Tipps zur Auswahl von ERP-Systemen gibt es reichlich, leichter macht das den Projektverantwortlichen die Entscheidung jedoch nicht. Schließlich ist gerade im Mittelstand die Investition in ein neues ERP-System für das Unternehmen erheblich, und sie binden sich für 10 bis 15 Jahre an einen Hersteller. Außerdem drohen erhebliche Schuldzuweisungen, wenn das System oder seine Einführung nicht funktioniert, wie das versprochen, geplant und gedacht war, denn schließlich ist es die tragende Säule des Unternehmens, ohne die weder Produktion noch Verkauf vernünftig arbeiten können.
Die Reaktion der Verantwortlichen ist nachvollziehbar, macht die Lage aber nicht besser. Sie fordern von den Herstellern in umfangreichen Pflichtenheften alle nur denkbaren Features, um sich für alle Eventualitäten zu wappnen. Da aber selbst den Autoren der Pflichtenhefte nicht immer ganz klar ist, was im Einzelnen abgefragt wird, verbitten sie sich Rückfragen oder Detailauskünfte – oft unter dem Hinweis darauf, dass man allen am Auswahlprozess beteiligten Anbietern die gleichen Chancen geben wolle.
Die Kritik am überladenen Pflichtenheft
Eine absurde und groteske Situation, findet Godelef Kühl, Vorstand des ERP-Anbieters Godesys. Seiner Ansicht nach muss man jedem, „der Pflichtenhefte ohne Kommentar einfach nur ausfüllt und zurückschickt, unterstellen, dass er entweder blöd oder gewissenlos ist, weil er keinerlei Möglichkeiten hat, den Prozess zu beeinflussen und den zukünftigen Kunden kennenzulernen.“ Er fordert Unternehmen auf, sich nicht länger hinter Pflichtenheften zu verschanzen, sondern bei der ERP-Auswahl auch auf das Bauchgefühl zu vertrauen. Das werde sie schnell darauf bringen, „dass es nicht nur SAP und Microsoft gibt.“
Den Grund, warum das Bauchgefühl oft unterdrückt wird, sieht Kühl darin, dass Anwender unsicher in die Auswahlprozesse hineingehen. Um sich sicherer zu fühlen, zögen sie dann Berater hinzu. Das Problem: Gerade Berater wollten Know-how oft mit riesigen Mengen an Papier dokumentieren. Damit sei den Firmen jedoch nicht geholfen, denn es entstehe nur unnötiger Ballast. Unternehmen sollten jedoch das, was im Pflichtenheft steht, selbst auf Sinnhaftigkeit überprüfen.
Für ein neues Verhältnis zwischen Anbietern und Kunden
Weitere Ideen und Anregungen, wie sich das Verhältnis zwischen ERP-Nutzern und ERP-Anbietern verbessern lassen könnte, hat Godesys zusammen mit dem ERP-Experten Professor Norbert Gronau von der Universität Potsdam in einem – mit einem Augenzwinkern geschriebenen – „ERP-Knigge“ zusammengefasst.
„Bei der Lektüre lernt man viel über das eigene Auswahlverhalten und darüber, wie aufgeschlossen man Innovationen gegenüber ist oder wie viel Wert beispielsweise auf technologische oder betriebswirtschaftliche Fragestellungen gelegt wird“, so Kühl. Denn ERP sei einfach nur ein Werkzeug zur Unternehmensführung. „Wir als Softwareunternehmen können Firmen nicht reorganisieren oder in ihren Prozessen verbessern, wir können ihnen aber das Werkzeug liefern, mit dem sie dies tun können.“
Im ZDNet-Video-Interview spricht Kühl außerdem darüber, warum es bei ERP seiner Ansicht nach nicht um eine einfache Kunden-Lieferanten-Beziehung, sondern um eine Partnerschaft geht, ob und wie Saas und Cloud Computing den ERP-Markt in den nächsten Jahren verändern und welche Bedeutung er Open Source im ERP-Markt beimisst.
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