Nokia hat heute in London seine lang erwarteten ersten Windows Phones vorgestellt: Lumia 800 und Lumia 710 laufen mit dem seit Ende September verfügbaren Mango-Update von Windows Phone. Für den deutschen Markt ist nur das Lumia 800 bestimmt, das ohne Vertrag und Steuern rund 420 Euro, brutto also rund 500 Euro kosten soll. Vorbestellungen werden schon entgegengenommen, ausliefern wird Nokia es dann im November. Das Gerät kommt mit einem 3,7-Zoll-AMOLED-Touchscreen, der leicht gebogen ist. Die Kamera mit Carl-Zeiss-Linse bietet 8 Megapixel Auflösung und nimmt auch HD-Videos auf. Das Gerät wird über USB geladen. In den Spezifikationen finden sich sowohl ein Standard- als auch ein Mikro-USB-Port. Laut Nokia hält der Akku 9,5 Stunden Dauertelefonieren, 7 Stunden Video-Playback und 335 Stunden Standby aus.
Im Inneren arbeitet ein Prozessor mit 1,4 GHz und finden sich 16 GByte Speicher. Als besonderes Bonbon bewirbt Nokia zusätzliche 25 GByte Cloudspeicher. Die bekommt von Microsoft im Rahmen von Windows Live SkyDrive allerdings ohnehin jeder – ob er nun ein Telefon kauft oder nicht. Immerhin ist die Anbindung des Speicherplatzes an das Telefon gut gelöst.
Das Lumia 710 ist im Wesentlichen ein abgespecktes Lumia 800 (5-Megapixel-Kamera, LCD-TFT-Screen, 8 GByte interner Speicher) mit gleichem Prozessor. Es kommt für 270 Euro plus landesabhängigen Steuern zunächst nur in Hongkong, Indien, Russland, Singapur und Taiwan auf den Markt.
Ist das nun der angekündigte und erwartete große Wurf? Sieht Microsoft mit den Lumia-Smartphones, deren Name ja irgendwie an Lumen – und damit an Licht – erinnert, tatsächlich auch das berühmte Licht am Ende des Tunnels? Und ist der Smartphone-Leidensweg der Finnen nun zu Ende – und damit vielleicht auch der von Microsoft?
Den beiden Partnern muss man zunächst einmal lassen, dass die im Februar angekündigte Zusammenarbeit schnell erste Früchte getragen hat. Neun Monate sind nicht viel Zeit, um sich auf ein neues Betriebssystem einzulassen, darauf basierende Produkte zu entwickeln und sogar noch zu fertigen. Da die Geräte noch im November lieferbar sein sollen, hat es Nokia sogar geschafft, noch das so wichtige Weihnachtsgeschäft mitzunehmen. Das zeigt, wie ernst man in Finnland die Zusammenarbeit mit Microsoft nimmt.
Allerdings ist nicht zu erwarten, dass nur zwei Geräte das Blatt vollkommen wenden. Beide sind – auch wegen der Restriktionen durch das Betriebssystem – als Mittelklassse-Smartphones anzusehen. Damit sind sie nach Ansicht vieler Beobachter nicht direkt eine Gefahr für das iPhone oder Samsungs Galaxy. „Diese beiden haben immer noch eine starke Eigendynamik und das neue Nokia-Telefon hat nichts vorzuweisen, was so herausragend wäre, dass es sie aus der Bahn werfen könnte“, sagt etwa John Delaney, Research Director bei IDC.
Allerdings gesteht er den Lumia-Phones einige Punkte zu, die für sie sprechen – und natürlich Nutzungsmöglichkeiten und ein Erscheinungsbild, dass sich grundlegend von dem bisheriger Nokia-Telefone unterscheidet. „Diese Geräte sind starke Herausforderer – insbesondere, wenn Nokias derzeit laufende, intensive Verhandlungen mit den Mobilfunkbetreibern zu einer guten Positionierung in deren Ladengeschäften und einigen attraktiven Tarifpaketen führen“, so Delaney.
Das Lumia 800 ähnelt äußerlich stark dem MeeGo-Smartphone N9, dem nicht sein Aussehen, sondern das Betriebssystem zum Verhängnis werden wird. Im Design überzeugt das Lumia 800 durch die schlanke, angenehme und klare Form sowie die vornehm matte Oberfläche. Das Gehäuse aus Polycarbonat ist etwas ungewöhnlich, sei aber der Garant dafür, dass es zu keinen Interferenzen beim Empfang komme, wie Nokia mit schelmischen Seitenhieb auf Apples Antennagate erklärt.
Bei der Software hält IDC-Analyst Delaney das Lumia 800 in vier Punkten für stark:
Allerdings sieht Delaney auch Schwächen. Eine davon ist trotz des zunehmenden Interesses an Windows Phone der Windows Marketplace, der über weitaus weniger Apps verfügt und deutlich weniger beliebt ist als Apples App Store und der Android Marketplace. Auch beim Thema Musik muss sich Nokia nach der Decke strecken: Es herrscht nicht nur Verwirrung darüber, was Zune und Nokia Music, das ehemalige Ovi Music, eigentlich sind, sondern auch wie sie sich unterscheiden und was sie bieten.
Trotz hoher Investitionen habe es Nokia nicht geschafft, Nokia Music aus der großen Masse der alternativen Download-Stores für Musik herauszuheben oder als einen mit besonders attraktiven Preise zu etablieren. Ausnahme hier ist China, wo Nokias unbegrenztes Download-Angebot „Comes With Music“ recht beliebt ist. Auch die Synchronisierung zwischen Telefon und PC lässt zu wünschen übrig, da es keinen kompatiblen PC-Client für Nokia Music gibt, sondern der Umweg über Zune gewählt werden muss. Und das neue „Mix Radio“-Angebot mit unbegrenztem Streaming hat auch nicht das Potenzial, sich aus dem bereits heiß umkämpften Segment herauszuheben.
„Nokia muss in der nahen Zukunft einige klare Entscheidungen in Bezug auf Services und Content treffen, wenn das Gesamtökosystem bei Einfachheit und Stimmigkeit mit dem des iPhone mithalten soll“ so Delaney. Außerdem müsse Nokia sich bei der Vermarktung der Lumia-Phones richtig ins Zeug legen – was man in Finnland aber laut Delaney wohl schon erkannt hat. Das Betriebssystem spiele dabei eine untergeordnete Rolle: Viele Verbraucher würden sich möglicherweise gar nicht bewusst werden, dass es sich um ein Windows Phone handele. Für sie sei es einfach der neue Nokia-Look.
Aber das muss ja nichts Schlechtes sein, denn in vielen Fällen wird die Kaufentscheidung in der Filiale des Mobilfunkbetreibers getroffen werden – und da kommt es dann neben dem attraktiven Äußeren des Geräts auf die Geschicklichkeit und Motivation der Mitarbeiter vor Ort an. Und sie zu erreichen sollte Nokia mit seiner langen Beziehung zu allen Providern eigentlich nicht schwerfallen.
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