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Wie die IT für 2011 auch ohne Marktforscher planen kann

Im Oktober 2002 ließen sich die Analysten von Gartner zu einer sehr mutigen Prognose hinreißen: Sie machten zehn Vorhersagen technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen, die sich auf die Geschäftsentwicklung aller Unternehmen auswirken, die also die Welt verändern sollten. Zeithorizont war damals Ende 2010. Damit ist jetzt ein guter Zeitpunkt, eine kurze Bilanz zu ziehen.

1. Prognose: Nutzung von Bandbreite wird kosteneffizienter als lokale Datenverarbeitung

Netzwerkkapazitäten werden schneller ansteigen als Rechner- und Speicherkapazitäten, so dass sich die relativen Kosten der lokalen Datenverarbeitung gegenüber denen von entfernten Systemen erheblich erhöhen werden. Kostengünstige und umfangreiche Bandbreiten werden die Entwicklung hin zu stärker zentralisierten Netzwerkdiensten beschleunigen, die Grid Computing und Thin Clients nutzen.

Bilanz: Tendenziell lagen die Marktforscher gar nicht so verkehrt. Das in diesem Jahr rasch zunehmende Interesse an Cloud Computing ist der Beleg dafür. Allerdings ist auch heute noch nicht überall so viel Bandbreite verfügbar, wie notwendig wäre. Den Aspekt Mobilität haben sie 2002 vollkommen unterschätzt. Thin Clients kommen zwar allmählich aus ihrer Nische, auf breiter Grundlage durchsetzen konnten sie sich jedoch immer noch nicht.

2. Prognose: Viele Hauptanwendungen werden von verschiedenen Unternehmen gemeinsam genutzt

Anwendungen und Middleware entwickeln sich hin zu stärker anpassungsfähigen Software-Architekturen, die problemlos rekonfiguriert werden können. Dieses Konzept ist die Weiterentwicklung des Softwaremodells, das ERP-Suites, Portale, CRM und Supply Chain-Anwendungen hervorgebracht hat, die sich über mehrere Bestandteile eines wirtschaftlichen Ökosystems erstrecken.

Bilanz: Was in der Prognose sehr nach SOA klingt, ist aber doch eher als Software-as-Service wahr geworden. Zumindest teilweise. Irgendwo gehört wohl auch das Stichwort Federation in diesen Zusammenhang, aber auch das konnte sich ja noch nicht so durchsetzen, wie das viele erhofft und herbeigeredet haben. Auch hier lagen die Marktforscher bei der groben Richtung also nicht ganz verkehrt, Mainstream ist das von ihnen umständlich beschriebene Konstrukt allerdings noch lange nicht – zumindest nicht in organisationsübergreifenden Szenarien.

3. Prognose Makroökonomischer Boom durch Unternehmenskooperation

Bilanz: Diese Vorhersage hing stark von der zweiten ab. Sie ging von einem dadurch herbeigeführten starken Anstieg an Produktivität und Effizienz aus. Diesen gab es auch, aber ganz anders, als Gartner sich das vor acht Jahren vorgestellt hat: Er kam nämlich einfach durch die starke Nutzung des Internets für alle möglichen Abläufe zustande.

4. Prognose Bei starker Konjunktur entlassen erfolgreiche Unternehmen Millionen Mitarbeiter

Unter der Bedingung, dass die Produktivität aufgrund der Verbesserungen im IT-Bereich wie in den Prognosen 2 und 3 beschrieben ansteigt, sieht Gartner einen sinkenden Bedarf an Arbeitskräften: Die technologische Entwicklung wird einen Punkt erreichen, an dem die Automatisierung durch IT-Systeme den menschlichen Arbeitseinsatz erheblich reduzieren wird. Internetbasierend operierende Unternehmen, so die Prognose, werden 2010 mit einer 60prozentigen Wahrscheinlichkeit bis zu 30 Prozent Mitarbeiter weniger beschäftigen.

