Warum das Internet doch nicht an allem Schuld ist

Das Internet ist grundsätzlich Schuld an allem Übel, etwa Kinderpornografie, Amokläufen, Terroranschlägen, radikalem Islamismus und eben auch dem genauen Gegenteil davon, nämlich dem Anti-Islamismus. Das jedenfalls wollen uns bestimmte Politiker genauso glauben machen wie manche vom Hausfrauendasein gelangweilte adlige Gattinnen ehemals promovierter Ex-Minister.


Um die Wurzel allen Übels, nämlich das Internet, zu beschränken, ist manchen Leuten jedes Mittel recht. Da darf es auch schon mal ein bisschen RTL II sein.

Während es um Stephanie zu Guttenberg relativ ruhig geworden ist, sorgt die neueste Aussage von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) im Spiegel-Interview für Aufregung: Hätte der Blogger mit dem Pseudonym „Fjordman“ seine abstrusen Theorien unter seinem richtigen Namen veröffentlicht, wären die Anschläge in Norwegen verhindert worden. Einen anderen Schluss lässt seine Forderung nach Klarnamenpflicht jedenfalls nicht zu.

Natürlich muss ein deutscher Innenminister Stellung zu den Anschlägen in Norwegen beziehen. Schließlich fällt es in seinen Bereich, die Vorbereitung solch schrecklicher Ereignisse bereits im Vorfeld zu entdecken und zu verhindern. Seine Antwort im Interview zeigt aber nur eins: Offensichtlich hat er sich mit dem Thema nicht differenziert genug beschäftigt, so wie man es in seinem Job erwarten könnte.

Die pauschale Behauptung, „das Internet“ sei Schuld und man müsse Maßnahmen wie Vorratsdatenspeicherung und Klarnamenpflicht ergreifen, zeugt nicht gerade von der Bereitschaft, sich intensiv mit Ursache und Wirkung bestimmter Ereignisse zu beschäftigen. Zudem ist diese Schuldzuweisung mittlerweile ziemlich abgegriffen. Das hätte Herrn Friedrich sogar ein nur mittelmäßig begabter PR-Berater sagen können.

Transponiert man Friedrichs Theorie zurück in die 60er und 70er Jahre, als das Fernsehen noch ein relativ neues Massenmedium und ständiges Angriffsziel ewig Gestriger war, müsste man folgerichtig zu dem Schluss kommen, dass die RAF erst gar nicht entstanden wäre, wenn Heino und Rex Gildo ihre Schlager unter ihren Klarnamen Heinz Georg Kramm und Ludwig Franz Hirtreiter in der ZDF-Hitparade zum Besten gegeben hätten.

Die Verwendung von Pseudonymen ist nicht erst mit dem Internet entstanden. Auch ist sie keine Erfindung von Schlagerproduzenten, denn zahlreiche Buchautoren schreiben nicht unter ihrem richtigen Namen. Ein relativ bekanntes Beispiel ist die Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Amandine-Aurore-Lucile Dupin de Francueil (1804-1876), Geliebte des Komponisten Frédéric Chopin, die sich gezwungen sah, ihre Romane unter dem Pseudonym „George Sand“ zu veröffentlichen. Damals wollte niemand etwas lesen, was von einer Frau geschrieben wurde. Das verbot die zeitgenössische Political Correctness.

Soviel zur Behauptung des Ministers, dass in der guten alten Offline-Welt jeder mit offenem Visier antrete. Es gilt nämlich: Was schon seit Hunderten von Jahren offline erlaubt ist, muss auch online erlaubt sein.

Von einem Politiker erwarte ich, dass er auch auf schreckliche Ereignisse besonnen reagiert und vor allem nicht Grundwerte wie Freiheit und Demokratie aufgibt, die sich die Menschen in Europa lange erkämpfen mussten, und die sich sich in vielen Teilen der arabischen Welt gerade ertrotzen.

Da darf sich Herr Friedrich ruhig ein Beispiel am norwegischen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg nehmen, der sicherlich angesichts der Anschläge persönlich unter Schock stand. Dennoch mahnte er sogleich an, die freiheitliche Ordnung in Europa nicht anzutasten. Das ist die Größe, die man sich von einem Politiker wünscht.

ZDNet.de Redaktion

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