Nach Angaben der Bundesregierung, die Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung zitiert, fehlen bis 2025 in Deustchland rund 6,5 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter – darunter auch viele, die eine Stelle als Fachkraft besetzen sollen. Genau die werden in den Planungen der Politiker aber benötigt, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu sichern. Oder wie Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen es im FAZ-Interview formuliert: „Wenn wir Spitze bleiben wollen, brauchen wir auch Spitzenleute von überall her.“
Die Bundesregierung will deswegen als Teil ihres Konzepts die Hürden für eine Anstellung ausländischer Ingenieure und Ärzte senken. Regeln soll das derzeit im Verabschiedungsprozess befindliche sogenannte Anerkennungsgesetz: Demnach muss bei der der Einstellung von Ärzten, Maschinenbau-, Fahrzeugbau- und Elektroingenieuren künftig nicht mehr vorrangig geprüft werden, ob es auch inländische Bewerber gibt.
Qualifizierte Zuwanderung ist jedoch nur ein Teil des vom Bundeskabinett beschlossenen Fachkräftesicherungskonzeptes. Daneben stehen Aktivierung und Beschäftigungssicherung, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Bildungschancen für alle von Anfang an sowie Aus- und Weiterbildung auf dem Programm. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit soll sich damit aber lediglich etwa die Hälfte der Fachkräftenachfrage im Inland befriedigen lassen.
Für den Rest setzt die Politik auf Zuzug von Fachkräften aus dem Ausland. Aber nicht nur die Politik: Bei einem Treffen vergangene Woche, im Gästehaus der Bundesregierung in Meseberg, stellten sich auch Wirtschaftsvertreter und wichtige Gewerkschaftsvertreter auf Seiten der Regierung.
Staatsministerin Maria Böhmer erklärte: „Das Anerkennungsgesetz bringt die Integration einen großen Schritt nach vorn und macht Deutschland für kluge Köpfe aus aller Welt attraktiver. Künftig können sich Akademiker und Fachkräfte schon im Herkunftsland darüber informieren, ob und wie ihre Qualifikationen und Abschlüsse in Deutschland anerkannt werden.“ Mit dem Anerkennungsgesetz setze Deutschland internationale Maßstäbe bei der Verknüpfung von Zuwanderung und Integration. „Selbst im Einwanderungsland Kanada müssen sich zugewanderte Akademiker und Fachkräfte häufig noch nachqualizieren und eine zusätzliche Prüfung absolvieren, um in ihrem erlernten Beruf arbeiten zu können.“
Die ganze Sache hat aus Sicht der IT-Branche jedoch einen gewaltigen Haken: Zwar wird sie beim alljährlichen IT-Gipfel als Wachstumsmotor gelobt und von den Politikern umworben – die dafür notwendigen Fachkräfte will man ihr aber nicht zuführen.
Gute Fachkräfte stehen nicht an der Grenze und warten
Bereits vor zehn Monaten schlug der damalige Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer ungewohnt scharfe Töne an, als er Seehofers Aussagen zur Zuwanderng kritisierte. Fast die Hälfte von 1500 befragten IT-Unternehmen konstatiert damals einen Fachkräftemangel bei IT-Experten. Als Gründe haben sie neben den Schwächen des deutschen Bildungswesens den steigende Bedarf an Hochqualifizierten ausgemacht: Zwei Drittel der Firmen geben an, dass sie in Zukunft mehr IT-Experten mit Hochschulabschluss benötigen. Laut Bitkom konnten im Herbst 2010 fast ein Drittel der Unternehmen freie Stellen für Auszubildende in den IT-Berufen nicht besetzen, weil geeignete Bewerber fehlten.
„Der Mangel an IT-Spezialisten ist ein strukturelles Problem, das von der Wirtschaftskrise nur vorübergehend gemildert wurde“, sagte Scheer damals. „Mit der konjunkturellen Erholung kommt das Fachkräfteproblem mit voller Wucht zurück.“
Jetzt, fast ein Jahr später, fühlt sich der Bitkom durch das geplante Anerkennungsgesetz übergangen: „Es ist völlig unverständlich, dass Informatiker bei der Abschaffung der Vorrangprüfung nicht berücksichtigt wurden“, sagte Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. In einer aktuellen Befragung hätten 60 Prozent der Unternehmen angegeben, dass der Expertenmangel ihre Geschäftstätigkeit bremst. Rund 29.000 Stellen für Informatiker seien in der deutschen Wirtschaft derzeit unbesetzt.
Der Start der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Polen, Tschechien und Ungarn habe zudem gezeigt, dass gut qualifizierte Fachkräfte nicht an der Grenze stehen und warten, um nach Deutschland zu kommen. „Wir müssen im Ausland aktiv für den Arbeitsstandort Deutschland werben“, forderte Rohleder – so wie übrigens Scheer schon bei einigen Gelegenheiten zuvor. Der Bitkom verlangt die Abschaffung der Vorrangprüfung für weitere Berufsgruppen, eine Senkung der Einkommensgrenzen für den Erhalt einer Niederlassungserlaubnis und die Einführung eines Punktesystems. Zudem sollen ausländische Studierende, die in Deutschland einen Abschluss machen, ein uneingeschränktes Bleiberecht erhalten.
Der Bundesverband IT-Mittelstand (BITMi) schließt sich den Forderungen des Bitkom weitgehend an. „Auf dem letzten IT-Gipfel hatte der damalige Bundeswirtschaftsminister geäußert, dass mehr als 50 Prozent des Produktivitätswachstums in der EU auf den Fortschritten der Informationstechnologie beruhen“, erinnert Oliver Grün, Vorstandsvorsitzender des Verbandes und Vorstand der Grün Software AG. „Vor diesem Hintergrund ist es unbegreiflich, dass die geplante Erleichterung bei der Zuwanderung ausländischer Fachkräfte für Ärzte, Maschinenbauer und Elektroingenieure gilt, nicht aber für Informatiker auf welche die Wirtschaft dringend angewiesen ist.“
Mikroelektronik und Softwareentwicklung sei ebenso wie Biotechnologieeine eine Querschnitts- und Hochtechnologie. Im Feld der Hochtechnologien sei Deutschland laut einer OECD-Studie jedoch nur Mittelfeld. In den USA und Großbritannien leisten Querschnittstechnologien einen doppelt so hohen Beitrag zur Bruttowertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe wie in Deutschland, wo es etwa zwischen 10 und 20 Prozent sind. Gerade die Querschnittstechnologien seien es aber, die das gesamtwirtschaftliche Produktivitätswachstum beschleunigen und Wettbewerbsvorteile sichern.
Wie sehen Sie die Situation der IT-Fachkräfte in Deutschland? Müssen Schüler und Schülerinnen, die Informatik grundsätzlich toll finden, aber dennoch nicht studieren wollen besser motiviert werden? Lässt sich das Problem durch mehr Frauen in der IT lösen? Ist Zuwanderung doch das geeignete Mittel oder ist der Zug bereits abgefahren – auch weil Deutschland für die wirklich fähigen Köpfe einfach nicht attraktiv genug ist?
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