Microsoft und Skype: Sind VoIP-Dienste zukunftsfähig?

8,5 Milliarden Dollar hat Microsoft für Skype bezahlt. Die meisten Kommentatoren sind sich einig, dass das zu viel ist, jedenfalls, wenn man die Übernahme als isolierte Investition sieht, die sich rentieren muss. Anders sieht es bei einer strategischen Betrachtung aus, die die Folgen für die Redmonder berücksichtigt, wenn Google oder Cisco das Unternehmen bekommen hätte.

Die Redmonder wollen im Markt mit Voice- und Videokommunikation eine signifikante Rolle spielen. Bisher versuchten sie mit Lync (vormals Office Communications Server) vor allem mittlere und große Unternehmen zu erreichen. Allerdings mit nur mäßigem Erfolg.

Skype wird vor allem von Privatleuten genutzt. Sich bei kleinen und mittleren Unternehmen zu etablieren, hat auch Skype bisher nicht erreicht. Wenn man sich die Technik von Skype näher anschaut, stellt man fest, dass Skype ein wesentliches Problem hat: Es lässt sich nur schwer als Ersatz für ein normales Telefon nutzen.

Das liegt vor allem daran, dass Skype kein offenes Protokoll wie XMPP (Jabber) oder SIP benutzt, sondern ein proprietäres. Ein privater Skype-Anwender, der kein Smartphone besitzt, muss seinen Rechner eingeschaltet lassen, damit er erreichbar ist. Eine Festnetz-Telefonnummer, die man zu seinem Account hinzubuchen kann, kostet mindestens 15 Euro plus Mehrwertsteuer für drei Monate. Es erscheint fraglich, ob das eine sinnvolle Ausgabe ist, wenn die Erreichbarkeit mit dem Ausschalten des Rechners ohnehin endet.

Eine bessere Erreichbarkeit ließe sich erzielen, wenn man seine normalen Festnetztelefone mit Skype verbinden könnte. Die meisten VoIP-fähigen Homerouter verwenden allerdings das SIP-Protokoll, um sich an einen VoIP-Anbieter zu verbinden. Das Skype-Protokoll beherrscht nahezu kein Gerät. Das hat Skype inzwischen erkannt und bietet ein SIP-Gateway an. Das ist grundsätzlich geeignet, sowohl Heimrouter wie eine Fritzbox als auch große Telefonanlagen mit SIP-Unterstützung an Skype anzubinden.


Stolze Preise für eine SIP-Anbindung. 4,95 Euro plus Mehrwertsteuer pro Kanal, das heißt pro gleichzeitig möglichem Gespräch (Screenshot: ZDNet).

Zum Einen begrenzt Skype das Angebot jedoch auf Unternehmen. Für Privatleute ist es nicht vorgesehen. Zum Anderen ist es im Vergleich mit anderen SIP-Anbietern zu teuer. Pro gleichzeitig möglichem Gespräch werden 4,95 plus Mehrwertsteuer jeden Monat fällig. Gesprächsgebühren sind darin nicht enthalten.

Ganz anders sieht die Sache aus, wenn man ein Smartphone einsetzt, das man in der Regel immer eingeschaltet lässt. Man installiert einfach den Skype-Client und nimmt den Nachteil in Kauf, dass man etwas mehr Strom verbraucht und sich die Akkulaufzeit verkürzt, schon ist man für alle anderen Skype-Teilnehmer erreichbar, zumindest wenn man sich im WLAN befindet oder der Mobilfunkbetreiber den Skype-Zugang nicht blockt. Über keinen anderen VoIP-Dienst kann man eine vergleichbare Erreichbarkeit erzielen.

Google Talk: kostenlose Gespräche ins Fest- und Mobilnetz

Die einzige Ausnahme stellen die USA dar. Dort machen Google Talk und Google Voice der neuen Microsoft-Tochter ernsthafte Konkurrenz. Google Talk basiert auf XMPP und setzt darauf ein selbst entwickeltes aber offengelegtes Voice- und Video-Protokoll auf. Google Voice bietet kostenlose Gespräche zu allen Rufnummern (Festnetz und Mobilfunk) in den USA an. Das macht es für US-Nutzer attraktiver als Skype. Dass auch US-Mobilfunkrufnummern kostenlos sind, liegt allerdings daran, dass in den USA auch für Handys normale Festnetznummern vergeben werden. Die zusätzlichen Mobilfunkgebühren (Airtime) zahlt in den USA immer der Angerufene oder hat dafür eine Flatrate beim Anbieter abgeschlossen.

