Zensurgesetz beschlossen: Aus für das freie Internet?

Nicht nur der Staat hat ein Interesse an Internet-Zensur. Auch den Providern ist daran gelegen, Teile des Internets für ihre Kunden unzugänglich zu machen. Dabei geht es weniger um Inhalte als um ungeliebte Dienste wie Filesharing, die die Gewinnmargen des durch Flatrates gekennzeichneten Marktes schmälern. Alle Anbieter von Internetzugängen über UMTS verbieten bereits in ihren AGBs die Nutzung von VoIP, Instant Messaging und VPN-Verbindungen. Technische Hürden werden nach und nach implementiert wie das Beispiel Skype auf dem iPhone zeigt.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass die CEOs fünf großer Provider auf Einladung von Frau von der Leyen im April eilig nach Berlin reisten, um bereits vor der Gesetzesinitiative eine freiwillige Vereinbarung mit dem BKA zu unterschreiben. Neben explizit demonstrierter Wohlfälligkeit gegenüber dem Staat, die wiederum die Regulierungsbehörde gefällig stimmen soll, verschafft man sich so einen Präzedenzfall für Sperrmaßnahmen ohne gesetzliche Grundlage. Auch die hessische Landesregierung appellierte an die Provider, die Online-Kasinos freiwillig zu sperren.

Einen Ausweg kann nur ein Netzneutralitätsgesetz schaffen, welches die Internetprovider zwar von jeglicher Störerhaftung in Bezug auf Inhalte befreit. Gleichzeitig muss es sie jedoch verpflichten, alle IP-Pakete eines Absenders ohne jede Filterung, Nutzlastveränderung oder Priorisierung bestmöglich zum Empfänger zuzustellen, sofern das nicht zur Gefahrenabwehr, beispielsweise bei DDoS-Attacken, zeitlich befristet unbedingt erforderlich ist. Ebenso ist sicherzustellen, dass jeder Endkunde im Rahmen seiner bestellten Bandbreite gleichberechtigten Zugang zum Backbone bekommt, um zu verhindern, dass der Zugang eines Kunden generell verlangsamt wird, wenn er „unerwünschte“ Dienste nutzt.

Eine Ausnahme darf der Provider nur machen, wenn der Endkunde eine Priorisierung bestimmter Pakete, etwa VoIP- oder Streaming-Pakete, ausdrücklich wünscht. Dies kann beispielsweise über ein Self-Service-Portal des Providers realisiert werden. Ferner muss klargestellt werden, dass „Netzüberlastung“ nicht als Vorwand für Gefahrenabwehr zur Blockade oder Verlangsamung ungeliebter Dienste verwendet werden darf. Darüber hinaus dürfen verteilte Infrastrukturdienste wie DNS keine anderen Ergebnisse liefern, als es durch die RFCs vorgesehen ist.

Nichts einzuwenden ist gegen eine Bandbreitenreduzierung bei Überschreitung eines bestimmten Datenvolumens im Rahmen einer Fair-Use-Flatrate, sofern der Kunde gegen Aufpreis wieder die volle Bandbreite bekommt. Hier muss ein Provider im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen seines Unternehmens frei handeln dürfen.

Mit einem solchem Gesetz wäre die Freiheit des Internets nicht nur gegen sperrwütige Law-and-Order-Politiker, gleich welcher Couleur, geschützt, sondern auch gegen Versuche der Provider aus wirtschaftlichen Interessen, Dienste wie VoIP, Instant Messaging und VPN-Verbindungen in AGBs zu untersagen, zu behindern oder zu sperren.

Offensichtlich halten es Provider für selbstverständlich, die knappen und öffentlich versteigerten UMTS-Lizenzen als ihr Privateigentum zu betrachten. Eine Verpflichtung zur Dienstneutralität der für die Internetnutzung vergebenen UMTS-Lizenzen sehen sie nicht. So spricht Alexander von Schmettow, Sprecher von T-Mobile ganz offen im Interview mit ZDNet von einer roten Ampel, die sein Unternehmen aufgestellt hat. Wer bei Rot über diese Ampel läuft, begeht eine Vertragsverletzung. Der Vergleich mit dem Straßenverkehr ist nur allzu treffend. Denn dort darf nicht jedermann einfach eine Ampel auf öffentlichen Straßen aufstellen, wie T-Mobile das für sich in Anspruch nimmt.

Erst wenn mögliche Willkür seitens der staatlichen Gewalten und Wirtschaftsunternehmen auf diese Weise Einhalt geboten wird, wäre es überhaupt legitim, über eine Bekämpfung bestimmter besonders verabscheuungswürdiger Straftaten im Internet nachzudenken. Denn dann wäre der Zugang zu allen anderen Diensten und Inhalten sichergestellt.

Ohne ein Netzneutralitätsgesetz wird man seine Grundrechte kaum auf dem Rechtsweg durchsetzen können. Richter, denen heute das Grundverständnis für die gesamte Materie sowohl auf technischer als auch auf sozialer Ebene fehlt, werden sich dieses bis zu ihrer Pensionierung nicht mehr aneignen. Daher kann nur ein Netzneutralitätsgesetz aus dem Dilemma führen. Ansonsten wird es zwangsläufig zu willkürlichen politisch und wirtschaftlich motivierten Einschränkungen kommen – sowohl seitens der Provider als auch seitens der staatlichen Gewalten.

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ZDNet.de Redaktion

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