Novell-Verkauf: Synergien für heterogene Infrastrukturen, Sorgen um Linux


Attachmate bezahlt 2,2 Milliarden Dollar für Novell – lässt aber einige wichtige Fragen offen.

Novell ist verkauft – die Nachricht an sich ist wenig aufregend, gehören doch dementsprechende Gerüchte und Mutmaßungen seit einigen Monaten fast selbstverständlich zu Branchengesprächen – spätestens seit dem abgelehnten Übernahmeangebot des Hedgefonds Elliott Associates im März.

Eine Überraschung ist dagegen der Käufer: Attachmate – die Älteren erinnern sich noch an den Namen, hätten aber nie vermutet, dass das Unternehmen überhaupt Geld auf der hohen Kante hat – geschweige denn 2,2 Milliarden Dollar, um Novell zu kaufen. Was auf den ersten Blick Erstaunen auslöst, quittieren Beobachter und Experten beim zweiten mit Zustimmung: Attachmate und Novell? Das passt gut zusammen.

Martin Kuppinger, Analyst von KuppingerCole und langjähriger Novell-Beobachter, geht davon aus, dass sich durch diesen Deal für Novell-Kunden zumindest in den Kerngeschäftsfeldern – also Linux, System Management und Intelligent Workload Management sowie Identity- und Access-Management – nichts negativ ändern wird.

„Attachmate fährt bisher ja die Strategie von vergleichsweise eigenständigen Geschäftseinheiten, auch bei NetIQ. Im Gegenteil: Damit haben damit die ewigen Gerüchte – ich kenne die seit rund 20 Jahren – um einen Novell-Verkauf ein Ende, was Kunden auch Planungssicherheit mit Novell als Teil eines größeren Unternehmens bietet.“

Die interessantere Frage sei, in welchem Umfang es gelingen wird, mögliche Synergien beispielsweise zwischen NetIQ und Novell im Bereich Management von Servern und Netzwerken oder zwischen Attachmate und Novell im Bereich der umfassenden Unterstützung von sehr heterogenen Infrastrukturen (Mainframe mit der Kompetenz von Attachmate, Netware, Linux/Unix, Windows mit der Kompetenz von Novell) zu schaffen.

„Es ist eine Chance, aber durch den Ansatz eigenständiger Einheiten und Marken sehe ich das Risiko, dass dieses Potenzial nicht voll ausgeschöpft wird. Außerdem bleibt abzuwarten, inwieweit man darüber hinaus eine große gemeinsame Story schafft und mit Lösungen unterfüttert – gerade mit Blick auf das Konzept, das Novell als „Intelligent Workload Management“ zu platzieren versucht, also die optimierte Nutzung von IT-Ressourcen in physischen und virtualisierten Umgebungen.“

Insgesamt sieht Martin Kuppinger für Novell-Kunden mehr Chancen als Risiken, insbesondere im IAM-Bereich durch die zusätzlichen Tools aus der Attachmate-NetIQ-Welt.

Nachteile für einige Technologiepartner möglich

Auch Georg Moosreiner, Vorstand der SEP AG, ein deutscher Spezialist für Backup- und Recovery und langjähriger Novell-Technologiepartner sieht die Transaktion weitgehend positiv. Attachmate biete seine Technologien erfolgreich in heterogenen IT-Infrastrukturen an – genau wie Novell. Wesentliche Überschneidungen sieht Moosreiner keine. „Der gemeinsame Kundenstamm bietet sicher große Potenziale für das gemeinsame Unternehmen.“

Einige Partnerunternehmen von Attachmate und Novell werden seiner Ansicht nach sicher Nachteile von der Übernahme haben. „Aber für den überwiegenden Anteil der Partner könnten sich durchaus neue geschäftsrelevante Chancen ergeben. Für die SEP AG habe ich keine Befürchtungen. Wir bieten unsere Backup-, Restore- und Disaster-Recovery-Technologien ebenfalls für heterogene IT-Infrastrukturen an. Solange Attachmate und Novell keine eigenen entsprechenden Programme und Services anbieten, bleibe ich gelassen.“ Ihn habe der Kauf von Suse durch Novell wesentlich mehr beunruhigt, letztlich jedoch zu Unrecht: „Wir konnten sogar neue Chancen mit Novell nutzen und unser Produkt SEP Sesam erfolgreich in den USA positionieren.“

Was wird aus Suse?

Damit hat Moosreiner aber auch den Punkt angesprochen, der in der Branche für Unbehagen sorgt: Was wird aus Suse? Attachmate hat in der Mitteilung zur Novell-Übernahme erklärt, man wollen auch künftig in Suse investieren – allerdings sollen Novell und Suse als getrennte Geschäftsbereiche weitergeführt werden. Das sieht ganz danach aus, als ob Attachmate, beziehungsweise die Finanzinvestoren dahinter, Suse bald zu Geld machen wollen.

Als Käufer war in den vergangenen Wochen neben IBM, für das ein Kauf als Fortsetzung seiner Linux-Bemühungen denkbar gewesen wäre, auch immer wieder VMware im Gespräch. Das hätte erstens genug Geld und zweitens ein Interesse daran, ein „eigenes“ Betriebssystem zu besitzen, um so im kommenden Kampf um Marktanteile bei Virtualisierung mit Microsoft und Red Hat, die beide ein OS haben, besser gerüstet zu sein. Ganz aus dem Rennen sind beide noch nicht, denn in der derzeit geplanten Konstellation steht Suse quasi im Schaufenster. Red Hat und VMware wollten sich auf Anfrage von ZDNet zu der Novell-Akqisition nicht äußern. Aber desto mehr Zeit vergeht, bevor ein strategischer Investor gefunden wird, desto weniger wird Suse wert sein: Auch die schönsten Schokoladennikoläuse will an Ostern keiner mehr haben.