Um mittelfristig im Geschäft zu bleiben, muss sich Microsoft daher etwas ausdenken, was sich aber auf jeden Fall negativ auf die Profitabilität von Skype auswirkt. In den USA wird es sehr schwierig mit dem kostenlosen Google-Voice-Angebot zu konkurrieren und auch in Europa muss Skype seine Preise für eine Anbindung an SIP-Telefonanlagen senken, denn die zahlreichen nativen SIP-Anbieter haben deutlich günstigere Angebote. An den Voice- und Video-Chats von Privatanwendern verdient Skype ohnehin nichts.

Langfristig keine Berechtigung für Telefonanbieter

Denkt man etwas langfristiger und strategischer, so muss man sich die Frage stellen, ob es in fünf oder zehn Jahren überhaupt noch möglich ist, mit der Vermittlung eines Telefongesprächs Geld zu verdienen. Das betrifft sowohl das Festnetz als auch den Mobilfunk.

Durch die Einführung von IPv6 ist es möglich, dass jedes Gerät mit Internetanbindung auch direkt erreichbar ist, wenn der Benutzer das wünscht. Die deutsche Telekom wird natives IPv6 noch Ende diesen Jahres für alle Privatkunden anbietet. Andere große Anbieter nannten ZDNet ähnliche Zeitpläne.

IPv6 und offene Protokolle brauchen keine klassischen VoIP-Anbieter

Für offene Protokolle wie SIP oder XMPP fällt dabei die Notwendigkeit weg, NAT-Grenzen zu überwinden. Auf diese Weise kann man jedes SIP-fähige Telefon erreichen, ohne dass dieses bei einem VoIP-Provider registriert oder angemeldet sein muss. Hilfsmittel wie ein STUN-Server oder ein sogenanntes SIP-Ping, dass einen UDP-NAT-Eintrag am Leben erhält, entfallen dann komplett.

So enthält beispielsweise Android ab Version 2.3 (Gingerbread) immer einen SIP-Client, wenn ihn der Mobilfunkprovider nicht deaktiviert hat. In diesem Fall hilft das übliche Rooten des Telefons und gegebenenfalls das Aufspielen eines generischen ROMs, um SIP wieder nutzen zu können. Und die nötige IPv6-Unterstützung hat Android auch bereits eingebaut.

Allerdings ist Googles SIP-Client derzeit nicht optimal für providerloses VoIP. Er verlangt eine Registrierung bei einem VoIP-Anbieter und erlaubt nur die Wahl von Telefonnummern und nicht von alphanumerischen SIP-Adressen. Dieses Problem behebt man, indem man eine Open-Source-Alternative wie Sipdroid aus dem Android-Market einspielt. Für iOS existieren SIP-Lösungen für Geräte mit Jailbreak.

Was IPv6 nicht lösen kann

IPv6 löst nicht von selbst alle Probleme für die kostenlose Telefonie. Offensichtlich ist, dass SIP- oder Google-Talk-Adressen dasselbe Format wie E-Mail-Adressen besitzen, obwohl sie keine sind. Das ermöglicht aber, dass man diesselbe Adresse für E-Mail und VoIP nutzen kann, etwa user@example.com. Problematisch ist dabei, dass man von einem normalen Telefon solche Adressen nicht anwählen kann.

Am wenigsten Probleme gibt es mit einem Smartphone. Mit einem guten SIP-Client kann man alphanumerische Adressen anwählen und bleibt für klassische Telefonanschlüsse erreichbar. Denn es bleibt ja für jeden die Möglichkeit, die Mobilfunknummer anzurufen. Ähnliches gilt meist für DSL- und Kabelanbieter. Der Telefonanschluss wird in der Regel automatisch geschaltet. Es stellt sich nur die Frage, ob eine Flatrate im Tarif enthalten ist. Technisch realisieren viele DSL-Anbieter ihren sogenannten Festnetzanschluss heute meist ohnehin schon per SIP über eine zweite PPPoE-Verbindung mit garantierter Bandbreite.

