Streit um Itanium: Virtualisierung als Ausweg für VMS-Kunden


Itanium-Chip: umstritten, aber für viele Kunden immer noch wichtig (Bild: Klicker/pixelio.de).

Die Gerüchteküche um Intels Itanium-Chips brodelt schon seit Jahren: Immer wieder wird die Frage gestellt, wie lange IT-Verantwortliche noch auf Itanium bauen können. Im März gab Oracle dennoch recht überraschend bekannt, dass man keine neue Software mehr für Itanium-Prozessoren entwickeln werde. Angeblich wurde diese Entscheidung nach Rücksprache mit Intel getroffen. Intel-CEO Paul Ottelini dementierte das wenig später zwar und erklärte, es würden weiter Itanium-Chips hergestellt – an der Oracle-Entscheidung änderte das jedoch nichts.

Unterstützt Oracle Itanium tatsächlich nicht mehr, trifft das vor allem Hewlett-Packard, da die High-End-Prozessoren inzwischen fast ausschließlich in HP Integrity-Servern für den Enterprise-Markt verbaut werden. Entsprechend fiel die Reaktion von HP aus. „Wir sind schockiert, dass Oracle Investitionen von Unternehmen und Regierungen in Millionenhöhe gefährdet“, so Hardware-Chef Dave Donatelli.

Hintergrund der Streitereien ist wahrscheinlich die Übernahme von Sun Microsystems durch Oracle: Durch die Fusion kam auch die Risc-Plattform Sparc zu Oracle – bis dahin neben HPs Integrity-Servern die beliebteste Hardware auf dem Unix-Markt. Seit Sun zu Oracle gehört, befinden sich die Sparc-Verkaufszahlen jedoch in freiem Fall. HP unterstellt Oracle daher, Itanium nur deshalb nicht mehr zu unterstützen, um die missliebige Konkurrenz für die Sparc-Server auszubremsen.

Allerdings ist Oracle nicht der erste Software-Hersteller, der dem Chip den Rücken kehrt: Bereits seit 2010 entwickeln Red Hat und Microsoft keine Software mehr dafür. Allerdings trifft die Oracle-Ankündigung Anwender besonders hart, da die Kombination von Oracle-Software und Integrity-Servern deutlich häufiger ist, als dies bei Microsoftz und Red hat der Fall war.

Die VMS-Nutzer mit Integrity-Plattformen sehen die Entwicklung auch deshalb mit Sorge, da sie ihre Systeme – obwohl diese teilweise ein beträchtliches Alter haben – dennoch in gewohnter Form weiterbetreiben wollen. Gründe sind unter anderem die außergewöhnliche hohe Stabilität von OpenVMS und die Tatsache, dass es bis heute keine Malware dafür gibt. Außerdem haben Firmen wie BMW, Merck und ABB Millionen in Applikationen unter OpenVMS investiert. Dieses Geld und vor allem die Anwendungen wollen sie nicht einfach abschreiben – auch deshalb nicht, weil es sich in der Regel um Software handelt, die ganz nah am Herz der Firmen-IT arbeitet oder sogar selbst als dieses angesehen wird.

Vorbild VAX-Virtualisierung

Das ist zum Beispiel bei ABB der Fall: „Unsere Abteilung deckt den gesamten Automatisierungsbereich damit ab“, erklärt Horst Krückemeier, Systemintegration, IT-Support und Logistics bei der Abteilung für Energietechniksysteme des Unternehmens. Weil in den letzten Jahren die Ersatzteilversorgung für seine
VAX-Rechner immer schlechter wurde und die Wartungskosten gleichzeitig ständig stiegen, entschied er sich, die alte Hardware zu virtualisieren. Viele seiner Kollegen, die HP Integrity-Server nutzen, befürchten nun die gleichen Probleme für ihre Rechner. Sollte der für sie schlimmste Fall eintreten und die Itanium-Reihe auslaufen, wird es in einigen Jahren keine Ersatzteile mehr geben, der Support abgekündigt und ein Software-Update unmöglich sein.

Für die Virtualisierung seines VAX-Servers nutzt ABB den Emulator Charon von Stromasys. Stromasys wurde 1998 in Genf gegründet. Das Unternehmen hat sich auf Cross-Plattform-Virtualisierungslösungen spezialsiert und ist inzwischen in neun Ländern in Europa, Amerika, Asien und Afrika vertreten. Flaggschiffe sind die Produktfamilien Charon-VAX und Charon-AXP. Sie sind aus Erfahrung mit Migrations- und Portierungsprojekten, VMS-Systementwicklungsprojekten und der Entwicklung von Binär-Übersetzungen entstanden. In den letzten Jahren wurde Charon nach Angaben von Stromasys bei über 4000 Projekten eingesetzt.

Die Software ersetzt den physischen Server durch eine virtuelle Maschine, auf der OpenVMS ohne Upgrade oder Änderung des Binärcodes weiterarbeiten kann. Das heißt für die Nutzer, dass auch die Applikationen unverändert bleiben. Der Emulator selbst kann unter Windows auf einem gängigen Intel x86-Server installiert werden. „Mit Charon passt unser gesamtes Rechenzentrum in eine x86-Maschine im 19-Zoll-Format mit zwei Höheneinheiten – ansonsten merken wir nichts davon, dass die Daten nicht mehr von der VAX kommen“, so Krückemeier.

„Wir bieten Charon sowohl für OpenVMS als auch für Tru64 Unix an. Wenn ein Unternehmen nicht migrieren möchte, kann Emulation eine interessante Alternative sein“, sagt Dogan Baser, Europamanager bei Stromasys. Vor kurzem bekam das Unternehmen zudem von VMware die Bestätigung, dass der Emulator auch zusammen mit vMotion und vSphere eingesetzt werden kann.

Doch noch ist nichts entschieden. Sowohl HP als auch Intel versichern bislang, Itanium weiter produzieren zu wollen. Aufgebrachte Integrity-Anwender wollen zudem versuchen, Oracle von seiner Entscheidung gegen Itanium abzubringen. Auf den Ausgang sind schon jetzt viele gespannt.

ZDNet.de Redaktion

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