Windows ohne Fenster: Wagt Microsoft den Neuanfang?

Desktop, Startleiste, Fenster, Ordner – seit der Einführung von Windows 95 vor fast 16 Jahren hat sich die grundlegende Bedienphilosophie von Windows kaum geändert. Viele Konzepte gehen noch viel weiter zurück und wurden vorher von anderen Betriebssystemen genutzt. Im Rahmen der Vorstellung von Windows 8 in der vergangenen Woche sind aber zahlreiche Hinweise aufgetaucht, die darauf hindeuten, dass Microsoft mit Windows 8 einen grundlegenden Neuanfang wagen will.

Dass die nächste Windows-Generation über eine fingerfreundliche Oberfläche verfügt, war erwartet worden. Schließlich kann Windows 7 in diesem Punkt nicht viel vorweisen. Auch die Oberfläche mit der an Windows Phone 7 angelehnten Optik, ist keine echte Überraschung – schließlich sind Screenshots schon vorab ins Internet gelangt. Es zeichnet sich aber ab, dass der kürzlich erstmals auf der All Things Digital gezeigten Oberfläche eine deutlich größere Rolle zukommt als bisher angenommen.

Was Microsoft präsentiert hat

Auf dem Startscreen von Windows 8 sieht man die so genannten Live Tiles – eine Kombination aus Icon und Widget. Sie dienen zum Start von Applikationen, zeigen aber auch umfangreichere Infos wie das Wetter oder Aktienkurse an. Damit lehnt sich Microsoft an das Konzept von Windows Phone 7 an. Im Vergleich zum Smartphone-OS findet man aber eine deutlich größere Zahl rechteckiger statt quadratischer Tiles. Sie zeigen mehr Infos an, was angesichts des größeren Screens eine sinnvolle Entscheidung ist. Im Gegensatz zum klassischen Windows-Desktop lassen sich auf dem Startscreen aber keine Dateien speichern.


Die Tablet-Oberfläche von Windows 8 erinnert mit seinen Live Tiles an das Interface von Windows Phone 7 (Bild: Microsoft).

Mit dem Interface soll auch eine neue Art von Applikationen unter Windows einziehen. Sie laufen nicht mehr in frei verschiebbaren Fenstern mit Titelleisten, sondern grundsätzlich im Vollbild. Vom Windows-Interface ist dabei nichts mehr zu sehen. Die einzige bislang bekannte Ausnahme ist, dass zwei Applikationen nebeneinander ausgeführt werden können. Das erfolgt über ein an Aero Snap angelehntes Feature. Über einen verschiebbaren, vertikalen Trennstrich kann der Anwender festlegen, welchen Anteil der Bildschirmfläche die beiden Anwendungen einnehmen. Multitasking ist also möglich. Interessanterweise werden die Apps nicht mit einem X geschlossen. Task Management scheint das OS selbst zu übernehmen.

Anwendungen, die nicht nach dem neuen Modell funktionieren, also anfänglich fast alle, werden im klassischen Windows-Desktop mit Taskleiste und Desktop gestartet. Zumindest in den Demos, die Microsoft nach eigenen Angaben mit echtem Code durchgeführt hat, erfolgte das flüssig und ohne Verzögerungen. Die in den letzten Monaten geleakten Builds zeigen, dass auch hier Modifikationen geplant sind.

Julie Larson-Green, die als Corporate Vice President Windows Experience federführend für die Oberfläche verantwortlich ist, machte während der Demo auf der All Things Digital deutlich, dass die neue GUI keineswegs nur auf Tablets zum Einsatz kommen soll.

„Das ist der neue Startscreen. Man geht nicht mehr zu einem leeren Desktop“, so die Managerin. Von einer Einschränkung auf Tablets war nicht zu hören – übrigens auch nicht im Microsoft-Werbeclip. Zwar sei die Umgebung für Touch-Geräte optimiert, könne aber genauso mit der Maus bedient werden. Auf auf anderen Demos, etwa auf der Computex, wurde erkennbar darauf Wert gelegt, das neue OS auf verschiedenen Formfaktoren zu zeigen – vom kleinen Laptop bis zum großen All-in-One.

Viele Fragen bleiben

Microsoft hat mit Windows 8 offenbar Großes vor: Geplant ist nicht weniger als der Komplettumbau hin zu einem System, das in den Grundzügen an ein Smartphone angelehnt ist. Daran erinnern der Startscreen mit den Live Tils, die Vollbild-Apps und das völlige Verschwinden der Windows-GUI. Auch ein App Store dürfte eine wichtige Rolle spielen.

Auch wenn nach der Demo deutlich wurde, was Microsoft vorhat, bleiben am Ende mehr Fragen als Antworten: Sind die Nutzer bereit für einen so radikalen Wandel? Und können sich Entwickler dazu durchringen, Anwendungen für das neue OS zu schreiben. Zumindest in diesem Punkt haben die Redmonder ihre Ausgangsbasis schonmal verbessert: Die Entwicklerplattform setzt auf HTML5, JavaScript und CSS auf. Das heißt jeder Webentwickler kann auch Windows-Anwendungen schreiben. Informierten Kreisen zufolge sollen Programme aber auch in .Net geschrieben werden können.

Völlig offen ist zudem, ob die neue Oberfläche für alle Art von Programmen funktioniert. Gezeigt wurde bislang nämlich nur Software mit einem sehr beschränkten Funktionsumfang, etwa eine Wetter-Anzeige oder ein Twitter-Client. Man kann sich derzeit nur schwer vorstellen, wie in diesem Umfeld Programme mit einer deutlich höheren Informationsdichte funktionieren sollen. Beispielsweise ein Profi-Videoschnitt oder eine komplexe Tabellenkalkulation wie Excel. Fragen nach den Plänen der Office-Abteilung wurden von Larson-Green auch mehrfach abgebügelt. Möglicherweise muss man sich dauerhaft auf zwei Umgebungen einrichten.

Dass die neuen Anwendungen grundsätzlich auf Touch optimiert sein sollen, macht die Beantwortung dieser Fragen am Ende nicht einfacher. Definitive Aussagen dazu wird es aber wohl erst im September auf der eigens für Windows 8 einberufenen Entwicklerkonzerenz Build geben.

Unabhängig davon zeigen alleine die für Windows verantwortlichen Microsoft-Mitarbeiter, dass die Zeichen auf Wechsel stehen. Unter der Führerschaft von Sinofsky hat Larson-Green bereits die Oberfläche eines anderen wichtigen Produkts umgestaltet: Office 2007. Die Änderungen sind aber nicht überall auf Gegenliebe gestoßen. So wird es vermutlich auch bei der nächsten Windows-Generation sein. Daher ist klar, wieso Microsoft-CEO Steve Ballmer auf die Frage nach dem riskantesten Projekt antwortete: Windows 8.

ZDNet.de Redaktion

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