Von den Netzneutralitätsbemühungen in den USA hatten sich viele Internetnutzer Schutz vor Providerwillkür erhofft. Doch das, was gestern dabei herauskam, hört sich an, als ob Zensursula persönlich Formulierungshilfe gegeben hätte.
Netzneutralität war eines der Wahlversprechen von Barack Obama. Nach nur wenigen Monaten im Amt besetzte er den Posten des Chefs der Federal Communications Commission (FCC) mit Julius Genachowski, der als Verfechter von Netzneutralität gilt.
Gestern brachte die FCC ein Papier heraus, das ein erstes Konzept von sechs Netzneutralitätsregeln enthält. Ausdrücklich sucht die FCC nach „Input“, wie die Regeln verfeinert und in einen Gesetzestext gefasst werden können. Diese Regeln lauten wie folgt:
Hierbei fällt auf, dass in den sechs Regeln das Adjektiv „gesetzmäßig“ außergewöhnlich häufig verwendet wird. So darf es auch nicht verwundern, dass sogleich Einschränkungen folgen: Gefährliche oder unerwünschte Inhalte wie Spam dürfe ein ISP natürlich verhindern. Dabei muss man wissen, dass in den USA die meisten Provider eine Sperre von TCP-Port 25 zur Spambekämpfung einsetzen.
Zugang zu illegalen Inhalten wie Kinderpornografie muss natürlich durch den Provider unterbunden werden. Die illegale Übertragung von eigentlich gesetzmäßigen Inhalten dürfe beispielsweise auch verhindert werden, wenn es sich um etwa um urheberrechtlich geschütztes Material handelt.
Das bedeutet also Portsperren, Zensur von Webseiten und technische Behinderungen von P2P-Netzen. Mit Netzneutralität hat das wenig zu tun. Die FCC verkennt, dass der Zugangsanbieter nicht der Anbieter von Inhalten ist. Er soll nur das virtuelle Kabel zwischen dem Computer des Inhaltsanbieters und dem des Benutzers sein. Wenn jemand illegale Inhalte anbietet, muss das Übel auf dem Computer des Anbieters bekämpft werden.
Netzneutralität ist nur dann gegeben, wenn sich der Zugangsprovider aus den Schichten vier bis sieben des OSI-Modells heraushält und die Schichten eins bis drei standardkonform und diskriminierungsfrei betreibt. Schon die Einsichtnahme in die Schichten vier bis sieben verstößt gegen das Fernmeldegeheimnis.
Freilich schiebt ein Netzneutralitätsverständnis à la FCC einigen Praktiken von ISPs, wie sie auch in Deutschland angewendet werden, einen Riegel vor. Dazu gehören beispielsweise ein AGB-Verbot von Diensten wie VoIP und Instant Messaging, Webseitenfälschung auf HTTP-Ebene, DNS-Fälschungen zu Werbezwecken und künstliche Verlangsamung von ungeliebten Diensten wie P2P-Filesharing.
Allerdings schaffen die FCC-Regeln die rechtliche Grundlage für eine Zensurinfrastruktur. Hier muss man der FCC durchaus eine größere Professionalität als Zensursula zugestehen. Sollten die FCC-Regeln Gesetz werden, ist eine generelle gesetzliche Grundlage für eine staatliche Zensur und die faktische Abschaffung des Fernmeldegeheimnisses geschaffen. Die Electronic Frontier Foundation (EFF) sieht die Netzneutralitätsbestrebungen der FCC als Trojanisches Pferd.
Insofern ist die Kritik von Senator McCain an der FCC durchaus berechtigt. Er will das Netz mit einem Internet Freedom Act frei von staatlicher Regulierung halten. Jedoch bedeutet sein Verständnis von Freiheit, die Benutzer der Providerwillkür auszusetzen. Muss man sich für eine der beiden Lösungen entscheiden, so ist das eine Wahl zwischen Pest und Cholera.
Die Aufgabe eines Staates besteht zwar darin, das Internet als öffentliches Kommunikationsnetz vor der Providerwillkür zu schützen und Neutralität sicherzustellen, jedoch darf er mit einem solchen Gesetz die Bürgerrechte nicht beschneiden und eine Zensurinfrastruktur schaffen.
Für die künftige deutsche Regierung hat der „liberale Volkstribun“ Obama eine ideale Steilvorlage geliefert. Sie muss das Konzept nur noch kopieren und kann so eine Zensurinfrastruktur im Namen der Netzneutralität nach dem Vorbild des freien Amerika schaffen. Das sind düstere Zukunftsaussichten.
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