Arbeit benutzen?“ Das sei das Ende seiner Bewerbung gewesen.

ZDNet.de Redaktion

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