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Japan: Technologiefirmen mauern bei der Katastrophenbilanz


Ein Erdeben der Stärke 8,9 löste am 11. März einen Tsunami aus, der auch die Ortschaft Natori in der Präfektur Miyagi erreichte (Bild: Xinhua/Kyodo).

Die alle bisherigen Naturkatastrophen in den Schatten stellenden Vorfälle der vergangenen Woche in Japan wirken sich selbstverständlich auch auf die Wirtschaft des Landes aus. Aber nicht nur auf diese: Die Ereignisse in einer der größten Wirtschaftsnationen lassen in einer verflochtenen Ökonomie auch andere Regionen nicht unberührt. Das gilt auch für die ITK-Branche.

Häfen und Flughäfen sind zerstört oder geschlossen, die Stromversorgung mangelhaft. Die Arbeit in zahlreichen Fertigungsanlagen ist zumindest vorübergehend eingestellt. Zudem ist die für den Transport erforderliche Infrastruktur für lange Zeit wenn nicht unterbrochen, so doch eingeschränkt. In der Folge drohen den europäischen und amerikanischen Großkonzernen, die sich bisher im großen Stil aus Japan beliefern ließen, Versorgungsengpässe.

Dass China oft als einzige Werkbank der IT gesehen wird, ist in vielen Bereichen ein Irrtum: Laut der auf das Asiengeschäft spezialsisierten Investmentfirma CLSA stammen 40 Prozent der weltweit hergestellten Elektronikbauteile aus Japan. Zusätzlich zur Verknappung der Produkte drohen daher auch die Preise anzuziehen.

Ein Beispiel dafür gibt es auch schon: So kletterte der Handelswert von NAND-Speicher mit 32 GByte, ein gängiger Bestandteil zahlreicher massenhaft verkaufter Consumer-Artikel, laut DRAMexchange in den vergangenen Tagen um 18 Prozent. Toshiba, weltweit größter Lieferant von Flash-Memory, hat am Montag mitgeteilt, dass zahlreiche Werke aufgrund des eingeschränkt verfügbaren Stroms „vorsichtshalber“ geschlossen worden seien. Das weitere Vorgehen werde man „zu gegebener Zeit“ bekannt geben. Bisher herrscht jedoch Funkstille.

Klare Worte nur von Texas Instruments

Im Allgemeinen klingen die von den Firmen verbreiteten ersten Mitteilungen jedoch beruhigend: Unterm Strich erhält man den Eindruck, die Japaner hätten – zumindest was die Produktion von Technologie anbelangt – nach wie vor das meiste im Griff. Dass vielleicht alles doch ein wenig anders ist, lässt der von Texas Instruments abgelieferte Schadensbericht erahnen. Demnach ist eine Fabrik in der Stadt Miho, rund 60 Kilometer nordwestlich von Tokio, bei dem Erdbeben am vergangenen Freitag ernsthaft beschädigt worden.

TIs Fertigungsanlage in Miho (Bild: TI)

Die Produktion in dem Werk steht derzeit. TI plant sie schrittweise wieder aufzunehmen: Einige Fertigungslinien sollen im Mai wieder anlaufen, die volle Kapazität werde Mitte Juli erreicht. Ab September könne man wieder sicher liefern – vorausgesetzt, das Stromnetz in der Region ist bis dahin wieder stabil. Das TI-Werk in Aizu-Wakamatsu, rund 240 Kilometer nördlich von Tokio, wurde durch das Erdbeben ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen. Dort ist die Fertigung allerdings schon wieder angelaufen. Ab Mitte April will man – eine stabile Stromversorgung vorausgesetzt – wieder mit voller Kapazität produzieren.

Während das US-Unternehmen für Werke am Rand des hauptsächlich betroffenen Gebiets also erhebliche Beschädigungen, Störungen und Verzögerungen bei der Wiederaufnahme der Produktion einräumt, sind japanische Firmen selbst für Anlagen nahe des Epizentrums erheblich optimistischer: Im Wesentlichen erschöpfen sich die Angaben darin, dass es den meisten Mitarbeitern gut gehe und die Produktion „vorübergehend“ eingestellt sei.

Digitalkameras, Drucker und Projektoren

Bei Sony sind davon sechs Fabriken im Krisengebiet betroffen, in denen Blu-ray-Discs, Magnetköpfe und Batterien hergestellt werden. Für Europa erwartet Sony jedoch „keine Lieferengpässe für das Kerngeschäft der Unterhaltungselektronik, da die relevanten Produktsegmente nicht in Japan beziehungsweise nicht in der betroffenen Region gefertigt werden.“

Canon hat die Produktion zunächst in acht Fabriken eingestellt. Es werden lediglich „leichte Auswirkungen“ eingeräumt. Zu denken gibt allerdings folgender Satz in der Pressemitteilung: „Sollte dieser Zustand für einen Monat oder länger andauern, wird das Unternehmen darüber nachdenken, alternative Standorte zu nutzen, die von dem Erdbeben nicht beschädigt wurden, um die Produktion fortzusetzen.“ Zwischen den Zeilen heißt das: Zumindest manche Standorte oder die für deren Betrieb notwendige Infrastruktur scheint so beschädigt zu sein, dass man derzeit nicht weiß, wann die Arbeit dort wieder aufgenommen werden kann.

