Zensurgesetz ausgesetzt: Hat die Netzgemeinde gewonnen?


Die Stopp-Schilder sind erst einmal im Papierkorb. Die Funktion „Papierkorb leeren“ wird frühestens in einem Jahr genutzt.

Das Internetzensurgesetz ist erst einmal für ein Jahr ausgesetzt. So will es die künftige schwarz-gelbe Koalition. Doch das Gespenst der Zensur ist noch nicht vom Tisch.

Ein Jahr lang muss das BKA Webseiten mit kinderpornografischen Inhalten an die Meldestellen von eco und INHOPE weiterleiten. Die sollen bei den Hostern eine Löschung erreichen. Sperrlisten darf das BKA in dieser Zeit nicht erstellen oder an Provider aushändigen.

Das ist zwar durchaus ein Erfolg der FDP bei den Koalitionsverhandlungen, den man anerkennen muss. Manch einer hätte sich aber gewünscht, dass das Gesetz in einer der ersten Bundestagssitzungen zurückgenommen wird. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass am Verhandlungstisch nicht über eine gelb-grün-orangene Regierungsbildung gesprochen wurde, sondern über eine schwarz-gelbe.

Dass die Einigung doch relativ zügig kam, ohne in die Endrunde der noch streitigen Punkte am Wochenende zu müssen, ist allerdings weniger verwunderlich, als es auf den ersten Blick scheint. Mit Stasi-2.0-Minister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte die als künftige Justizministerin gehandelte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) vermutlich ein leichtes Spiel.

Schäuble dürfte sich über das Internetzensurgesetz mindestens genauso geärgert haben wie die Netzsperrengegner. Allerdings aus einem anderen Grund: Das Internetzensurgesetz löste in der Bevölkerung einen weitaus größeren Sturm der Entrüstung aus als die Vorratsdatenspeicherung und die Online-Durchsuchungen zusammen. Kein Wunder, denn von DNS-Fälschungen ist jeder Internetnutzer unmittelbar betroffen.

Für Schäuble bedeutete das, dass seine Pläne für einen Überwachungsstaat automatisch stärker in die Kritik von Bürgerrechtlern geraten. Dem am Thema Kinderpornografie wenig bis gar nicht interessierten Schäuble hat „Zensursula“ mit ihrem Gesetz keinen Gefallen getan. Ihm geht es um eine Aufhebung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten sowie um Online-Durchsuchungen und Zugriff auf die Vorratsdatenspeicherung möglichst ohne richterliche Kontrolle. Bisher eher unpolitische Untertanen, die plötzlich zu Bürgerrechtlern werden, kommen dabei recht ungelegen.

So darf es auch nicht verwundern, dass Schäuble wenige Tage vor der entscheidenden Verhandlungsrunde beim Internetzensurgesetz von „handwerklichen Fehlern“ sprach und das Gesetz als Wahlkampftaktik outete – wenig schmeichelhaft für Kabinettskollegin „Zensursula“ und ein dezenter Hinweis an Verhandlungspartnerin „Schnarre“.

Dementsprechend ist der Koalitionskompromiss ausgefallen. Bei der Vorratsdatenspeicherung und den Online-Durchsuchungen sind im Wesentlichen die Positionen der Union durchgesetzt worden. Bei der Internetzensur ist die Handschrift der FDP zu erkennen.

Von einem Sieg der Netzsperrengegner kann noch keine Rede sein. Aus FDP-Kreisen ist zwar zu hören, dass das Thema Internetzensur vom Tisch sei und der gewählte Weg der Gesichtswahrung von CDU/CSU diene. Man darf aber davon ausgehen, dass die unter massiver Überalterung leidenden ehemaligen Volksparteien alles daran setzen werden, die Aussetzung des Internetzensurgesetzes als Misserfolg darzustellen. Erst in einem Jahr wird sich zeigen, ob die Internetzensur unter der schwarz-gelben Koalition endgültig vom Tisch ist.

Einen Grund, der Netzpolitik weniger Beachtung zu schenken, gibt es deswegen kaum. Man darf sich nicht damit zufriedengeben, gleichermaßen unsinnige wie verfassungswidrige Gesetze zu verhindern. Im Bereich der Netzneutralität sind dringend Gesetze zum Schutz des Internets erforderlich.

Die Abgeordneten des 17. Bundestages müssen sachkompetente Regelungen schaffen und sich Berater holen, die nicht nur aus BITKOM-Vertretern bestehen und Providerwillkür beim Internetzugang propagieren. DPI-Fälschungen von Webseiten im UMTS-Netz, DNS-Fälschungen auf Werbeseiten bei nicht existierenden Domains, Portsperren, AGB-Verbot und künstliche Verlangsamung von „ungeliebten“ Diensten sowie eingeschränkter NAT-Zugang mittels privater IP-Adresse sind nur wenige Beispiele, denen mittels eindeutiger Regelungen Einhalt geboten werden muss.

Auch wenn in den gestrigen Verhandlungen nur ein wichtiger Etappensieg erzielt wurde, darf man die Sektkorken für einen Abend knallen lassen. Danach heißt es wieder, die Politiker täglich daran zu erinnern, dass sie nur einen Zeitvertrag haben, den immer weniger Wähler an Internet-Ausdrucker vergeben werden.

ZDNet.de Redaktion

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