Will man eine klassische Telefonnummer anrufen, kann man dazu sein Smartphone oder den Festnetzanschluss verwenden, spart aber möglicherweise Geld, wenn man sich bei einem VoIP-Anbieter mit einen Gateway ins Telefonnetz (PSTN) registriert.

Eine weitere Herausforderung besteht darin, die Adresse seines Telefons bekannt zu machen. Mit IPv6 ist es grundsätzlich möglich, dass man unter einer Adresse wie user@[2001:DB8:39C3:29AE:74de:fb8c:f9c1:b215]:5060 erreichbar ist, ohne dass man sich bei einem VoIP-Anbieter wie Skype anmeldet und sowohl Video- als auch Audio-Gespräche führt. Eine solche SIP-Adresse ist jedoch ein Albtraum für jemanden, der sich schon keine Telefonnummer merken kann. Außerdem ändert sich diese Adresse, wenn man zwischen verschiedenen WLANs und Mobilfunknetzen wechselt.

Das wird sich in Zukunft wahrscheinlich auf zwei Arten lösen lassen. Zum Einen über DynDNS, wenn diese Dienste für IPv6 verfügbar sind, so dass man wenigstens unter einer Adresse wie Vorname@Nachname.dyndns.org erreichbar ist. Zum Anderen sieht IPv6 das Protokoll Mobile IPv6 vor, dass es ermöglicht, auch mit einem mobilen Gerät immer dieselbe IPv6-Adresse zu nutzen, vorausgesetzt, dass man von seinem Festnetzprovider eine feste IP-Adresse bekommt und der Router im Heimnetz als Home Agent fungieren kann. Die derzeitigen Implementierungen sind allerdings ausnahmslos unvollständig und mit Fehlern behaftet.

Die IPv6-Technologie macht langfristig nicht nur VoIP-Registrare wie Skype in ihrer jeztigen Form überflüssig, sie wird vor allem den Mobilfunkanbietern zu schaffen machen. Sie müssen sich langsam daran gewöhnen, nur noch am Internet-Zugang zu verdienen. Telefongespräche und SMS werden vermutlich mehr und mehr zurückgehen, wenn sich Nutzer vermehrt gegenseitig über VoIP erreichen können, ohne bei einem Provider registriert zu sein. Dass im neuen Mobilfunkstandard LTE erst gar keine native klassische Telefonie implementiert ist, ist ein sicheres Zeichen dafür, dass der Trend in diese Richtung geht.

Skype muss Dienstleister für Business-Kunden werden

Für Microsoft mit seiner neuen Skype-Division bedeutet das, dass es in relativ kurzer Zeit dazu kommen muss, sich mit Dienstleistungen zu profilieren, etwa Warteschlangen für Call-Center oder Erreichbarkeit von Mitarbeiten im Home-Office unter der Firmentelefonnummer, sprich mit virtuellen cloudbasierten Telefonanlagen.

Die Technologie besitzt Microsoft dafür bereits mit Lync. Bisher ist es allerdings nicht gelungen, sie erfolgreich zu vermarkten. Microsoft hat sich zu sehr darauf konzentriert, Lync als Produkt für firmeneigene Server zu verkaufen, anstatt die Technologie in der Cloud anzubieten.

Es bleibt jetzt abzuwarten, ob die Redmonder in der Lage sind, aus den Millionen Skype-Kunden genug Geschäftsanwender zu finden, die sich für diese Dienstleistungen begeistern lassen, oder ob der Markenname Skype dazu dienen kann, neue Kunden zu gewinnen. Das muss allerdings bezweifelt werden, denn Skype ist ein erster Linie ein Dienst, der von Privatkunden genutzt wird. Und die werden in einigen Jahren für keine Art von Telefongespräch mehr etwas zahlen.

ZDNet.de Redaktion

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