Vor nicht ganz zwei Jahren hatte der IT-Branchenverband Bitkom verkündet, dass E-Mails die beliebteste Kommunikationsform im Internet seien: 85 Prozent aller Internetnutzer ab 14 Jahren versendeten private E-Mails, mehr als jeder dritte (37 Prozent) chattete, und jeder fünfte (19 Prozent) verschickte Sofortnachrichten mit Messaging-Diensten. Berufliche Anwender kommunizierten laut der Bitkom-Erhebung 2009 am häufigsten per E-Mail: 72 Prozent der berufstätigen Internetnutzer schickten dienstliche E-Mails. 14 Prozent telefonierten beruflich über das Internet, 11 Prozent übermittelten persönliche Nachrichten auf Web-Plattformen und 10 Prozent nutzteen Sofortnachrichten über Messaging-Dienste.
„Klassische E-Mails werden durch Web-2.0-Angebote nicht abgelöst, sondern ergänzt“, sagte Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer damals. Viele Millionen Menschen nutzten die unterschiedlichen Kommunikationsdienste parallel. Wenn er sich da nicht mal getäuscht hat.
Im Dezember vergangenen Jahres hat Comscore bereits einen deutlichen Rückgang der E-Mail-Nutzung festgestellt. Allerdings wurden für die Statistik nur Web-Mail-Dienste ausgewertet, etwa Hotmail, Google Mail und Yahoo Mail. Alle Blackberry-Push-Mails fallen also ebenso aus der Wertung wie Unternehmensmails.
Laut den Comscore-Zahlen versandten im November 2010 alle Altersgruppen unterhalb von 55 Jahren zwischen 10 bis 14 Prozent weniger Mails als im Vorjahresmonat. Nur bei älteren Nutzern legte die E-Mail noch zu. Bei den 55- bis 64-Jährigen weist Comscore plus 15 Prozent aus, bei den über 65-Jährigen plus 17 Prozent.
Comscore vermutet, dass in den älteren Gruppen viele Anwender erstmals mit E-Mail in Kontakt kommen. Dieses Medium sei häufig der Startpunkt in die Computerwelt. Außerdem spekulieren die Marktforscher, dass der Wandel weg von E-Mail in den jüngeren Gruppen nur den Privatbereich betrifft, den die Zahlen ja schwerpunktmäßig abdecken.
Beim IT-Dienstleister Atos Origin sieht man das anders: „Wir produzieren inzwischen so viele Daten, dass es unsere Arbeitsumgebung belastet und auch unser Privatleben beeinträchtigt. Wir wollen Maßnahmen ergreifen, um diesen Trend umzukehren – genau wie sie nach der industriellen Revolution nötig waren, um die Umweltbelastung zu reduzieren“, sagte , CEO und Chairman Thierry Breton diese Woche auf einer Presseveranstaltung.
„Das E-Mail-Aufkommen in Unternehmen ist nicht mehr wirtschaftlich zu bewältigen. Manager in Unternehmen verbringen zwischen fünf und 20 Stunden pro Woche damit, E-Mails zu schreiben und zu beantworten. Bereits jetzt nutzen sie Social-Media-Anwendungen intensiver als die Internet-Suche und verbringen mehr als ein Viertel ihrer Zeit mit der Suche nach Informationen.“
Bei Atos Origin nutze man beispielsweise Collaboration- und Community-Plattformen für den Ideenaustausch. Das sollten Unternehmen intensivieren. „E-Mail ist heute sicher nicht mehr der beste Weg, um ein Unternehmen zu führen und Geschäfte zu machen“, so Breton.
Der internen E-Mail will Atos Origin mit einer Reihe von internen Initiativen zu Leibe rücken. Das Unternehmen fördert beispielsweise seit einiger Zeit die Nutzung von Werkzeugen wie Office Communicator und erleichtert über Community-Plattformen den Ideenaustausch, etwa zu Themen wie Innovationen, Lean-Management und Vertrieb. Nach ersten Erkenntnissen reduzieren diese Werkzeuge das E-Mail-Aufkommen um 10 bis 20 Prozent.
Ganz alleine steht Atos Origin mit seiner Initiative nicht da. Auch IBM hat auf der kürzlich stattgefundenen Lotusphere wieder einmal heftig für das „Social Business“ geworben, Oracle und Avaya bieten ebenfalls weit gefasste Kollaborationsplattformen an und Cisco wird im Laufe des Frühjahrs „Quad“, sein entsprechendes Angebot, bei ersten Pilot-Kunden ausrollen. So radikal wie Atos Origin das jetzt angekündigt hat, wendet sich jedoch keiner dieser Anbieter von der E-Mail ab.
Kurz vor dem Exitus steht die E-Mail aber doch noch nicht: Einer weltweiten Umfrage von TNS zufolge verbringen Nutzer wöchentlich durchschnittlich 4,4 Stunden mit Lesen und Schreiben von E-Mails. Das ist damit die wichtigste Online-Aktivität. Fragt sich nur, wie lange noch.
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