Wer die Developer-Preview-Version von Windows 8 startet, wird nicht im Zweifel darüber gelassen, dass er eine neue Windows-Version vor sich hat. Ihm zeigt sich eine ganz neue Benutzeroberfläche, eine Art Mischung aus Xbox und Windows Phone 7.
Angelehnt an den Namen "Metro" für die Oberfläche von Windows Phone 7 verwendet Microsoft den Namen "Metro Style Interface" für die neue Desktop-Windows-Oberfläche. Anwendungen heißen "Metro Style Apps".
Trotz der offensichtlichen Unterschiede im Erscheinungsbild ist Windows 8 Windows geblieben. Die interne Versionsnummer lautet 6.2. Die von Windows 7 ist 6.1. Steven Sinofsky lehnt sich, was Kompatibilität angeht, dementsprechend weit aus dem Fenster. Gestern gab er auf der Microsoft-Entwicklerkonferenz Build eine "Garantie" ab, dass alle Anwendungen für Windows 7 auch auf Windows 8 laufen werden.
Diese Garantie ist vor allem wichtig für Unternehmen. Sie sind darauf angewiesen, dass auch alte Software weiterhin auf ihren Rechnern läuft. Nicht selten sind das Programmversionen, die 10 Jahre oder älter sind, aber ihren Dienst tun. Eine Umstellung auf eine neue Version oder eine andere Software mit gleicher Funktionalität kann mit immensen Projektkosten verbunden sein, etwa bei CRM- oder ERP-Systemen.
Microsoft kann es sich anders als Apple nicht leisten, einfach einen Schnitt zu machen und eine neue Windows-Version herauszubringen, die alte Programme grundsätzlich nicht mehr ausführt oder nur in einer langsamen Emulation laufen lässt, wie es etwa Apple mit Mac OS X gemacht hat.
Das bringt eine ganze Reihe Herausforderungen mit sich, die Microsoft zu meistern hat. Die größte liegt darin, Windows schlanker zu machen, das heißt, den Ressourcenverbrauch auf das Niveau anderer Betriebssysteme wie Linux und Mac OS zu senken.
In der gestrigen Demo schien es zumindest so, als ob das gelungen sei. Sinofsky zeigte einen Netbook mit 1 GByte Hauptspeicher. Unter Windows 7 SP1 waren im Grundzustand bereits 404 MByte verbraucht. Die Developer-Preview von Windows 8 kam mit 281 MByte aus.
Theoretisch könnte das Developer-Team ein wenig geschummelt haben, indem es dem Kernel und den Systemdiensten weniger Speicher zugesteht, als diese brauchen, um performant zu laufen.
Allerdings ist Steven Sinofsky bekannt dafür, dass er nicht nur an der Oberfläche basteln lässt, sondern streng darauf achtet, dass sein Team bestimmte „Hausaufgaben“ erledigt. Bereits mit Windows 7 bewies er, dass er das als Ressourcenfresser verschriene Vista durchaus verschlanken kann.
Statt 32 Prozesse sind nur noch 29 aktiv. Die Threads wurden von 402 auf 360 reduziert. Das deutet darauf hin, dass zwar im Gegensatz zu Windows 7 nur drei Systemdienste eingespart wurden, jedoch arbeiten die verbleibenden 29 Prozesse weniger aggressiv und kommen mit 42 Threads weniger aus, was eine durchaus beachtliche Leistung ist.
Zuviel Optimismus wäre aber fehl am Platz: Schaut man sich den Commit-Wert an, erkennt man, dass sich Windows 7 zur Bereitstellung von 581 MByte RAM für die Systemdienste verpflichten muss, während Windows 8 mit 549 MByte auskommt. Hier fällt die Einsparung zumindest in der Developer-Preview noch gering aus. Das bedeutet, wenn Anwendungen auf die Systemdienste zugreifen, können diese ohne Vorwarnung 549 MByte statt nur 281 verbrauchen.
Auch ist unklar, ob und wann weitere Systemdienste gestartet werden müssen, wenn typische Client-Anwendungen auf Windows 8 laufen. Das gleiche gilt für Threads. Da Kernelfunktionen in Windows grundsätzlich multithreaded realisiert werden, kann sich die Anzahl der Threads drastisch erhöhen, wenn ein paar Anwendungen laufen. Entscheidend wird sein, ob der Kernel und die Systemdienste Speicher schnell wieder freigeben, wenn er nicht länger benötigt wird.
Zu einer finalen Bewertung des Ressourcenverbrauchs wird man mit der Developer-Preview-Versionen nicht kommen. Hier lassen sich frühestens mit einem Release Candidate brauchbare Aussagen treffen. Es kommt nicht so sehr darauf an, ob Windows nach dem Booten mit wenig Speicher auskommt, sondern wie es sich nach mehreren Stunden Betrieb verhält. Allerdings deutet alles darauf hin, dass Sinofsky zum Release-Termin ein deutlich schlankeres Windows abliefern wird.
