Zehn Jahre Mac OS X – das Beste aus zwei Welten


„One more thing – Apples Erfolgsgeschichte vom Apple I bis zum iPad“ von Charlotte Erdmann: Die Geschichte Apples ist schon oft erzählt worden – allerdings nicht so detailliert recherchiert und reich bebildert wie in diesem Buch. Die bekannte Journalistin Charlotte Erdmann (ehemals Stanek) hat einen reichen Fundus an Informationen zusammengetragen und erzählt Apples nicht immer geradlinigen Aufstieg von der Garagenfirma zum Medienunternehmen anhand der Produkte und Leitfiguren des Unternehmens – kenntnisreich, kompetent und unterhaltsam. Erscheint im Mai im Verlag Addison-Wesley • Preis: 29,80 Euro • ISBN-10: 3827330572 • ISBN-13: 978-3827330574 (Bild/Text: Addison-Wesley)

Bereits 1994 war der Führungsriege von Apple klar, dass es eines neuen Betriebssystems bedarf, um die Nutzer weiter zufrieden zu stellen. Nach dem Debakel mit „Taligent“, das eigentlich ein plattformunabhängiges und objektorientiertes Betriebssystem werden sollte und dann doch klammheimlich begraben wurde, richtete man die Hoffnungen auf „Copland“. Es sollte 1995 zur Verfügung stehen und wurde doch nie fertig. Denn die selbst gestellten Ansprüche Multitasking, Multithreading, Objektorientierung und vieles mehr konnten die Entwickler in dieser kurzen Zeit nicht in Einklang mit dem bisherigen Mac OS und den Fähigkeiten des Konkurrenten Windows 95 bringen.

Insgesamt dreimal verzögerte sich deshalb die Auslieferung von Copland. Bis Mitte 1996 waren allerdings nur Teile des Systems tatsächlich realisiert. Die treibende Kraft, Ellen Hancock, entschied sich deshalb für die Fertigstellung eines neuen Betriebssystems das Wissen eines anderen Herstellers hinzuzukaufen. Die Wahl fiel auf NeXT unter Leitung von Steve Jobs. Er bekam über 400 Millionen US-Dollar dafür, dass er beide Welten – NEXTSTEP und Mac OS – zusammen führte und miteinander verschmolz. Der Name für dieses melodischen Heldenepos lautete „Rhapsody“.


Abbildung 1: Ellen Hancock (Mitte) erkannte frühzeitig, dass Mac OS nur durch Zukauf neuer Technologien überleben könnte. Sie sah in NeXT den Rettungsanker. Auf der InternetWorld 1997 in Berlin wusste sie, dass ihr Plan geklappt hatte. (Bild: Gerald Erdmann)

Classic Mac OS und OPENSTEP

Doch zunächst gab es nur das klassische Mac OS, auf das viele Mac-Nutzer aus Angst vor dem Unbekannten beharrten, sowie OPENSTEP. Denn eigentlich hatte NeXT bereits ein Jahr zuvor NEXTSTEP umbenannt und seine Orientierung auf ein plattformübergreifendes Betriebssystem ausgerichtet. OPENSTEP lief sowohl auf den Motorola-Prozessoren der NeXT-Hardware, wie auch auf Intel-Prozessoren. Es sollte außerdem bald schon zusätzlich als Laufzeitumgebung unter SUN Solaris, HP-UX und Windows NT funktionieren. OPENSTEP auch für die PowerPC-Architektur der Mac-Hardware startklar zu machen lag deshalb nahe. Das neue System baute auf dem MACH-Kernel auf, war also ein UNIX-basiertes Betriebssystem. Davon aber sollten die Nutzer – außer Laufstabilität und einiger Fertigkeiten – dank einer intuitiv zu bedienenden Benutzeroberfläche nichts sehen. Programme aus OPENSTEP-Zeiten sollten unter Rhapsody weiterhin auf PowerPC- wie Intel-Maschinen benutzbar sein.


