Anfang April hat Microsoft angekündigt, im Mai mit den Aufnahmen für den Streeview-Konkurrenten Bing Maps Streetside zu beginnen. „Wir haben uns mit den Befahrungen und der Markteinführung in Deutschland bewusst Zeit genommen, um vorher intensiv mit Branchenverbänden, politischen Vertretern und Datenschützern zu sprechen“, beteuerte im Zuge der Ankündigung Severin Löffler, Senior Director Legal and Corporate Affairs bei Microsoft.
Dennoch hagelte es in den darauf folgenden Tagen massive Kritik. Sie entzündete sich vor allem an der Tatsache, dass Microsoft keine Möglichkeit anbieten will, Bilder vor ihrer Veröffentlichung unkenntlich zu machen. Das kritisierte Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) ebenso wie ihre Parteifreunde Michael Frieser (Bundestagsabgeordneter für Nürnberg-Süd und Schwabach) und der bayerische Innenminister Joachim Herrmann.
Herrmann drohte sogar damit, Streetside durch das Landesamt für Datenschutz verbieten zu lassen, falls nicht für diese Möglichkeit gesorgt würde: „Sollte sich Microsoft weigern, Vorabwidersprüche zuzulassen, bliebe dem Landesamt keine andere Möglichkeit, als Microsoft den Start des Dienstes ohne vorherige Widerspruchsmöglichkeit der Bürgerinnen und Bürger zu untersagen“, so das Fazit einer Pressemitteilung des Ministeriums vom 20. April.
Dass sich besonders bayerische Politiker zu Streetside äußerten liegt zum einen daran, dass die Kamerafahrten zunächst in bayerischen Städten geplant sind. Im Juni folgen dann voraussichtlich Offenbach und die Rhein-Neckar-Region. Diesbezüglich hat sich auch schon Jörg Klingbeil, der baden-württembergische Landesdatenschutzbeauftragte zu Wort gemeldet. Im Wesentlichen fordert er dasselbe wie die CSU-Politiker: „Dem informationellen Selbstbestimmungsrecht der Bürger muss das Unternehmen Microsoft jedoch ebenso Rechnung tragen, wie dies seinen Mitbewerbern auf dem Markt für Online-Panoramaansichten abverlangt wird.“
Insbesondere hält er es für unabdingbar, „dass das Unternehmen den betroffenen Eigentümern und Mietern die Möglichkeit einräumt, der Veröffentlichung von Aufnahmen der in ihrem Eigentum stehenden beziehungsweise von ihnen bewohnten Gebäude schon vorab zu widersprechen, noch bevor diese Bilder in das Internet gestellt werden.“
Microsoft verteidigt Streetside
Jetzt sind die Kamerawagen nach einer rund zweiwöchigen, laut Microsoft technisch bedingten Verzögerung, bereit loszurollen. Einen offiziellen Startschuss wird es nicht geben, auch wenn es heute danach aussah. Laut Microsoft-Sprecher Thomas Baumgärtner fahren die Autos los, sobald technisch alles passt – das kann noch heute oder erst in ein paar Tagen sein. Eventuell nehmen auch nicht alle gleichzeitig ihre Arbeit auf.
Die Zeit hätte sich gut nutzen lassen, um Klarheit zu schaffen. Aber das haben alle Beteiligten versäumt – oder haben es nicht rechtzeitig geschafft, sich zu einigen. Microsoft beharrt auf seinem Standpunkt. Fast sieht es so aus, als ob der Konzern das Kasperltheater der Empörten in der Hoffung an sich vorbeiziehen lässt, dass es einfach irgendwann vorbei sein wird. Gegenüber ZDNet weist ein Sprecher darauf hin, dass man KFZ-Kennzeichen, Gesichter oder anstößige Bildteile ohnehin automatisch unkenntlich mache – mit einer Erfolgsquote von über 97 Prozent. Wer dennoch ein unpassendes Bild entdecke, könne durch einfaches Markieren und unter Angabe einer gültigen Mailadresse dessen Unkenntlichmachung beantragen, die dann innerhalb von 48 Stunden umgesetzt werde.
Und schließlich habe Microsoft den Geodatenkodex unterzeichnet – ein Dokument, dass Daten- und Verbraucherschützer im Zuge der Google-Debatte vehement gefordert und der damalige Innenminister auf der CeBIT zufrieden zur Kenntnis genommen habe – sogar mit dem Ziel, einen Gesetzentwurf daraus zu machen. Auf den warte aber nicht nur die Branche immer noch.
„Ich weiß nicht, ob sich Microsoft damit einen Gefallen tut“
Für den baden-württembergischen Landesdatenschutzbeauftragten stellt sich das anders dar. Im Gespräch mit ZDNet berichtet er, dass Microsoft auf seine Anfrage von April bisher nicht geantwortet habe. Die von Microsoft erwähnte und vom Bitkom beworbene Selbstverpflichtungserklärung (PDF) für Geodaten hält er nicht für ausreichend – unter anderem wegen der fehlenden Möglichkeit der Vorablöschung. Diese Einschätzung teilt übrigens auch der sogenannte „Düsseldorfer Kreis„, eine informelle Vereinigung der obersten Aufsichtsbehörden aus mehreren Bundesländern. Der hat diese Auffassung am 8. April noch mal bekräftigt.