Bilanz: Mit den Entlassungen, die prosperierende Unternehmen auch bei guter Konjunktur vornehmen, hat Gartner leider Recht behalten. Inwieweit die Zahlen zutreffen, ist so gut wie gar nicht nachvollziehbar. Allerdings verschwanden manche Firmen, die die Zeichen der Zeit nicht rechtzeitig erkannten, einfach komplett vom Markt, während andere rasantes Wachstum vorweisen können. Bestes Beispiel aus Deutschland: Das Traditionsunternehmen Quelle verschwand vom Markt, zahlreiche 2002 noch weitgehend unbedeutende E-Tailer haben die Kundschaft übernommen.

5. Prognose: Weiterhin Firmenfusionen in vielen Branchen

Nach Gartners Prognose sollte bis 2004 in den meisten Branchen mindestens ein Major Player durch Firmenauflösung oder Zusammenschluss vom Markt verschwinden. Anschließend werde die Wirtschaft in eine oligopole Phase eintreten, in der die Unternehmenslandschaft von wenigen Firmen bestimmt wird. Erst 2007 komme es wieder zu Innovationen und Wachstum.

Bilanz: Eine alte Faustregel von Orakeln ist es, so vage wie möglich und lediglich so konkret wie nötig zu sein. Das hat Gartner bei dieser Prognose gut geschafft. Je nach Standpunkt wird man ihr zustimmen oder sie verwerfen können. Es ist richtig, dass damals zu den wichtigsten Firmen in ihrem Bereich gehörende Unternehmen verschwunden sind. In der Netzwerksparte etwa 3Com, Nortel und Lucent. Bei den Dienstleistern ging PWC an IBM, EDS an HP. Im Softwarebereich kaufte Oracle zunächst Peoplesoft, später auch noch den im Kampf um Peoplesoft unterlegenen Anbieter BEA. Das bis dahin als Security-Spezialist aktive Symantec sicherte sich mit dem Kauf von Veritas für 13,5 Milliarden Dollar einen Platz im Speichermarkt. Der Kauf von Compaq durch HP ging bereits vor Abgabe dieser Prognose im Frühjahr 2002 über die Bühne.

Die befürchteten Oligopole sind in der Form noch nicht entstanden – aber durchaus auch nicht völlig unwahrscheinlich geworden. Die Wahlfreiheit der Anwender ist durch die sich zu Allround-Anbietern formierenden IT-Großkonzerne nach wie vor in Gefahr. Bisher haben sich allerdings immer wieder Quereinsteiger gefunden, die einen Markt „aufmischten“: Etwa Apple bei Mobiltelefonen oder Cisco bei Servern.

6. Prognose: Moores Gesetz behält auch in diesem Jahrzehnt seine Gültigkeit

Gartner prognostizierte 2002: Ein typischer Desktop-Computer von 2008 wird 4 bis 8 CPUs mit 40 GHz, 4 bis 12 GByte RAM-Speicher und 1,5 TByte Festplattenkapazität besitzen sowie über ein 100-GBit/s-LAN vernetzt sein. 2011 werden Prozessorleistungen von 150 GHz und Speicherkapazitäten von 6 TByte üblich sein.

Bilanz: Ein Blick in einen x-beliebigen Computerprospekt zeigt, dass Gartner in Bezug auf Desktop-Computer doch etwas zu optimistisch war. Weitere, 2002 vielversprechend erscheinende Technologien, zum Beispiel die Nanotube-Transistortechnik und die Spintronik sind entgegen den Erwartungen auch heute noch nicht in breitem Maße im Markt angekommen.

7. Prognose: 2007 sind Banken die Hauptanbieter von Presence Services

Unter Presence Services verstand Gartner 2002 Präferenzen, persönliche Daten und Informationen zum Internetverhalten. Dieses Konzept bezeichneten die Analysten als „One-Click-Internet“ und sahen es als elementare Voraussetzung für mehr Komfort und Mobilität in der Internetnutzung.