NEXTSTEP (inzwischen in OPENSTEP umbenannt) und das klassische Mac OS sollten zu einem Betriebssystem verschmelzen. Die Vereinigung von Apple und NeXT war dazu der erste Schritt. (Bild: Uwe Friedrich, NEXTTOYOU)

Aber auch das klassische Mac OS sollte beibehalten und parallel weiterentwickelt werden, bis beide Welten miteinander verbunden werden können. Der bei NeXT bereits als technischer Vizepräsident tätige Avie Tevanian zeigte sich für das neue Betriebssystem verantwortlich und meinte: „Unser erklärtes Ziel ist es, die besten Paradigmen beider [Betriebssysteme] zu nehmen und auf eine Art zusammen zu bauen, die Sinn macht – nicht einfach, sie beliebig zu mixen. […] Das beste beider Welten.“ Doch das klassische Mac OS war noch gar nicht so weit. Erst im Februar 1998 hatte man mit Mac OS 8.1 das bis heute genutzte Dateisystem HFS+ eingeführt und weitere Neuerungen befanden sich in Planung.

Aus Rhapsody wird Mac OS X

Am 11. Mai 1998 war die Übernahme von NeXT durch Apple (oder umgekehrt) beinahe abgeschlossen. Steve Jobs hatte die Rolle des beratenden Interims-CEO eingenommen und eröffnete in dieser Funktion die Entwicklerkonferenz World Wide Developer Conference (WWDC). Für die dort anwesenden Programmierer eher weniger überraschend stellte er an diesem Tag eine vollkommen neue Betriebssystemstrategie vor: Mac OS 8.5 und Rhapsody 1.0 sollten im dritten Quartal 1998 als einzelne Betriebssystemversionen erscheinen. Für das dritte Quartal 1999 – also ein Jahr darauf – wurde jedoch die Verschmelzung der beiden zu Mac OS X angekündigt.


Chefentwickler Avie Tevanian wollte für Mac OS X das beste aus den beiden Welten NEXTSTEP und Mac OS 8 zusammen bauen. (Bild: Gerald Erdmann)

Damals musste man noch die Aussprache dieses Systems mit dazu schreiben: Mac-Oh-Ess-Zehn („Mac OS ten“). Für den sanften Übergang und die Zusammenführung beider Systeme sollte die Laufzeitumgebung (API = Application Programme Interface) „Carbon“ sorgen. Apple bezeichnete dieses Migrationskonzept als „Evolution zur Revolution“ , denn die stetige Entwicklung sollte in einem revolutionärem Betriebssystem enden – und tat es schließlich auch.

Die Abwendung von Rhapsody

Als Apple am 8. Juli 1998 auf der MacWorld New York schließlich Rhapsody in Mac OS X Server umbenannte und als Netzwerk-Betriebssystem für PowerPC- und Intel-Prozessoren anpries, glaubten viele an das endgültige Ende von Rhapsody. Denn Rhapsody hatte in den Monaten zuvor bei vielen Entwicklern für Kopfzerbrechen gesorgt und machte als Single-Lösung große Probleme.

Auf Grund hoher Kosten wollten sich große Unternehmen wie Microsoft oder Adobe dem neuen System nicht anschließen. Denn entweder blieb man als Software-Hersteller beim Alten oder baute alles auf die neue Umgebung um, die Apple als „Yellow Box“ bezeichnete. Ein sanfter Übergang oder eine einfache Übersetzung der Programme war hingegen ausgeschlossen. Ohne Anwendungen aber wird ein Betriebssystem schnell zum „Rohrkrepierer“. Auch Apple wurde dies schnell klar.

Im Hintergrund bauten 100 NeXT- und 50 Apple-Programmierer an einer Lösung, um das alte Mac OS („Blue Box“ genannt) möglichst unsichtbar und mit allen Fähigkeiten in die gelbe Umgebung einzubinden. Der Versuch scheiterte und Apple musste sich etwas Neues einfallen lassen. „Rhapsody war eine großartige Technologie,“ resümierte Steve Jobs später, „das Problem aber war, dass wenn man existierende Anwendungen in der ‚Blue Box‘ laufen ließ, man keine neuen Merkmale dabei erhielt. […] Wir kamen deshalb zu dem Schluss, dass uns Rhapsody nicht das gab, was wir wollten.“


Die Entwicklungsgeschichte von Mac OS und OpenStep, die nach und nach miteinander verschmolzen. (Bild: Tomi Engel, NEXTTOYOU)

