Was Google+ kann und wie sich Facebook wehrt

Wenn man ganz ehrlich ist, muss man Googles frühere Versuche, bei Sozialen Netzen Fuß zu fassen, als ausgewachsene Katastrophen bezeichnen. Open Social scheiterte, weil Google weder Facebook noch andere von der Idee einer umfassenden, sozialen Identität überzeugen konnte. Google Wave schoss am Ziel vorbei, weil es für die meisten Nutzer keinen erkennbaren Wert schaffen konnte. Das heißt nicht, dass er nicht da war – aber so verborgen, dass ihn sich zu wenig Anwender erarbeiteten. Und Google Buzz hat die Web-Gemeinde verschreckt, weil es die bei Google ohnehin weit gesteckten Grenzen der Privatsphäre ignorierte.

Google+ scheint jetzt jedoch das zu sein, was Google als Angebot für Social Networking immer vorgeschwebt haben mag, man aber bisher nicht umsetzen konnte. Die Tatsache, dass der Suchanbieter nach mehreren Anläufen längst nicht mehr Vorreiter in dem Segment ist, mag zwar am Stolz der Entwickler aus Mountain View kratzen – ist aber letztendlich die Gelegenheit, nicht nur aus den eigenen, sondern auch aus fremden Fehlern zu lernen.

Platzhirsch Facebook hat durch sein Gebaren im Umgang mit der Privatsphäre seiner Nutzer inzwischen viel Kredit verspielt – nicht nur bei Ministerinnen in Deutschland. Außerdem ist es – wohl aus kommerziellem Kalkül – in Konfiguration und Benutzung so unübersichtlich, dass sich viele Nutzer etwas anderes wünschen. Gute Voraussetzungen also für den Start von Google+.

Bisher nur ein Feldversuch

Google nennt Google+ ausdrücklich einen Feldversuch – eine etwas umständliche Art darauf hinzuweisen, dass es – wie so vieles von Google – noch im Betastadium ist. Vic Gundotra, Googles Senior Vice President für den Bereich Social und damit verantwortlich für Plus, erklärt damit auch die anfangs nur spärlich verteilten Einladungen. „Wir wollten eine große Vielfalt, daher haben wir Teilnehmer mit 42 unterschiedlichen Muttersprachen ausgewählt. Wir wollen das Produkt wirklich testen, sichergehen, dass wir die Erwartungen der Nutzer an die Privatsphäre erfüllen, dass die dahinterstehenden Systeme laufen und wir uns schnellem Wachstum anpassen können.“ Sobald man bereit sei, werde man die Plattform auch öffnen.

Bradley Horowitz, der zweite bei Google für Plus verantwortliche Manager, verteidigt den Begriff Feldversuch ebenfalls: „Es gibt noch viele ungeschliffene Kanten und viel, was wir lernen müssen. Aber allein das Feedback in den ersten 24 Stunden war schon überwältigend.“

Schön, dass sich Google diesmal so bescheiden gibt. Aber selbst mit den zahlreichen ungeschliffenen Kanten und ohne dass die Massen Zugang zu Google+ haben, ist der erste Kontakt mit Google+ recht beeindruckend. Außerdem ist gut absehbar, welchen weiteren Weg Google damit einschlagen will.

Circle statt Freunde-Flut

Ein großer Vorteil von Google+ ist das einfache Finden und Verwalten von Kontakten (aka Freunden). Obwohl eigentlich eine Selbstverständlichkeit für ein soziales Netz, ist das doch ein Aspekt, den andere eher nachlässig behandeln. Twitter hat diesen Punkt beispielsweise noch nicht im Griff. Facebook ist in darin zwar etwas besser, aber im Vergleich zu Google sehen beide wie Anfänger aus.

Die Kontakt-Funktion bei Google+ heißt „Circles“. Sie erweist sich als intuitives Mashup der Freunde-Funktion von Facebook und der Follower-Funktion von Twitter. Ein Circle ist eigentlich nichts anderes, als eine Gruppe von Kontakten. Freunde und Bekannte werden diesen Kreisen zugewiesen.

Beispielsweise lassen sich bei Google Kontakte in die Circle für Freunde und Familie, Kollegen, Nachbarn etc. einsortieren. Jede dieser Gruppen kann nur für sie bestimmte Statusmeldungen oder Nachrichten erhalten. Nutzer können jedoch einfach und schnell zwischen den einzelnen Zeitleisten für die einzelnen Gruppen umschalten. Damit spiegeln die Circle die Lebenswirklichkeit wesentlich besser wider, als Facebook oder Twitter mit ihrem Anspruch, alle Kontakte in einen Topf zu werfen.