Besonders schwierig dürfte die Situation für das Canon-Werk in Fukushima sein. Dort wurden seit 1987 zunächst die EOS-Kameras hergestellt, die inzwischen aber aus dem vom Erdbeben kaum betroffenen Nagasaki kommen. Die Fabrik in Fukushima stellte zuletzt Tintenstrahldrucker, Druckköpfe und Tintentanks her. Oki betreibt ebenfalls ein Werk in Fukushima. Dort werden Drucker und Verbrauchsmaterialien für den japanischen Markt hergestellt. Die Anlage habe zwar „einigen Schaden genommen“, am 16. März habe man die Produktion aber „zum Teil wieder aufgenommen“.

Ein weiteres Beispiel für die Salami-Taktik ist Panasonic: Am 11. März wurde zunächst nur zugegeben, dass in den Werken in Fukushima (wo die Lumix-Kameras hergestellt werden), Sendai und Koriyama einige Mitarbeiter leichtere Verletzungen erlitten haben. Außerdem seien Teile der Decken und Wände beschädigt worden, es sei aber zu keinem Feuer oder Einsturz gekommen: Die Auswirkungen auf das Geschäft untersuche man noch. Drei Tage später wurde klar, dass die Werke in Sendai und Fukushima scheinbar doch so stark beschädigt sind, dass sie wegen möglicher Nachbeben derzeit nicht betreten werden können. Fujifilm, Nikon und Canon haben ihre Werke für Digitalkameras und Objektive in der von der Katastrophe betroffenen Region zunächst ebenfalls stillgelegt.

Ricoh musste eine Reihe von Werken aufgrund der Reglementierung des Stromverbaruchs und der unkontrollierten Stromausfälle vorübergehend stilllegen. Schäden an den Fertigungsstraßen seien allerdings in den Fabriken in Hanamaki (Projektoren), im Landkreis Shibata (MFPs, Drucker und Toner) sowie der Stadt Hitachinaka (Produktionsdrucker) festgestellt worden. In allen drei sei unabhängig vom Energieproblem offen, wann die Fertigung wieder aufgenommen werden kann.

Epson hat erhebliche Schäden in vier Fabriken gemeldet und eine detaillierte Liste mit dem Zustand der Produktionsanlagen erstellt. Das Werk in Hachinohe scheint am stärksten betroffen zu sein, da es von der Flutwelle erreicht wurde. Es ist völlig offen, wann dort die Produktion synthetischer Quarze wieder aufgenommen werden kann. Kritisch ist die Lage auch in Minami-Soma, ungefähr 16 Kilometer vom AKW in Fukushima entfernt. Die Ausfälle bei Epson könnte sich auf andere Hersteller auswirken, da das Unternehmen im Quarz- und Kristall-Bereich mit mehr als einem Fünftel der Weltproduktion ein wichtiger Zulieferer für andere Hersteller von Projektoren, aber auch von Mobilfunk-Basisstationen und zahlreichen Messgeräten und Sensoren ist.

Fazit

Geht man die Mitteilungen der japanischen Firmen zum Erdbeben durch, scheint zunächst alles halb so schlimm zu sein. Die echte wirklich gute Nachricht ist aber wohl nur, dass die Zahl der Verletzten sehr gering ist. Der Zustand der Anlagen dürfte in vielen Fällen wesentlich schlechter sein, als das die ersten Kommuniques vermuten lassen. Ein Grund für die Fehlinformation dürfte der kulturelle Unterschied sein: Es muss davon ausgegangen werden, dass die Firmen, um nicht „das Gesicht zu verlieren“, die Situation wesentlich rosiger darstellen, als sie tatsächlich ist – zumindest in den Augen und nach dem Verständnis der westlichen Beobachter.

Formulierungen wie „einigen Schaden“, „vorerst eingestellt“ und „das Hauptwerk ist nicht betroffen“ spiegeln nämlich nur dem unbedarften Beobachter vor, dass alles in bester Ordnung ist. Wichtig ist, was nicht erwähnt wird: Wie sieht etwa die Situation in den anderen Werken aus, wann rechnet man frühestens wieder damit, dass Strom wie gewohnt aus der Steckdose kommt und wieviel Kapazitäten sind in anderen, unbeschädigten Anlagen frei, um die Ausfälle zu kompensieren? Um diese Antworten drücken sich die Firmen kollektiv.

Es ist klar, dass Japan derzeit andere Sorgen hat, als die Produktion von Tonerkartuschen oder Flash-Speicher. Für die Abnehmer der japanischen Firmen ist das aber anders: Ihr Geschäft läuft im Großen und Ganzen wie gewohnt weiter. Kommen aus Japan nicht bald verbindliche Aussagen, werden sie – falls möglich – nach neuen Lieferanten suchen. Das verbindliche Aussagen aber schwierig sind, ist auch klar: Selbst wenn die Produktionsanlage als solche weitgehend unbeschädigt geblieben sein sollte, fehlt es doch nicht nur an Strom, sondern auch an Wasser und der Infrastruktur für An- und Abtransport. Und bis die wieder reibungslos funktioniert, kann es noch Monate dauern.

ZDNet.de Redaktion

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