Ubuntu 11.04: Unity-Oberfläche mit vielen Schönheitsfehlern

Gestern hat Canonical planmäßig die neue Version 11.04 (Natty Narwhal) von Ubuntu fertiggestellt und zum Download angeboten. Anders als das bei Software allgemein üblich ist, folgt Ubuntu einem strengen Zeitplan, der vorsieht, alle sechs Monate, jeweils im April und im Oktober eines jeden Jahres eine neue Version herauszubringen. Die Versionsnummer bezeichnet Jahr und Monat des Erscheinungsdatums.

Größte Neuerung in der Version 11.04 ist die von Ubuntu selbstentwickelte Shell "Unity" in einer 3D-Version, die bisher nur in einer 2D-Variante auf Netbooks zum Einsatz kam. Die bisherige Gnome-Shell kann beim Anmelden weiterhin als Option ausgewählt werden.


Auffälligste Neuerung von Ubuntu 11.04 ist die von Canonical selbstentwickelte Oberfläche Unity (Screenshot: ZDNet).

Das erklärte Missionsziel von Canonical-Gründer Mark Shuttleworth ist es, mit Ubuntu eine Linux-Distribution zu schaffen, die für Endanwender genau so einfach zu bedienen ist wie Windows oder Mac OS X und dasselbe Niveau an Produktivität bietet. Dabei ist Ubuntu auf Dauer kostenlos. Das gilt auch für Ubuntu Server.

Bei den Anwendern kommt Ubuntu gut an. Laut Distrowatch ist es die beliebteste Linux-Distribution, allerdings inzwischen dicht gefolgt von Linux Mint, das auf Ubuntu basiert und mehr Features vorinstalliert hat. Linux Mint ist kompatibel mit den Ubuntu-Software-Repositorys.

Dass Ubuntu sich als relativ junge Distribution schnell auf Platz 1 vorarbeiten konnte, liegt teilweise an Kleinigkeiten, beispielsweise an der Tatsache, dass man sich bei Canonical Gedanken darüber gemacht hat, wie man Vektor-Schriftarten am besten auf einem 96-DPI-Bildschirm darstellt. Wer einmal debian, die Mutterdistribution von Ubuntu, auf einem Desktop-Rechner installiert hat, wird eventuell alleine wegen der unschönen Fontdarstellung eine andere Alternative suchen.

Die Unity Shell: Ein noch unfertiges Produkt

Mit der neuen Oberfläche Unity will Canonical erreichen, dass weitere Nutzer von Windows zu Ubuntu wechseln. Das sagte Gerry Carr, Communications Director bei Canonical im Gespräch mit ZDNet. Ob das mit der ersten Unity-Version jedoch gelingt, muss angezweifelt werden.

Die neue Shell arbeitet in der Release-Version, anders als noch in der Beta 1, ohne Probleme. Sofern man eine kompatible Grafikhardware von AMD (ATI) oder Nvidia besitzt, ist die Unity Shell als Default für jeden Benutzer eingestellt. Die Konzepte sind teilweise durchaus schlüssig, aber in dieser ersten Version fehlen einfach ein paar Features. Ferner sind bestimmte Dinge nicht zufriedenstellend gelöst.

Statt des Panels der Gnome Shell gibt es jetzt einen Launcher (deutsch: Starter) am linken Bildschirmrand. Der Launcher entspricht in etwa dem Dock von Mac OS X beziehungsweise der Taskleiste von Windows 7. Die Anordnung links ist äußerst sinnvoll. Bei 16:9-Bildschirmen braucht man den gesamten Platz zwischen oberem und unterem Bildschirmrand für seine Anwendungen.

Jedes aktive Programm ist als Icon auf dem Launcher sichtbar. Mit einem Rechtsklick lässt sich festlegen, dass ein Icon dauerhaft im Launcher verbleibt. Die Schaltflächen sind groß genug, dass sie auch per Touchscreen bedient werden können. Das beschränkt natürlich die Anzahl der Icons, die auf einen Bildschirm passen. Hinzu kommt, dass vier System Icons vorinstalliert sind, etwa der obligatorische Papierkorb. Grundsätzlich lässt sich die Reihenfolge der Icons per Drag and drop verschieben. Die System Icons befinden sich jedoch immer ganz unten.

