Schweizer sorgen sich um Open Source

In der Schweiz hat jetzt ein langanhaltender Streit um den Einsatz von Open Source in der öffentlichen Verwaltung mit einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts einen vorläufigen Abschluss gefunden. Ausgangspunkt war eine Klage von Open-Source-Dienstleistungsfirmen vor über einem Jahr dagegen, dass ein Auftrag im Wert von 42 Millionen Franken über Betriebssysteme und Anwendersoftware vom Bund nicht öffentlich ausgeschrieben, sondern einfach so an Microsoft vergeben wurde.

Das Schweizer Bundesverwaltungsgericht hat es abgelehnt überhaupt zu prüfen, ob die Bundesverwaltung berechtigt war, den Auftrag ohne Ausschreibung zu vergeben. Begründet hat das die Mehrheit der Richter damit, dass die Bundesverwaltung frei bestimmen könne, ob sie bei der Pflege des bestehenden Software-Systems auf Support-Updates und Erweiterungen oder neue Software setzen wolle.

Die Swiss Open System User Group, zu der immerhin Firmen wie Alstom, Migros oder Einrichtungen wie die Universität Zürich gehören, befürchtet jedoch, dass in der Bundesverwaltung einmal eingeführte Software eines bestimmten Herstellers künftig auf unbeschränkte Zeit und in beliebigem Umfang ohne Ausschreibung durch neue Produktversionen ersetzt und auch durch neue Produkte ergänzt werden kann. Anbieter von konkurrierenden Produkten hätten dann gar nicht mehr die Möglichkeit, eine Vergabe ohne Ausschreibung anzufechten.

Befürchtete Folgen

Oder anders gesagt: Schafft es ein Unternehmen sich mit seinen Produkten bei der Schweizerischen Bundesverwaltung zu positionieren, hat der Wettbewerb wenig Chancen, dies jemals wieder zu ändern, denn auch auslaufende Wartungsverträge sowie Erweiterungen oder zusätzlich benötigte Lizenzen wären kein Grund mehr, sich auf dem Markt umzuschauen, ob es nicht besser geeignete oder günstigere Lösungen gibt.

Und, was die Schweizer natürlich nicht einmal zu denken wagen, aber durchaus eine reale Gefahr darstellt: Korruption – oder sagen wir lieber einmal Nebenabsprachen – wären Tür und Tor geöffnet, die Beschaffung wäre wesentlich weniger transparent. „Mit diesem Entscheid wird der Markt auf radikalste Weise auf einen einzigen Anbieter eingeschränkt,“ sagt auch Marc Steiner, einer der in dem Mehrheitsentscheid unterlegenen Richter.

Produkt oder Technologie?

Für bedenklich hält die Swiss Open System User Group auch, dass Richter die Microsoft Produktpalette grundsätzlich als Technologie eingestuft haben und nicht als Produkt, das technische Funktionen bereitstellt, etwa eine grafische Benutzeroberfläche oder einen E-Mail Server. „Mit dieser diskussionswürdigen Definition war es denn für das Gericht ein Leichtes zu zeigen, dass die Beschwerdeführer offensichtlich weder Microsoft Produkte-Wartung noch -Lizenzen angeboten hätten – sie konnten ja auch gar nicht, da Microsoft faktisch das Monopol auf entsprechende Enterprise Agreements hat – und damit als nicht zur Beschwerde legitimiert galten“, heißt es in einer Mitteilung.

Indem so geschickt die Legitimation der Beschwerdeführer in Frage gestellt worden sei, habe die Bundesverwaltung erfolgreich verhindert, dass auf die eigentlich wichtigen Fragen eingegangen wurde. „Ungelöst bleibt die exzessive Anwendung von freihändigen Vergaben in der Informatikbeschaffung, welche stets die strukturelle Benachteiligung von Open-Source-Lösungen zementiert“, so die Initiative weiter.

Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Die Beschwerdeführer haben bereits Berufung gegen das Urteil eingelegt und wollen eine Entscheidung des Bundesgerichts erzwingen.

Politische Schritte angekündigt

Einige Fürsprecher haben sie immerhin in der Politik, etwa Vertreter der Grünen und der Grünliberalen, aber auch Edith Graf-Litscher (Sozialdemokratische Partei), Co-Präsidentin der etwas über dreißig Mitglieder starken Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit: „Mit diesem Entscheid verhindert das Bundesverwaltungsgericht aktiv den freien Wettbewerb im Schweizer Informatik-Markt und unterbindet das öffentliche Beschaffungsrecht. Dass damit die freihändigen Informatik-Beschaffungen noch zunehmen, ist eine falsche Entwicklung, der wir in der Politik entgegen treten werden.“

Ihr Amtskollege Christian Wasserfallen (FDP) kündigt ebenfalls politische Schritte an: „Während viele Kantone und Unternehmen auf strategische Projekte mit Open Source Software setzen, stellt sich der Bund gegen Wettbewerb und Innovation. Das ist rechtlich vielleicht knapp korrekt, aber wünschenswert sind Anbieterabhängigkeit, Stillstand und Intransparenz auf keinen Fall. Somit werden wir uns in Zukunft noch stärker auf politischem Weg für eine digital nachhaltige Informatik beim Bund einsetzen.“

Absurde Situation

Wasserfallens Worte sind starker Tobak. Fraglich ist auch, ob sich Open Source von der Politik sinnvoll verordnen lässt – oder ob man dann nicht von den Gegnern die eigenen Argumente nur mit anderen Vorzeichen hören wird. Das die derzeitige Situation aber absurd ist, zeigt ein IT-fremdes Beispiel, das die Swiss Open System User Group anführt: „So könnten unter Umständen beispielsweise die SBB künftige Wartungs- und Ausbauarbeiten der neuen Zugkompositionen von Bombardier beliebig lange dem selben kanadischen Konzern freihändig Aufträge vergeben. Unternehmen wie die Stadler Rail hätten nicht einmal mehr die Chance, Beschwerde dagegen einzureichen. Die SBB könnte mit Verweis auf das aktuelle Urteil des Bundesverwaltungsgerichts begründen, dass sie technisch abhängig sei von Bombardier und kein anderer Anbieter das geforderte Know-how liefern könnte.“

ZDNet.de Redaktion

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