Die staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe (HfG) hat die Premiere des umstrittenen „Killerspiels“ 1378(km) abgesagt. Ursprünglich sollte sie am 3. Oktober 2010, dem 20. Jahrestag der Wiedervereinigung stattfinden. Die Handlung ist an der ehemaligen innerdeutschen Grenze im Jahr 1976 angesiedelt. Der Spieler kann wahlweise in die Rolle eines „Republikflüchtlings“ oder eines NVA-Soldaten schlüpfen.
Als DDR-Grenzer muss er versuchen, die Flucht von DDR-Bürgern in den Westen zu verhindern. Dabei kann er Flüchtlinge festnehmen, von der Schusswaffe Gebrauch machen oder beschließen, selbst die DDR zu verlassen und versuchen, den Todesstreifen zu überwinden.
Das Projekt des 23-jährigen HfG-Studenten Jens M. Stober ist allerdings keineswegs als „Killerspiel“, sondern als „Serious Game“ konzipiert. Es soll jungen Menschen spielerisch Wissen über die Realität an der innerdeutschen Grenze vermitteln. Der Spieler bekommt zahlreiche Informations- und Texteinblendungen. Wer als NVA-Soldat einen Menschen erschießt, bekommt zwar zunächst einen Orden verliehen, wird aber kurz darauf in das Jahr 2000 teleportiert und muss sich in einem Mauerschützenprozess für seine Tat verantworten.
Gegen das Spiel gab es zahlreiche Proteste: Politiker aller Couleur kritisierten das Projekt. Gesine Lötzsch (LINKE) nannte das Vorhaben „geschmacklos und dumm“. Der frühere DDR-Bürgerrechtler Markus Meckel (SPD) hält das Spiel für „makaber und skandalös“. Ein Sprecher der CDU/CSU-Fraktion erklärte: „Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion verurteilt die Entwicklung des Computerspiels 1378 km, das eine virtuelle Jagd auf DDR-Flüchtlinge im Todesstreifen zum Ziel hat. Für uns ist diese makabere Spielidee eine unsägliche Verhöhnung der fast 1000 Opfer an der innerdeutschen Grenze und ihrer Hinterbliebenen.“
Der Leiter der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen Hubertus Knabe erstattete Strafanzeige wegen Gewaltverherrlichung. Er stellte nicht in Abrede, dass sich Wissen auch über Computerspiele vermitteln lasse. Es ginge aber nicht, Spieler auf Flüchtlinge schießen zu lassen. Auch zahlreiche Opfer und deren Angehörige protestierten gegen das Spiel.
Der FDP-Obmann der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Jimmy Schulz steht dem Projekt allerdings aufgeschlossen gegenüber. Er bezeichnete es als „mutig und interessant“.
Gesehen hat das Spiel außerhalb der Hochschule noch niemand. Derzeit existiert lediglich ein knapp zweiminütiger Trailer, an dessen Ende eine flüchtende junge DDR-Bürgerin von einem Grenzsoldaten erschossen wird.
Die HfG hat mittlerweile eine Stellungnahme des Rektorats abgegeben: Man bedauere sehr, dass man einem Teil der Presseberichterstattung und persönlichen Anschreiben habe entnehmen müssen, dass sich durch das Spiel Opfer der Todesgrenze oder deren Angehörige verletzt fühlten. Das Computerspiel 1378(km) vermittele jedoch die Brutalität einer Grenze, die von einem undemokratischen Regime gegen seine Bürger errichtet wurde und verharmlose diese in keiner Weise.
Das Spiel sensibilisiere eine junge Generation, die die innerdeutsche Grenze aus eigener Anschauung nicht kennen könne, für die Opfer von Todesstreifen und Schiessbefehl und für das Unrecht, das Menschen durch die Grenze und an der Grenze zugefügt wurde. Nichts anderes sei das Ziel dieses Spiels, das aus der Sicht der Hochschule einen hohen moralischen und künstlerischen Anspruch vertrete. Ihrem Studenten Jens M. Stober werde die HfG jede notwendige Unterstützung zuteil werden lassen.
Um zu einer Versachlichung der Diskussion beizutragen, werde die öffentliche Präsentation am 3. Oktober abgesagt und zu einem späteren Zeitpunkt mit einer begleitenden Diskussion zum Thema nachgeholt.
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