„Zensursula“ will Netzsperren über Kinderpornografie hinaus ausweiten

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) fordert weitere Zensurmaßnahmen im Internet, die über das Internetzensurgesetz hinausgehen. Das sagte sie heute in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt.

Auf die Frage der Abendblatt-Redaktion, ob die Sperren über Kinderpornografie hinaus, beispielsweise auf rechte Propaganda oder Gewalt gegen Frauen ausgedehnt werden sollen, antwortete sie, dass man Diskussionen führen werde, wie Meinungsfreiheit, Demokratie und Menschenwürde im Internet „im richtigen Maß“ zu erhalten seien. Ansonsten drohe das Internet ein „rechtsfreier Chaosraum“ zu werden, in dem man hemmungslos mobben, beleidigen und betrügen könne. Es sei Teil einer unverzichtbaren Debatte, zu überlegen, welche Schritte zum Schutz dieser Grenzen notwendig seien. Darum komme die Gesellschaft nicht herum.

Das Internetzensurgesetz sollte eigentlich zum 1. August in Kraft treten. Es befindet sich jedoch derzeit bei der EU-Kommission in Brüssel im sogenannten Notifizierungsverfahren. Die Kommission kann bis Anfang Oktober Einspruch einlegen. Erst danach wird das Gesetz Bundespräsident Horst Köhler zur Unterschrift vorgelegt. Die im Arbeitskreis Zensur lose organisierten Sperrgegner haben Köhler aufgefordert, das Gesetz wegen offensichtlicher Verfassungswidrigkeit nicht zu unterzeichnen.

Unterdessen mehren sich Stimmen, die das Internetzensurgesetz mit Rechtsstaatlichkeit nicht für vereinbar halten. Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Wolfgang Hoffmann-Riem sagte am Freitag in der ZDF-Sendung aspekte (Video), dass Kinderpornografie zwar schändlich sei, jedoch müsse sich die Gesetzgebung an rechtsstaatliche Grenzen halten. Der Bund berufe sich darauf, dass es sich um Wirtschaftsrecht handele. In Wahrheit gehe es jedoch um Gefahrenabwehr, konkret Straftatenverhütung, sowie Inhalte von Medienangeboten. In beiden Fällen liege die Gesetzgebungskompetenz eindeutig bei den Ländern. Ferner dürfe das BKA nicht zur Ausführung des Gesetzes eingeschaltet werden.

Hoffmann-Riem sieht darüber hinaus das Risiko, dass die Zensur durch Zusammenwirken von Polizeibehörden und Providern auf weitere Bereiche ausgedehnt wird. Es sei wichtig, dass es gleich beim ersten Mal eine rechtsstaatlich einwandfreie Lösung gebe. Außerdem sei das Gesetz nicht wirksam. Nur ein Teil der kinderpornografischen Angebote wäre durch die Sperren überhaupt betroffen. Zudem ließen sich die Sperren leicht umgehen. Aus der nur teilweisen Wirksamkeit resultiere die Verfassungswidrigkeit allerdings nicht. Man müsse sich jedoch wegen der zweifelhaften Wirkung fragen, ob hier nicht eine symbolische Gesetzgebung vorliege.

Hoffmann-Riem war bis 2008 Richter des Ersten Senats am Bundesverfassungsgericht. Sein Dezernat umfasste unter anderem das Recht der freien Meinungsäußerung, der Rundfunk- und Pressefreiheit, das Recht der Versammlungsfreiheit, das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das Recht des Datenschutzes und das Wettbewerbsrecht. Das Interview mit Hoffmann-Riem ist Teil des aspekte-Beitrags Vermintes Feld (Video), das sich mit dem Internetzensurgesetz kritisch auseinandersetzt.

Update 02.08.09 16.20 h:
Das Bundesfamilienministerium dementierte vor wenigen Minuten Pläne für weitere Internetsperren. Man habe kein „konkretes Vorgehen gegen weitere rechtwidrige Inhalte als Kinderpornografie angekündigt“. Andere Interpretationen seien durch den Wortlaut des Interviews nicht gedeckt. Die Ministerin begrüße jedoch die allgemeine gesellschaftliche Debatte über die Freiheit und Grenzen im Internet.

ZDNet.de Redaktion

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