Am zweiten Anhörungstag über die Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange an die schwedischen Behörden hat sich ein früherer Staatsanwalt für die Verteidigung zu Wort gemeldet. Laut Sven-Erik Alhem hätten die schwedischen Ermittler Assange schon zu Anfang Gelegenheit geben müssen, sich gegen die Vorwürfe der beiden Frauen zu wehren, die ihm Nötigung, sexueller Missbrauch und Vergewaltigung vorwerfen.
„Als [Staatsanwältin] Marianne Ny ihre ursprüngliche Entscheidung, nicht [wegen Vergewaltigung] zu ermitteln, revidiert hat, hätte sie dafür sorgen müssen, dass Assange seine Version der Geschichte im Detail erzählen kann“, sagte Alhem auf die Frage von John Jones, einem von Assanges Verteidigern. Es sei höchst seltsam, nicht über die Versionen beider Parteien als Basis für Staatsanwaltschaft und Gericht zu verfügen.
Zudem hätte Assange aufgrund der Schwere der Anschuldigungen verhaftet werden müssen, sagte Alhem. „Wenn ich richtig verstehe, wurde er der Vergewaltigung verdächtigt – was bedeutet, es gab zwingende Gründe, ihn festzunehmen.“
Die britische Staatsanwältin Clare Montgomery erklärte, Ny habe Assanges schwedischen Anwalt Björn Hurtig noch vor dem 27. September darüber in Kenntnis gesetzt, dass ihn die Ermittler vernehmen wollten. Assange habe dennoch an diesem Tag das Land verlassen. Montgomery vertritt bei der Anhörung die schwedischen Behörden.
Montgomery wollte von Alhem wissen, ob er an Nys Stelle einen internationalen Haftbefehl ausgestellt hätte. Alhem antwortete, er hätte zuvor eine Befragung mit britischen und schwedischen Polizisten angesetzt.
Am zweiten Verhandlungstag wurden weitere Zeugen der Verteidigung vernommen. Die frühere Richterin Brita Sundberg-Weitman behauptete, Ny sei gegenüber Männern voreingenommen, wenn es um Sexualdelikte gehe. „Sie scheint es als erwiesen anzusehen, dass alle, die strafrechtlich verfolgt werden, schuldig sind – zumal Männer.“ Einige Medien hätten über Assange zudem als Vergewaltiger berichtet, obwohl er keines Verbrechens angeklagt worden war. Auch Sundberg-Weitman äußerte Zweifel, dass Assange in Schweden mit einem fairen Prozess rechnen kann.
Goran Rudling, ein schwedischer Blogger und Rechtsaktivist, sagte aus, eines der beiden mutmaßlichen Opfer habe nach seiner Aussage bei der Polizei Twitter-Nachrichten gelöscht, in denen sie Assange geschmeichelt habe. Es sei von „coolen Leuten“ die Rede gewesen, mit denen sie unterwegs war. Die Frau habe per Twitter auch nach Partys gefragt, zu denen sie Assange mitnehmen könnte. Ihre Aussage bei der Polizei datiert vom 16. August. Rudling zufolge wurden die Postings am 20. August gelöscht – vermutlich, um zu vermeiden, dass jemand darauf aufmerksam wird.
Die Anhörung ist noch im Gang. Heute Abend wird Richter Howard Riddle entscheiden, ob Assange an die schwedischen Behörden ausgeliefert werden soll.
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