Zensurgesetz beschlossen: Aus für das freie Internet?

Eine wirksame Bekämpfung der Kinderpornografie im Internet muss nicht Sperrung bedeuten. Im Gegenteil, die heute beschlossenen DNS-Sperren tragen nachweislich wenig dazu bei. Jeder, der mit dem Internet einigermaßen vertraut ist und sich ein paar Gedanken über das heutige Gesetz gemacht hat, weiß, dass eine Löschung von strafbaren Inhalten auf den Servern wesentlich effektiver ist als eine Sperre. Gleichzeitig muss man sich keine Vorwürfe der Missachtung von Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten gefallen lassen.

Dass es mit der Durchsetzung einer Löschung von kinderpornografischen Inhalten in vielen Ländern Probleme geben kann, bestreitet niemand ernsthaft. Dennoch muss man einen von den Koalitionsparteien in letzter Minute ausgehandelten Kompromiss zwischen Löschung und Sperrung als halbherzig bezeichnen. Die jetzige Form des Gesetzes erlaubt eine Sperre von Inhalten auch aus EU-Staaten, wenn Maßnahmen für eine Löschung „nicht oder nicht in angemessener Form erfolgversprechend sind“. Für alle anderen Staaten gilt, dass das BKA selbst darüber entscheiden kann, ob überhaupt Versuche einer Löschung unternommen werden, bevor Sperren eingeführt werden.

Dass auch Inhalte von EU-Staaten gesperrt und nicht gelöscht werden hält die Kompromiss-Verhandlungsführerin Martina Krogmann (CDU) für selbstverständlich. Der Dienstweg über die Polizeibehörde des betroffenen Landes dauere meist zu lange, und man könne aus „Achtung vor der Souveränität der Staaten“ nicht direkt die betroffenen Provider ansprechen, erklärt sie einem Bürger auf abgeordnetenwatch.de.

Der halbherzige Kompromiss wurde ausgehandelt, nachdem der SPD-Vorstand, der wie die SPD-Fraktion geschlossen für das Sperrgesetz plädiert, am Sonntag auf dem Parteitag einen Initiativantrag der Basis abgelehnt hatte, das Gesetz in letzter Minute zu verhindern. Die Initiative der Parteibasis war allerdings offensichtlich chancenlos, denn bereits im Mai berichtete die Frankfurter Rundschau, dass die SPD wahrscheinlich dem Gesetz im Rahmen eines Kuhhandels innerhalb der Koalition zustimmen werde. Im Gegenzug verzichte die CDU dafür auf das ebenfalls aus der Feder von Ursula von Leyen stammende Kinderschutzgesetz, dass laut SPD-Jugendpolitikerin Caren Merks in der nächsten Legislaturperiode komplett neu geschrieben werden muss. Von der Leyens Entwurf sei inhaltlich und handwerklich so schlecht, dass daran nichts verbessert werden könne, so Merks weiter.

Offensichtlich beherrscht von der Leyen zwar die Kunst, sich bei zahlreichen medienwirksamen Auftritten in Talkshows als Vorzeigemutter von sieben Kindern und gleichzeitige Karrierefrau zu präsentieren. Handwerklich solide Gesetzestexte scheinen jedoch grundsätzlich außerhalb ihrer Kompetenz zu liegen. Einem Bericht von Welt-Online zufolge erwägt von der Leyen jetzt sogar die Aufgabe ihres Ministerpostens. Die bisher vom Erfolg Verwöhnte strebe nach der Bundestagswahl ein anderes hohes Amt an, heißt es dort. In einer Online-Umfrage im selben Artikel der Welt bewerteten 81 Prozent der Leser von der Leyens Arbeit als Familienministerin mit mangelhaft (23 Prozent) oder ungenügend (58 Prozent). Sicherlich werden es viele Internetnutzer begrüßen, wenn Zensursula geht. Doch ihr Gesetz bleibt.

Immerhin setzte die SPD ein Verkehrsdatenspeicherverbot für IP-Adressen von Nutzern durch, die beispielsweise durch Links in Spam-Mails auf eine Stopp-Seite gelangen. Ebenso muss sich das BKA Kontrollen durch ein fünfköpfiges Expertengremium gefallen lassen und nachweisen, dass sich tatsächlich nur kinderpornografische Inhalte auf der Sperrliste befinden. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar lehnte eine Teilnahme an dem Gremium bereits ab: „Wie soll ich Experten für ein solches Gremium auswählen? Ich kenne mich in der Thematik doch gar nicht aus. Das hat mit Datenschutz ja nichts zu tun“, sagte er gegenüber der taz. Ferner plädierte er für eine Verschiebung des Gesetzes. Man solle dieses Gesetzgebungsverfahren, bei dem es auch noch viele andere offene Fragen gebe, nicht überstürzt zu Ende bringen.

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ZDNet.de Redaktion

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