Ein Google-Entwickler hat eine ausführliche interne Kritik an der Konzeption von Google+ versehentlich öffentlich gemacht. Mit einem vorschnellen Klick bei Google+ ließ er den Rest der Welt wissen, was ihm an dem Sozialen Netzwerk alles nicht gefällt. Die teilweise beißend formulierte Tirade mit rund 5000 Worten gibt einen seltenen Einblick in Googles interne Streitkultur. Steve Yegge wirft Google vor, Plattformen nicht zu verstehen. Das sei existenzbedrohend, da Apple, Amazon, Microsoft und Facebook weit mehr konzeptuelles Verständnis hätten.
Zumindest intern ist es offenbar kein Problem, auch die Gründer und Spitzenmanager des Unternehmens direkt anzugehen. Yegge wirft auch ihnen völliges Unverständnis vor: „Google+ ist ein wesentliches Beispiel für unser vollständiges Unvermögen, Plattformen zu verstehen, von den höchsten Führungsebenen (hallo Larry, Sergey, Eric, Vic, wie läuft es?) bis zum gemeinen Fußvolk (schönen Grüße auch). Wir raffen es alle nicht. Die goldene Regel der Plattformen ist, sie im Selbstversuch zu erproben. Google+ als Plattform aber ist nur als erbärmlich verspäteter Einfall entstanden.“
Yegge nennt Google+ eine reflexartige Reaktion, ein Musterbeispiel für kurzfristiges Denken, aufbauend auf der falschen Auffassung, dass Facebook nur deshalb erfolgreich sei, weil es ein großartiges Produkt entwickelt hat. „Aber das ist nicht der Grund, warum sie erfolgreich sind. Facebook ist erfolgreich, weil sie eine ganze Konstellation von Produkten geschaffen haben, indem sie es anderen ermöglichten, ihren Job zu machen. Deshalb ist Facebook für jeden anders.“
Neben Mafia Wars und Farmville gebe es bei Facebook Hunderte oder sogar Tausende von höchst attraktiven Angeboten, mit denen sich jede Menge Zeit verschwenden lasse. Das Team von Google+ habe sich den Sekundärmarkt angesehen und gesagt: „Hey, wir brauchen ein paar Spiele. Beauftragen wir doch einfach jemanden, ein paar Games für uns zu schreiben.“ Mit diesem Denken liegt Google laut Yegge aber unglaublich daneben: „Das Problem ist, dass wir vorherzusagen versuchen, was die Leute wollen, um es ihnen zu liefern.“
Eben das aber sei so gut wie unmöglich, jedenfalls nicht in verlässlicher Weise. In der Geschichte des Computing hätten das nur wenige geschafft. Einer von ihnen sei Steve Jobs gewesen – und bei Google gebe es leider keinen Steve Jobs. Yegge plädiert für einen tiefgreifenden Wandel der Unternehmenskultur, ohne den eine Aufholjagd vergeblich sei. Plattformen nicht verstehen zu können, das sei auf allen Ebenen typisch für Google, von den Entwicklern bis zu den Produktmanagern. „Beginne mit einer Plattform und setze sie dann für alles ein“, schlägt Yegge als neue goldene Regel vor. Die harten Probleme seien zuerst zu lösen: „Ich sage nicht, dass es zu spät für uns ist, aber je länger wir warten, desto mehr nähern wir uns dem ‚zu spät'“.
Steve Yegge hat seine Weckruf-Tirade inzwischen gelöscht und betont, nicht von Googles PR-Leuten dazu gedrängt worden zu sein. Sie hätten vielmehr sehr verständnisvoll reagiert und ihn ausdrücklich nicht zensieren wollen. Ein anderer Nutzer hat seinen Text inzwischen erneut als Eintrag bei Google+ veröffentlicht. Yegge ist schon seit über sechs Jahren bei Google und war zuvor sechseinhalb Jahre für Amazon tätig.
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