So, so…! Microsoft möchte also im Internet die Rolle spielen, die es mit Windows auf den Desktops dieser Welt spielt. Das Vehikel dazu heißt Cloud OS und soll sozusagen aus Windows einen Webservice machen. Gewagt, aber mutig. Ich muss aber zugeben, dass einer der fähigsten Köpfe der Branche hinter Cloud OS steckt: Ray Ozzie.
Ray hat sich seine ersten Sporen Ende der 70er bei Data General, später bei Software Arts verdient. Sagt Ihnen nichts? Schade. Denn vermutlich verbringen Sie einen beträchtlichen Teil Ihrer Arbeitszeit mit Software, die von Software Arts und seinen Machern Dan Briklin und Bob Frankston, ja, man könnte sagen, erfunden wurde. Ich spreche von Tabellenkalkulation-Software. Ohne Dans und Bobs Visicalc hätte es kein Lotus 123 und kein Excel gegeben.
Später wechselte Ray zu Lotus und arbeitete dort am Lotus-123-Nachfolger Symphony. Nein, so richtig erfolgreich war das Programm nicht. Für unsere Geschichte ist aber wichtig, dass dessen Unterbau so raffiniert und genial war, dass man ehrfürchtig auf die Knie sinken möchte. Um das würdigen zu können, muss man sich vor allem vergegenwärtigen, dass wir uns gerade Anfang der 80er Jahre befinden. Der erste IBM-PC hat noch nicht einmal richtig das Licht der Welt erblickt.
Und was machen Ray und die anderen Symphony-Entwickler? Sie basteln ein integriertes Paket (so hießen damals die MS-Office-Vorläufer, die Text, Tabellen, Datenbank, Businessgrafik und Präsentation beherrschen), das unter der Haube eigentlich nur aus einem einzigen Programm besteht. Einer Datenbank, die in Tabellen und Zellen organisiert ist, vulgo auf einer Tabellenkalkulation basiert. Auf dieser Basis haben die Jungs sogar eine Textverarbeitung aufgesetzt!
Angesichts der damals schmalbrüstigen PC-Rechenleistung, geringen Speicherausstattung und fehlenden Festplatten eine raffinierte Idee. Himmel! Die meisten PCs hatten noch Jahre später ein einziges Laufwerk für 360-KB-Disketten. Jedenfalls war Symphony so konzipiert, dass das gesamte Programm komplett im RAM gehalten werden konnte.
Ich finde das sehr amüsant. Denn heute glauben wir die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, wenn wir in SOA die einzig selig machende Zukunft sehen. Dabei haben die Lotus-Jungs schon in den 80ern mit quasi wieder verwendbaren Software-Modulen gearbeitet. Wenn auch auf eine andere Art und mit einem anderen Ziel, nämlich die Schonung der Hardware-Ressourcen.
Dann der nächste visionäre Schritt: Zusammen mit ein paar anderen Leuten gründet Ray Ozzie 1984 Iris Associates und entwickelt dort Notes, das 1994 nach der Übernahme zu Lotus Notes und später zu Lotus Domino mutierte.
Ja, ich weiß. Als Notes Einzug in die Firmen hielt, hat es sich längst zu einem kaum beherrschbaren Software-Moloch entwickelt. Ich kann jeden verstehen, der damit arbeiten muss und es deswegen hasst.
Aber man muss die ersten Schritte zu Notes wieder im Context der Zeit sehen. Wären Sie auf die Idee gekommen Daten über zig, in der ganzen Welt verstreute Server zu replizieren, damit Menschen weltweit miteinander kommunizieren und auf dasselbe Datenmaterial zugreifen können? Und das zu einer Zeit, als die meisten PCs noch nicht einmal per LAN resp. WAN vernetzt waren!
Im Jahr 2005 verließ Ray Ozzie Lotus und gründete Groove Networks. Kurze Zeit später wurde Groove von Microsoft aufgekauft und Ray wurde Chief Software Architect bei Microsoft. Seine Aufgabe: Microsoft gehörig in den Hintern treten, damit sie endlich mit dem XP-Nachfolger Longhorn aka Vista in die Puschen kommen. Das hat er dann auch gleich mit einem Big Bang getan.
Zurück zu Cloud OS. Wird es das dominierende System werden? Ich bezweifle es. Google und Konsorten sind jetzt schon viel zu mächtig. Mit AJAX und anderen Web-Technologien realisieren sie Anwendungen, die wohl bald lokale Software und vielleicht sogar Betriebsysteme (im heutigen Sinn) überflüssig machen werden. Und ich habe nicht das Gefühl, dass die neuen Web-Pioniere das Ende der Fahnenstange schon erreicht haben. Im Gegenteil.
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