Bootzeiten
Wer einmal einen Mac gebootet hat, weiß, dass dieser Vorgang grundsätzlich schneller möglich ist, als man das von Windows kennt. Ein frisch installiertes Windows 7 kann sogar mit guten Werten aufwarten, jedenfalls wenn man die Zeit bis zum Erscheinen des Login-Bildschirms misst.
Entscheidend ist allerdings die Zeit, bis das System tatsächlich benutzbar ist. Wer nicht gerade eine schnelle SSD sein eigen nennt, kennt das Problem, dass es teilweise bis zu 10 Minuten dauert, bis der Rechner flink auf Eingaben reagiert. Das ist ein unzumutbarer Zustand.
Hier kommt Windows 8 allerdings mit einer Schummellösung. Wer seinen Rechner scheinbar herunterfährt, macht technisch gesehen nur einen Logout. Danach wird das System nicht runtergefahren, sondern nur in den Ruhezustand versetzt.
Es ist unbestritten, dass das Aufwachen aus dem Ruhezustand wesentlich schneller vonstatten geht als ein komplettes Hochfahren. Das erzeugt allerdings durchaus Probleme. Da keine Software frei von Bugs ist, kommt es zu Memory-Leaks und anderen logischen Fehlern, die nur durch einen Reboot zu lösen sind. Ferner darf man Hardwareprobleme mit dem Hauptspeicher nicht unterschätzen. Auf Desktop-Computern wird meist RAM ohne Fehlerkorrektur verwendet.
Dabei kann es passieren, dass ein Bit von Null zu eins "umkippt" oder umgekehrt, etwa wenn ein Alphateilchen auf den Speicher trifft. Das kann zur Folge haben, dass ein Programm nicht mehr korrekt funktioniert. Im schlimmsten Fall wird sogar die Struktur des Dateisystems zerstört.
So verwenden etwa Anwender von Telefonbillingsystemen in der Regel sehr teure Hardware, in der nicht nur Hauptspeicher mit Fehlerkorrektur verwendet wird, sondern auch die internen Bussysteme doppelt ausgelegt sind. Teilweise werden sogar zwei CPUs im Lockstep-Verfahren betrieben. Mit Standardhardware würden allein in Deutschland etwa 20 bis 30 falsche Telefonrechnungen pro Monat versandt.
Für einen normalen Desktop-Arbeitsplatz reicht es allerdings aus, einen Rechner etwa ein bis zwei Mal im Monat wirklich herunterzufahren. Bei Windows 7 hat der Benutzer die Wahl zwischen Herunterfahren, Ruhezustand und Energie sparen. Windows 8 erzwingt den Ruhezustand.
Oberflächliches
Die neue Metro-Style-Oberfläche kennt keine Fenster mehr. Sie zeigt alle Anwendungen im Full-Screen-Modus an. Wer einen Touchscreen hat, kann per Fingerwisch zwischen den Anwendungen wechseln. Ansonsten muss man ALT-TAB benutzen. Multitasking-Beschränkungen wie bei vielen Smartphones gibt es nicht.
Wenn man einen kleinen Bildschirm hat, etwa bei einem Tablet, Netbook oder Sub-Notebook, ist die Full-Screen-Darstellung optimal. Bei Bildschirmen von 10 Zoll oder kleiner und einer Auflösung von 1024 mal 768 Pixeln, ist es nicht mehr sinnvoll, viele Fenster gleichzeitig geöffnet zu halten. Der sichtbare Ausschnitt ist zu klein.
Obwohl sich tragbare Geräte mit kleinem Bildschirm steigender Beliebtheit erfreuen, gibt es Anwender, die auf einen großen Bildschirm angewiesen sind. Das sind nicht nur CAD-Designer, die Flugzeuge und Fußballstadien entwerfen, sondern beispielsweise auch Entwickler, die mehrere Fenster mit Code, Debug-Fenster und ihre Anwendung im Überblick behalten müssen. Bei 27- oder 30-Zoll-Bildschirmen ist die Metro-Style-Oberfläche nicht ideal.
Allerdings muss das Metro-Dogma mit fensterlosen Vollbildanwendungen nicht für alle Zeit in Stein gemeißelt sein. Es ist technisch möglich, in späteren Versionen auch Metro-Style-Apps in Fenstern mit variabler Größe darzustellen. Hier wird die Zeit zeigen, ob die Vollbildanwendungen von den Anwendern so akzeptiert werden, wie sie in Windows 8 realisiert sind. Die Metro-Style-Oberfläche bietet lediglich die Möglichkeit kurzfristig zwei Anwendungen nebeneinander auf dem Bildschirm zu zeigen.
Ferner ist es mindestens gewöhnungsbedürftig, dass auf dem Bildschirm entweder Metro-Apps oder klassische Windows-Anwendungen sichtbar sind. Es ist nicht möglich, beides gleichzeitig darzustellen. Man hat immer das Gefühl, dass man zwischen zwei völlig getrennten Betriebssystemen umschalten muss, obwohl das technisch nicht stimmt. Die Benutzererfahrung ist in etwa vergleichbar mit einer Virtualisierungslösung, bei der das virtualisierte Betriebssystem (zum Beispiel Windows unter Mac OS X) im Full-Screen-Modus betrieben wird.
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