Das Internetzensurgesetz oder wie ein Parlament nicht funktionieren sollte

Das Internetzensurgesetz ist ein Paradebeispiel dafür, dass die Arbeit im Deutschen Bundestag nicht besonders effizient verläuft. Erst verabschiedet man es aus wahltaktischen Gründen. Jetzt wird man es nicht wieder los.

Eigentlich wollte sich Zensursula im Wahlkampf nur bei ihrer vermeintlichen Zielgruppe gut positionieren. Ein Gesetz sollte gar nicht entstehen. Die Provider sollten eine freiwillige Sperrverpflichtung für kinderpornografische Seiten unterzeichnen.

Die CEOs der deutschen Zugangsanbieter ließen sich nicht lange bitten: Schließlich verschafft so eine Vereinbarung eine Legitimation für DNS-Fälschungen, Blockaden anderer Anbieter und Deep Packet Inspection (DPI) bis hin zur Fälschung von Webseiten. Der Nutzer soll nur das sehen, was der Provider will und nicht das, was der Inhaltsanbieter zusammengestellt hat. Netzneutralität ist schließlich von Anarchisten erfundenes Teufelswerk, das bekämpft werden muss.

Viele Verwaltungsjuristen konnten sich mit so einem Vertrag nicht anfreunden. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden wollte gar eine eidesstattliche Versicherung (PDF) von BKA-Präsident Ziercke, dass die Verträge nicht umgesetzt werden.

Damit der Wahlkampfgag nicht zum Flop wurde, musste also ein Gesetz her. Die CDU brachte den Gesetzesentwurf auf den Weg und holte den damaligen Koalitionspartner SPD ins Boot. Dessen Partei- und Fraktionsspitze, damals Franz Müntefering und Peter Struck, hatte an Internetthemen wenig Interesse und stimmte dem Gesetzesvorhaben zu.

Als sich in der SPD-Fraktion abzeichnete, dass es auch dort erheblichen Widerstand gegen das Gesetz gibt, sprach Peter Struck ein Machtwort: Die Genossen sollen bitte überlegen, was die Presse dazu sagen werde, wenn man einen Rückzieher mache. Die „Angst vor der Bildzeitung“ hat die Abgeordneten laut Jörg Tauss schnell überzeugt.

Nach der Wahl ist plötzlich alles anders: Die deutlich dezimierte SPD-Fraktion will mit dem Internetzensurgesetz nichts mehr zu tun haben. Die CDU lässt durch Wolfgang Schäuble im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen mit der FDP verkünden, dass es sich um handwerklich schlechte Wahlkampftaktik gehandelt habe.

Die logische Konsequenz wäre ein Aufhebungsgesetz, wie es die Grünen (PDF) und die Linkspartei (PDF) bereits formuliert haben. Die SPD will ein eigenes Aufhebungsgesetz einbringen. Die einfachste Lösung wäre es, den Vorschlag der Grünen anzunehmen, das Internetzensurgesetz ersatzlos zu streichen.

Die Linkspartei fordert zudem, das Telemediengesetz derart zu ändern, dass es Providern untersagt wird, Zugang zu Diensten „systematisch oder anlassunabhängig zu erschweren oder zu unterbinden“. Eine Entfernung oder Sperrung von Diensten soll dem Richtervorbehalt unterliegen.

Doch so läuft das nicht in einer Demokratie: Man kann nicht einfach ein Gesetz wieder aufheben, nur weil es alle Fraktionen nicht mehr wollen. Das wäre ja mit einem immensen Gesichtsverlust verbunden. Außerdem gibt es ja Stimmen, vor allem in der CDU/CSU, die das Internet am liebsten ganz verbieten wollen und jedes Einzelverbot als Teilerfolg ansehen, egal ob es sich dabei um Extremismus, Pornografie, Killerspiele oder Unangepasstheit handelt. Wie soll man diesen Abgeordneten das nur erklären?