Aber so selbstverständlich, wie der bevorstehende Verkauf für viele scheint, muss er gar nicht sein, gibt Moosreiner zu bedenken: „Attachmate könnte Suse Linux durchaus nutzen, um die eigenen Produket auf eine neue, gemeinsame Technologieplattform zu heben.“ Vegleichbares habe Novell bereits vor einiger Zeit mit Netware getan – was den Partner die Anbindung an das Produkt erheblich erleichtert habe.

Welche Rolle spielt Microsoft in dem Deal?

Ein wichtiges „Detail“ der ganzen Transaktion ist die Vereinbarung von Attachmate mit einer Firma namens CPTN Holdings LCC – einem Firmenkonsortium hinter dem Microsoft steckt. Unzweifelhaft ist, dass Attachmate nach dem Erwerb von Novell für 450 Millionen Dollar 882 Patente an CPTN abtreten wird. Aber wer und was genau ist CPTN? Das Unternehmen trat bislang nicht in Erscheinung noch – weder wirtschaftlich noch durch juristische Schritte. Das erscheint US-Beobachtern für ein Konsortium, dass sich mit Patenten und geistigem Eigentum befasst, zu Recht äußerst merkwürdig.

Unbekannt ist derzeit auch noch welcher Art die über 800 Patente sind, die abgetreten werden sollen. Das lässt die wildesten Spekulationen zu. Analystin Katherine Egbert, Analystin bei der Investmentfirma Jefferies, geht davon aus, dass es sich in erster Linie um Patente im Zusammenhang mit WordPerfect handelt, das Novell Ende der 90er Jahre übernahm und anschließend benutzte, um Microsoft wegen Wettbewerbsverstößen zu verklagen. Andere Beobachter mutmaßen, dass es sich vor allem um Patente handelt, die im Zusammenhang mit Novells Platespin-Produkten stehen. Das aber ist weniger wahrscheinlich: Denn dann würde Microsoft sich nicht so zugeknöpft geben.

Rätselraten um Patente

Genau dieses Schweigen aus Redmond öffnet aber Spekulationen über den Vertragsinhalt Tür und Tor. Einige vertreten die Meinung, es handle sich um eine Verteidigungsstrategie gegen Linux – Microsoft wolle verhindern, dass Rivalen die beschriebenen Technologien nutzen können. „Microsoft wollte, dass dieses Konsortium die Patente kontrolliert – und wollte verhindern, dass sie in die Hände von VMware oder IBM gelangen“, sagt Ira Cohen, Managing Director bei Signal Hill Updata. Möglicherweise bereite sich Microsoft jedoch auch auf einen Prozess gegen ein Linux-Unternehmen vor und wolle die Rechte dafür nutzen.

Auch Andrew Updegrove von Gesmer Updegrove fehlen die nötigen Informationen für ein Urteil: „Wenn wir wüssten, wer die anderen Firmen sind, könnten wir leichter erraten, was Microsoft im Sinn hat. Besonders schwer abzuschätzen ist, welche Prozesse dies nach sich ziehen könnte, in Anbetracht der Tatsache, dass Novell über die Jahre eine Menge geistiges Eigentum angehäuft hat.“

Der auf Open Source spezialisierte Analyst Chris Maresca vermutet, „dass die Patentkäufe durch Microsoft etwas mit dem alten Netware-Geschäft zu tun haben, wahrscheinlich Rechte an Netware über TCP oder so etwas“. Für denkbar hält er auch, dass es sich um Rechte an Unix handelt, die Novell in dem endlos scheinenden Verfahren gegen SCO erst vor kurzem erfolgreich verteidigt hat. Aber das wollen wir alle nicht hoffen.

Der Kauf als Beweis für die Reife von Open Source

„Die Ankündigung ist für Talend und alle anderen, die sich gewerblich mit Open Source beschäftigen bedeutsam, da Novell mit der Suse-Produktlinie einer der wichtigsten Anbieter in dem Segment ist“, sagt Yves de Montcheuil, Manager bei dem französischen Unternehmen, das durch den Kauf von Sopera soeben erst selbst unter die fünf größten Open-Source-Firmen vorgestoßen ist.

„Die Übernahme ist für Attachmate nicht besonders sinnvoll, niemand sieht irgendwelche Produkt- oder Marktsynergien in dem Deal. Aber sie lohnt sich für Attachmates Investoren, die damit ein Goldnugget in die Hand bekommen, ein führendes Open-Source-Produkt, breit genutzt und mit tiefgreifendem Open-Source-Konw-how.“ Quelloffene Software sieht de Montcheuil als das kommende Modell der Softwareproduktion, was seiner Meinung nach auch die Attachmate-Investoren verstanden hätten. „Mit dem Kauf von Novell erwerben sie auch eine Eintrittskarte in diesen Markt und wollen damit mittelfristig sicher mehr, als nur Suse besitzen.“

Unterm Strich hält de Montcheuil die Übernahmemeldung für eine gute Nachricht: „Sie beweist einmal mehr, dass Open Source Gelegenheiten für Investoren schafft und dass Open Source auch im Enterprise-Markt nicht nur mitspielen, sondern sich durchsetzen, wachsen und gedeihen kann.“

Ungefähr jede siebte deutsche Firma setzt Linux als Betriebssystem ein. Auch zahlreiche Fachanwendungen lassen sich heute mit quelloffener Software abdecken. Für Michael Kienle vom IT-Dienstleister IT-Novum ist sogar das komplette Open-Source-Unternehmen denkbar.

ZDNet.de Redaktion

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