Außerdem lassen sich Circle für Menschen anlegen, die man nicht unbedingt kennt, an deren Nachrichten man jedoch interessiert ist – etwa Experten, Aktivisten oder Sprecher von wichtigen Organisationen. In diesem Punkt greift Google+ Twitter auf, denn diese Menschen müssen ihrerseits keinen Circle mit dem Nutzer anlegen, damit dieser ihre Nachrichten erhalten kann. Ein Interessent bekommt all ihre öffentlichen Updates – aber da diese Personen, um eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, die meisten Updates ohnehin allgemein zugänglich machen, dürfte er sich ausreichend informiert fühlen.

Hervorstechendes Merkmal von Google+ ist wie gesagt die einfache Verwaltung der Kontakte beziehungsweise Freunde: Überall, wo man einen Nutzernamen oder Avatar sieht, kann man diesen durch Mouseover und Klick auf den Menüpunkt „Add to Circles“ auswählen, welchem Kreis dieser zugeordnet werden soll.

Facebook geht mit seinen Vorschlägen und Freundefindern zu aggressiv vor, Twitter ist zu umständlich. Während es bei dem Kurznachrichtendienst Monate dauerte, um einen Stamm von Personen anzulegen, von dem man wirklich interessante Meldungen bekommt, geht das bei Google+ binnen weniger Tage. Zugegeben: Google+ profitiert hier von der Vorarbeit, die die Nutzer sich bereits mit Facebook und Twitter gemacht haben, überträgt aber die bestehenden Kontaktstrukturen in ein wesentlich nutzerfreundlicheres Schema.

Facebook hat am meisten zu verlieren

Google+ ersetzt damit kurzfristig Facebook und Twitter nicht. Aber der Markteinritt von Google wird sich auf das Segment auswirken. Am meisten zu verlieren hat ganz klar Facebook. Bis sich Tante Else und der örtliche Klempner bei Google+ ebenso breit machen, wie sie es zuletzt bei Facebook getan haben, dauert es sicher noch ein Weile – falls es überhaupt so weit kommt. In drei Jahren geht es sowohl Facebook und Twitter als auch Google+ bestimmt noch ausgezeichnet.

Allerdings werden sich die Nutzer ihnen aus unterschiedlichen Beweggründen zuwenden. Bei Twitter suchen sie nach Nachrichten und trachten danach, Stars und Sternchen im Cyberspace legal zu stalken. Bei Facebook steht im Vordergrund die Pflege des privaten Netzwerks sowie sich die Zeit zu vertreiben, etwa mit Spielen. Eine wichtige Rolle fällt vielleicht auch noch dem Chat über Dinge zu, die man sich anschaffen will oder die Möglichkeit, über bereits angeschafftes Ärger abzulassen, wenn es die Erwartungen nicht erfüllt.

Und wo bleibt Google+? Anfänglich bewegt sich zunächst nur die digitale Avantgarde in dem neuen Netzwerk. Technologieexperten, -spezialisten und -liebhaber, Unternehmer sowie Menschen, die mit dem Internet arbeiten, aber auch die unvermeidlichen Social-Media-Aktivisten und Vorreiter. Deren Zahl wird zwar im Vergleich zu den mehreren hundert Millionen Facebook-Nutzern klein sein, ihren Einfluss sollte man aber nicht unterschätzen. Schließlich handelt es sich um dieselbe Gruppe, die in den vergangenen Jahren Twitter und Foursquare allgemein bekannt gemacht. Viele davon gehören bereits zu den ersten, ausgewählten Google-Nutzern. Man darf erwarten, dass ein Teil in naher Zukunft ihre Facebook-Aktivitäten wenn nicht einstellt, so doch deutlich reduziert, um mehr Zeit mit Google+ zu verbringen.

Richtig interessant wird es aber, wenn Google+ über diese Community hinauswächst. Langfristig wird Google+ weniger ein Anlaufpunkt im Web als vielmehr ein verbindendes Gewebe im Social Web sein. Dabei geht es darum, dass Social Networking sich über fest umgrenzte Angebote wie Facebook oder kontrollierte Ökosystemen wie Twitter hinausbewegt.

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ZDNet.de Redaktion

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