Zum Glück gibt es ja den Bundespräsidenten, der jedes Gesetz unterschreiben muss, bevor es in Kraft tritt. Man kann ihn ja einfach bitten, die Ausfertigung nicht vorzunehmen. Da das Gesetz tatsächlich verfassungsrechtliche Probleme aufwirft, hat Horst Köhler „ergänzende Informationen“ angefordert.

Die Bundesregierung hat daraufhin am 4. Februar eine nicht öffentliche Stellungnahme abgegeben, deren Inhalt jedoch dem Spiegel vorliegt. Darin heißt es, dass die gegenwärtige Bundesregierung eine Gesetzesinitiative zur Löschung kinderpornografischer Inhalte im Internet beabsichtige. Man werde sich bis dahin auf der Grundlage des Internetzensurgesetzes ausschließlich und intensiv für die Löschung derartiger Seiten einsetzen, Zugangssperren aber nicht vornehmen. Die damit gemachten Erfahrungen würden in die Gesetzesinitiative einfließen.

Mit Rechtsstaatlichkeit hat das allerdings nichts mehr zu tun. Eine Regierung kann sich als Exekutivgewalt nicht anmaßen, Gesetze nach Belieben nicht anzuwenden. Damit kündigt die Regierung offen an, Rechtsbruch zu begehen.

Bundespräsident Horst Köhler hat der Regierung den schwarzen Peter wieder zurückgeschoben. Zwar bot das Gesetz genügend Anhaltspunkte, es als offensichtlich verfassungswidrig einzustufen, jedoch hat er im Rahmen seiner Prüfungspflichten anders entschieden.

Politisch falsch war seine Entscheidung sicher nicht. Das Amt des Bundespräsidenten darf nicht dazu missbraucht werden, dass man aus Gründen der Wahlkampftaktik ein Gesetz beschließt, das man eigentlich gar nicht möchte. Regierung und Parlament müssen die Suppe, die sie sich mit dem Internetzensurgesetz eingebrockt haben, nun auch selbst auslöffeln.

Danach sieht es aber derzeit nicht aus: Die Koalition wird den Gesetzesvorlagen zur Aufhebung des Internetzensurgesetzes von Grünen und Linken nicht zustimmen. Das geschieht aus dem einfachen Grund, dass Regierungsparteien grundsätzlich Anträgen der Opposition nicht zustimmen. Auf den Inhalt kommt es dabei überhaupt nicht an.

Die FDP bereitet ihre schwindende Wählerschaft, die gerade auf dem Weg ist, die Fünf-Prozent-Hürde nach unten zu durchbrechen, darauf vor, dass man am 25. Februar gegen die Aufhebung des Internetzensurgesetz stimmen wird. In halbherzigen Tweets und Blogs erläutert der ehemalige Zensurgegner Jimmy Schulz, warum man das Gesetz nicht einfach abschafft. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger versucht sogar, die Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten und die Nichtabschaffung im Bundestag als „Endgültiges Aus für Netzsperren“ zu verkaufen.

Die Bundesregierung will stattdessen ein Löschgesetz schaffen, das das Internetzensurgesetz ersetzen soll. Dieses Gesetz ist jedoch völlig überflüssig. Es existieren bereits genügend gesetzliche Grundlagen, um verbotene Inhalte aus dem Internet zu entfernen. Ferner ist das Löschgesetz noch lange nicht in Sicht.

Das bedeutet, das Internetzensurgesetz wird in etwa drei Wochen im Bundesgesetzblatt verkündet und tritt am Tag darauf in Kraft. Damit hat die Regierung ein Druckmittel in Form eines nicht angewendeten Gesetzes in der Hand. Sie kann jederzeit damit drohen, es anzuwenden, wenn sich Provider und Verbände nicht wohlfällig verhalten.

Die Abgeordneten täten gut daran, nächsten Donnerstag einen der Anträge zur Aufhebung des Internetzensurgesetzes anzunehmen. Damit ließe sich der Gesichtsverlust gegenüber den Bürgern einigermaßen reparieren. Das ist wichtiger als einen Gesichtsverlust vor anderen Fraktionen zu riskieren.

ZDNet.de Redaktion

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