„Wir sollten die bei Google erreichten Maßstäbe nicht wieder aufgeben“, so Klingbeil gegenüber ZDNet. „Ich denke, die Bevölkerung will das auch nicht und ich weiß nicht, ob sich Microsoft damit einen Gefallen tut, dass es an seiner abweichenden Position festhält.“
Rückzieher des Innenministeriums
Der Anruf beim bayerischen Staatsministerium des Inneren mit der Frage, ob Microsoft Konsequenzen zu befürchten habe, weil trotz der Drohungen des Innenministers mit den Kamerafahrten begonnen wurde, bleibt weitgehend unbeantwortet, aber nicht ganz ergebnislos. „Wir erwarten, dass Microsoft in den nächsten Tagen klärt, ob es ein Vorabwiderspruchsverfahren gibt“, so ein Sprecher auf Anfrage von ZDNet. „Es kann davon ausgegangen werden, dass die Frage geklärt ist, wenn der Dienst startet.“
Außerdem begrüße man, dass sich das Landesamt für Datenschutzaufsicht dafür einsetze, dass zumindest der bei Google angesetzte Standard wieder erreicht werde. Es sei allerdings offen, ob man dem Unternehmen bei der Wahl eines anderen Verfahrens den Start des Dienstes tatsächlich untersagen kann.
Immerhin erfährt ZDNet noch, dass die Sache mit dem „verbieten lassen“ im April vom Minister offenbar gar nicht so gemeint war: Das Landesamt für Datenschutzaufsicht sei schließlich eine unabhängige Behörde. Man habe das nun auch geändert. Im Klartext: Der Minister ist in seiner ersten Stellungnahme deutlich über das Ziel hinausgeschossen. Einen individuellen Rechtsanspruch haben Hausbesitzer und -bewohner ohnehin nicht.
Datenschützer setzen auf Gespräche
Das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht geht die Sache bedeutend ruhiger an als die Politiker. Heike Dümmler, Referentin bei der Behörde, bestätigt gegenüber ZDNet noch einmal, dass der Innenminister dem Amt gegenüber keinerlei Weisungsbefugnis hat. Gegenwärtig befinde man sich noch in Gesprächen mit Microsoft. „Wir arbeiten an einer konstruktiven Lösung.“ Kommt es nicht zu einer Einigung, werde man voraussichtlich eine Anordnung erlassen – bevorzugt werde aber eine friedliche Lösung.
Aus dem Gesetz lasse sich eine Verbotsmöglichkeit nicht direkt ableiten. Allerdings stünden sich eben zwei Rechtsaufassungen gegenüber. Laut Microsoft sind die Interessen der Betroffenen durch die automatische Unkenntlichmachung von Gesichtern, KFZ-Kennzeichen und Ähnlichem sowie der schnellen und einfachen Einspruchsmöglichkeit nach Veröffentlichung gewahrt.
Nach der Rechtsaufassung des Amtes sind die Interessen der Betroffenen dagegen nur gewahrt, wenn vorab eine Einspruchsmöglichkeit besteht. „Uns ist nicht daran gelegen, so einen Dienst mit der Forderung nach einer Vorabwiderspruchsmöglichkeit kaputt zu machen“, sagt Dümmler im Gespräch mit ZDNet. Die demnächst beginnende Aufnahme der Bilder sei aus ihrer Sicht zunächst auch unbedenklich. Eine Klärung der Frage sei allerdings spätestens vor deren Veröffentlichung erforderlich.
Fazit
Unterm Strich sind die Forderungen der Politiker im Zusammenhang mit Streetside ebenso wie damals mit Streetview wenig zielführend und meist nicht realistisch. Eine konkrete gesetzliche Grundlage für sie gibt es offenbar nicht. Die Forderung, wenigstens die mit Google vereinbarten „Standards“ einzuhalten sind zwar nachvollziehbar, lassen sich aber wohl nicht durchsetzen, wenn Microsoft auf stur schaltet.
Ob das für den Konzern ratsam wäre, ist allerdings fraglich. Eigentlich sollte er aus der schlechten Presse und dem Theater, das Google wegen Streeview hatte, etwas gelernt haben. Möglicherweise fällt die Entscheidung, wie Streetside umgesetzt wird, aber nicht in Deutschland – sodass diejenigen, die die Entscheidungen treffen, nicht die Konsequenzen zu tragen haben. Das wäre eine für Microsoft in Deutschland ungünstige Konstellation.
Gäbe es vom Marktforschungsunternehmen Gartner einen der bekannten Magic Quadrants, auf denen Firmen nach Innovationskraft und Leistungsfähigkeit bewertet werden, auch für Politiker und Datenschutzaktivisten, dann wären die deutschen Vertreter sicherlich ganz unten rechts angesiedelt: Dort finden sich die, denen die Marktforscher zwar große Vorhaben und schöne Ideen zubilligen („Vision“ im Jargon der Analysten), aber keinerlei Kraft, Möglichkeit und Willen, diese Vorhaben auch in die Tat umzusetzen (im Jargon der Analysten „Ability to execute“).
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