Carbon als Lösung

Die Antwort hieß allerdings nicht „weg mit Rhapsody“, sondern „Carbon“. Die aus dem klassischen Mac OS entnommene und erweiterte Entwicklungsumgebung Carbon bildete als weitere Laufzeitumgebung das Bindeglied zwischen beiden Bestandteilen und erlaubte eine wesentlich einfachere Programmierung neuer Anwendungen. Rhapsody lief damit eigenständig in der „Yellow Box“, während Programme des alten Mac OS vollkommen abgekapselt in der „Blue Box“ ausgeführt werden konnten. Die gelbe und die blaue Welt und die darin laufenden Programme aber teilten sich über Carbon die gleiche Library (Bibliothek), mit deren Hilfe auch erkannt werden konnte, ob ein gerade gestartetes Programm zu den alten Betriebssystempfaden oder in die neue, gelbe Welt gehört und entsprechend startete.

Hierdurch war es allen Entwicklern möglich, ein Programm mit nur einem Sourcecode zu pflegen, welches in beiden Welten direkt abläuft. Und das mit einer Anpassungszeit von gerade einmal zwei Monaten – wohingegen man bei Rhapsody noch zwei Jahre zu veranschlagen hatte. Oder wie Steve Jobs im Mai 1998 meinte: „Es bringt das Mac OS in ein neues Territorium, beschert ihm den größten Fortschritt, den es seit Einführung im Jahr 1984 erfahren hat, und trotzdem wird es uns alle und all unsere Anwendungen mitnehmen.“

Die Nutzer selber aber verstanden meist nur, dass ihr altes Mac OS nun ein für sie unbekanntes Unix-System werden sollte. Der Apple-Stand auf der CeBIT 1997 wurde deshalb von Ratsuchenden Mac-Anwendern nur so belagert. Sie alle wollten von den dort anwesenden NeXT-Experten alles rund um die gelbe und die blaue Welt wissen.


Auf der CeBIT 1997 wurde die NeXT-Software noch als Unterabteilung von Apple vorgestellt – und viele Neugierige wollten wissen,wie Apples Betriebssystem-Strategie zukünftig aussehen wird. (Bild: Gerald Erdmann)

Mac OS 8.5

Meist aber blieb es bei einer undefinierbaren Angst, aus der auch der Erfolg des nächsten Updates von Mac OS 8 zu begründen ist. Nachdem Steve Jobs dieses am 14. Oktober 1998 als Mac OS 8.5, Codename „Allegro“, für den 17. Oktober ankündigte, stiegen die Verkaufszahlen rasant an.

Nicht allein die Versprechungen eines bis zu dreimal schnelleren Netzwerkzugriffs, und einer erhöhten Effizienz oder die Tatsache, dass es sich dabei um das erste Major-Upgrade seit Juli 1997 (Mac OS 8.0) handelte, waren Beweggründe zum Kauf. Das nur auf PowerPC-Rechnern laufende Mac OS 8.5 galt auch als eines der letzten Updates vor Mac OS X und viele, die das Alte einstmals als revolutionär verteidigten, hatten Angst vor dem Neuen.
Binnen einer Woche stieg Mac OS 8.5 deshalb zum vierterfolgreichsten Softwareprodukt der USA auf und im Januar 1998 verkündete Steve Jobs auf der MacWorld in San Francisco, dass mehr als eine Millionen Nutzer auf 8.5 aufgerüstet hätten. Der Erfolg war so groß, dass Apple zur Entwicklung von Mac OS X auch an der Weiterentwicklung des klassischen Mac OS arbeitete, denn die Nutzer dessen wollten ebenfalls Neuerungen sehen.

Bereits im Dezember 1998 erschien mit Mac OS 8.5.1 das erste Wartungsupdate. Am 10. Mai 1999 stellte Steve Jobs auf der WWDC das kostenlose Update auf Mac OS 8.6 vor – Codename „Veronica“. Es besaß einen Nanokernel, der im Hintergrund eines Programms einen anderen Prozess ablaufen lassen konnte. Trotz dieses ersten Vorgeschmacks auf preemptives Multitasking arbeitete das System noch immer mit kooperativem Multitasking, so dass noch immer das Programm und nicht das Betriebssystem die Prozesse abgab. Dabei war es aber spürbar schneller und stabiler als die Vorgängerversion. Die Nutzer waren verzückt.

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ZDNet.de Redaktion

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