Sobald sich mehr Icons im Launcher befinden als auf den Bildschirm passen, was bei vielen geöffneten Anwendungen schnell der Fall ist, falten sich die unteren Icons bis zur Unkenntlichkeit zusammen. Unerfahrene Nutzer finden sich möglicherweise nicht mehr zurecht. So werden sie Schwierigkeiten haben, den Papierkorb zu finden. Der faltet sich zwar auf, wenn man die Maus darüber bewegt, aber dazu muss man wissen, wo er ist, siehe Bild 5.

Wer ein Programm ausführen möchte, das nicht im Launcher abgelegt ist, kann einfach die Ubuntu-Ikone links oben anklicken, um den sogenannten Dash zu öffnen (Bild 2). Es reicht, einen Teil des Programm- oder Dateinamens einzugeben. Dann wird das entsprechende Programm angezeigt. Dabei erscheinen auch Programme, die nicht derzeit installiert sind, aber in einem der Repositorys vorhanden sind. Klickt man auf ein solches Symbol, wird die Software über das Netz geladen und installiert.

Allerdings kommt es natürlich vor, dass man Programme installieren möchte, die nicht in einem Ubuntu-Repository vorhanden sind und für die kein .deb-Paket existiert. Wer etwa ein Nightly Build von Firefox 5 (Minefield) oder das aktuelle Thunderbird 3.1.10 installieren möchte, muss mit einem .tar.bz2-Archiv auskommen. Nach dem Start erscheint im Launcher nur eine Ikone mit einem Fragezeichen, die sich, anders als bei der Gnome Shell nicht auf einfache Weise verändern lässt, siehe Bild 10.

Auch wer darauf angewiesen ist, Programme mit einem Kommandozeilenparameter zu starten, findet dafür keine Standardprozedur in der Unity Shell. Das ist etwa der Fall, wenn man Chrome oder Firefox mit WebGL-Unterstützung starten möchte. Wer eine ATI-Grafikkarte besitzt, muss seinen Browser per Kommandozeilenparameter anweisen, die eingebaute Blacklist für bestimmte Grafikkartentreiber zu ignorieren.

Auf die Schwächen der Unity Shell angesprochen antwortet Gerry Karr von Canonical mit einer Standard-Antwort, die man typischerweise von Microsoft kennt: Die Nutzer wünschten sich eine einfach zu bedienende Shell und wollten keine Kommandozeilenparameter zum Start von Programmen eingeben, sagt er im Gespräch mit ZDNet.

Das ist soweit sogar richtig. Das Problem ist allerdings, dass es oft keine andere Möglichkeit gibt, ein bestimmtes Verhalten von Applikationen zu erzwingen. Mit about:config beziehungsweise about:flags lässt sich im genannten Beispiel das Gewünschte nicht erreichen.

Hier fehlt einfach ein Menüpunkt Properties (deutsch: Eigenschaften) der per Rechtsklick auf ein Symbol im Launcher erreichbar ist und ein Ändern der Ikone oder die Eingabe von zusätzlichen Parametern erlaubt. Das ließe sich ohne Verschlechterung der Benutzererfahrung realisieren. Es gibt daher genug Spielraum für Verbesserungen an der Unity Shell in Ubuntu 11.10. Das wird unter anderem deutlich, wenn man sich die neue Shell von Gnome 3 ansieht. Sie stellt eine wesentliche Verbesserung zur bisher in Ubuntu verwendeten Gome-2-Shell dar und muss als direkte Konkurrenz zu Unity betrachtet werden.