Microsoft (Passport), die Liberty Alliance, AOL und Yahoo sind einige von denen, die sich damals einen Teil dieses Marktes – wenn nicht gar den ganzen – sichern wollten. Gartner sah die Zukunft jedoch bei unabhängigen Unternehmen oder Finanzdienstleistern wie den Banken.

Bilanz: Viele Menschen tun sich heute schon schwer, ihr Geld den Banken anzuvertrauen, geschweige denn Daten über ihr Internetverhalten. Die Liberty Alliance mit einstmals immerhin 150, teils sehr großen, Mitgliedsfirmen wurde 2009 sang- und klanglos in die Kantara Initiative überführt – was den Ansatz auch nicht erfolgreicher machte. AOL und Yahoo sind weiter davon entfernt, als jemals zuvor. Zwei, die es geschafft haben, sich als vergleichbare Institution zu etablieren, sind Facebook und Google. Wie die in diese Richtung gehenden Versuche des neuen Personalausweises ausgehen, ist noch abzuwarten. Alle drei hatte Gartner damals jedoch nicht auf der Rechnung.

8. Prognose: Business Activity Monitoring gehört 2007 zum Standard

Business Activity Monitoring war 2002 eines der meistdiskutierten Themen: Ziel war ein automatisches Sensorensystem, das relevante Daten und Kontexte liefert, durch die effektivere Entscheidungsprozesse in Echtzeit möglich werden.

Bilanz: Zum Standard gehört Business Activity Monitoring heute immer noch nicht und der begriff selbst ist etwas ins Hintertreffen geraten. Immerhin haben aber Firmen wie IBM mit dem „IBM pureScale Application System mit Power7-Technologie und Smart Analytics System“, SAP mit seiner und Oracle mit Exadata haben dafür – bisher aber noch sehr teure – Voraussetzungen geschaffen Auch hier gilt also: Richtung erkannt, aber zu optimistisch.

9. Prognose: Entscheidungen über Anwendungen werden durch Geschäftsbereiche statt durch IT-Abteilungen getroffen

Gartner ging 2002 davon aus, dass 2007 wahrscheinlich bei zwei Drittel der Firmen Anwendungen eher Geschäftsbereiche als IT-Abteilungen anschaffen.

Bilanz: Gerade bei Standardsoftware haben viele kleinere Firmen in den vergangenen Jahren davon profitiert, dass Geschäftsbereiche die Kaufentscheidung getroffen haben. Besonders augenfällig war das bei Software für Business Intelligence. Insgesamt scheint die Kaufentscheidung aber eher zur Einkaufsabteilung abgewandert zu sein: Die nimmt dann das billigste Angebot. Welche Angebote ihr vorliegen und inwieweit die einzelnen Abteilungen darauf Einfluß nehmen können, ist in den Firmen unterschiedlich.

10. Prognose: zurück zur Dezentralisierung

Gartner erwartet 2002, dass sich die durch die rückläufige Wirtschaftslage bedingte Tendenz zur Zentralisierung im IT-Bereich bis 2004 zu einem stärker dezentralisierten Modell wandelt. Wenn sich die Geschäftsziele nicht mehr vorwiegend auf das Einsparen von Kosten beschränkten, werde man Entscheidungsprozesse an die einzelnen Geschäftsbereiche übertragen, was zu mehr wertschöpfender Flexibilität und letztlich zu einem erneuten Wirtschaftswachstum führen werde.

Bilanz: Wahrscheinlich ist es die Kunst, zwischen zentraler und lokaler Organisation ein gesundes Mittelmaß zu finden. Je nach wirtschaftlichem Umfeld und eigenen, vorausgegangenen Erfahrungen, tendieren die Firmen mal zum einen, mal zum anderen Extrem. Ob sich die Waagschale so schnell auf eine Seite neigen wird ist fraglich: Selbst wenn sich in den kommenden Jahren mobile Strukturen und die Nutzung von Cloud- und SaaS-Angeboten auf breiter Front durchsetzen heißt das doch noch lange nicht, dass die Auswahlentscheidungen nicht zentral getroffen werden.

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ZDNet.de Redaktion

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