Mit Ausnahme der Shell will Canonical in Zukunft aber weiter auf Gnome und vor allem auch Gnome 3 setzen. Man werde Gnome-Anwendungen wie Empathy, Evolution und Gwibber auch weiterhin unterstützen. Lediglich bei der Shell gehe man seine eigenen Wege mit Unity, erklärt Karr. Von der Gnome-3-Shell will man bei Canonical nichts wissen. Eine Unterstützung werde es mit Sicherheit nicht geben.

Beim Globalen Menü an der falschen Stelle von Apple abgeguckt

Ein weiteres neues Feature von Unity ist das globale Menü. Wie bei Mac OS X werden Menüs von Programmen ganz oben im Bildschirm auf einer Leiste angezeigt. Das soll der Optimierung des Platzes auf dem Screen dienen. Auch hier muss man sich fragen, ob man damit zusätzliche Windows-Nutzer zum Umstieg auf Ubuntu gewinnen kann. Über das globale Menü von Mac OS beklagen sich nämlich viele ehemalige Windows-User, die auf Mac OS X umsteigen. Das sei sehr gewöhnungsbedürftig. Es wird als deutliche Verschlechterung der Benutzererfahrung wahrgenommen.

Inzwischen gibt es andere, bessere Konzepte, wie man den Platzbedarf von Applikationsfenstern optimieren kann. Viele Anwendungen verwenden einfach eine kleine Ikone, die zur Einblendung des Menüs führt, etwa das Schraubenschlüsselsymbol bei Google Chrome. Andere Programme wie Firefox, Internet Explorer oder Windows Explorer blenden nur dann ein Menü ein, wenn der Benutzer die Alt-Taste drückt.

Es stellt sich die Frage, ob man Apple wirklich alles nachmachen muss, zumal das globale Menü am oberen Bildschirmrand noch aus den Zeiten vor Mac OS X stammt. Es handelt sich um ein Relikt, dass von der Apple Lisa bis heute mitgeschleppt wird.

Allerdings hatten die Lisa und die ersten Macintosh-Rechner viel kleinere Bildschirme als heute üblich. Mit einem Screen jenseits von 22 Zoll Durchmesser ist ein globales Menü meist nicht im Blickfeld des Nutzers. Außerdem sucht offensichtlich sogar Apple nach Alternativen, etwa mit dem Full-Screen-App-Konzept in Mac OS X 10.7 (Lion).

Hinzu kommt, dass Unity das globale Menü nicht optimal implementiert hat. Die Menüleiste zeigt nämlich normalerweise nur den Namen des Programms an und bleibt ansonsten leer (Bild 6). Erst wenn man die Maus auf die Leiste bewegt, werden die einzelnen Punkte sichtbar, siehe Bild 7. Eine im Wesentlichen leere Leiste kann kaum als Argument für die Optimierung des Platzbedarfs herhalten.

Ferner gibt es Applikationen, die ihre Menüs selber zeichnen. Dazu gehört beispielsweise LibreOffice. In diesem Fall erscheint das Menü wie von Ubuntu 10.10 gewohnt im Applikationsfenster (Bild 8). Das will Canonical aber in Zukunft ändern. Man werde notfalls den Sourcecode von Libre Office für Ubuntu so modifizieren, dass die Anwendungen mit dem globalen Menü zusammenarbeiten, erklärt Karr.


Spontane Reaktionen auf die Unity-Oberfläche fallen nicht immer positiv aus (Quelle: Facebook, Screenshot: ZDNet).

Die Reaktionen der Nutzer auf die neue Unity-Oberfläche sind durchaus gemischt. Viele Anwender haben nach ersten Erfahrungen zurück auf den Ubuntu-Classic-Desktop gewechselt. Hier wird es die Aufgabe von Canonical sein, Feedback einzuholen und auf die User zu hören. Nur so kann Unity auf Dauer zum Erfolgsrezept werden. Andernfalls werden die Anwender nach Alternativen suchen. Ein fertiges .deb-Paket für eine Gnome-3-Shell unter Ubuntu wird nicht lange auf sich warten lassen.

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ZDNet.de Redaktion

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