„Wir sind das SAP des 21. Jahrhunderts“

Tien Tzuo ist ein hagerer, auf den ersten Blick zurückhaltend scheinender Mann. Beim Treffen in einem Hotel in München trägt er Anzug und eine schmale Krawatte, vor ihm auf dem Tisch liegt ein Tablet-Rechner und ein bedrucktes DINA4-Blatt. Darauf wird erklärt, was Weißwurst ist. Gut sei die gewesen, so Tzuo freundlich.

Sobald das Gespräch auf seine Firma Zuora kommt, strafft sich Tzuos Körper, ein entschlossener Zug legt sich um seinen Mund. Und der Zuora-CEO ist gegenüber traditionellen Geschäftsmodellen weitaus weniger freundlich eingestellt, als gegenüber traditionellen Gerichten. Natürlich würden auch in Zukunft noch Produkte hergestellt, für die Firmen die Beschaffung, die Lieferkette, die Produktion, die Lagerung und die Logistik mit der heute verbreiteten ERP-Software organisieren. Daneben habe sich aber durch das Web schon ein Wirtschaftszweig etabliert, der anders funktioniere, wo die Anbieter vielleicht über eine physische Infrastruktur verfügen, aber diese lediglich dazu nutzen, digitale Güter zu vertreiben oder Kunden sehr flexibel zur Verfügung stellen. Und der Anteil der Firmen, die so arbeiten, nehme rasant zu.


Tien Tzuo, CEO von Zuora, hält das Zeitalter der Subscription-Economy für gekommen (Bild: Zuora).

Tzuo nennt das die Subscription-Economy. Ganz neu ist sie nicht: Subscription-basierte Geschäftsmodelle kennt man bereits seit Jahrzehnten vor allem in der Medien- und Telekommunikationsbranche. Mit Cloud Computing, neuen Entwicklungen bei der Mobilität und Social Media entstehe aber in immer mehr Unternehmen jeder Größe der Bedarf, für Dienstleistungen eine regelmäßige Gebühr oder nutzungsbasierte Entgelte zu erheben. Oder es muss Kunden in unterschiedlichen Ausprägungen Zugriff auf Angebote gewährt werden, zum Beispiel im Rahmen sogenannter „Freemium“-Modelle, bei denen Nutzer von kostenlosen Angeboten zu kostenpflichtigen Premiumangeboten wechseln.

Während insbesondere die Telekommunikationsbranche sich in der Vergangenheit mit umständlichen, teuren, weitgehend angepassten und unflexiblen Lösungen beholfen hat, kommen Firmen aus anderen Branchen mit ihrer derzeitigen Standardsoftware nicht mit den neuen Abrechnungs- und Geschäftsmodellen zurecht. „Der Wechsel hin zur Subscription Economy als Geschäftsmodell ist ähnlich bedeutsam wie der Wechsel zur industriellen Produktion vor 100 Jahren. Herkömmliche ERP-Systeme wie Oracle und SAP wurden für das produzierende Gewerbe entworfen, nicht für Subscription Services. Sie versagen dabei, die Geschäftsmodelle des 21. Jahrhunderts abzubilden“, so Tzuo.

Die Produktpalette

Genau dieser Aufgabe habe sich aber Zuora gestellt: „Wir sind das SAP für das 21. Jahrhundert“, so Tzuo. Als solches bietet Zuora natürlich auch keine Lizenzsoftware an, sondern vertreibt sein Angebot im SaaS-Modell. Das Kernprodukt, Z-Billing, gibt es seit Mai 2008 und wird laut Anbieter von hunderten von Kunden genutzt. Z-Payments, das fünf Monate später auf den Markt kam, wird in Zusammenarbeit mit PayPal weiterentwickelt, unterstützt aber eine Vielzahl von Zahlungsabwicklungsarten. Z-Force ist eine eng mit Salesforce.com integrierte Billing- und Payment-Lösung. Die Z-Commerce-Plattform hilft Entwicklern, in der Cloud Code zu scheiben und damit die Zuora-Lösungen zu integrieren.

Die enge Anlehnung an Salesforce.com ist wenig überraschend – sowohl technologisch als auch wegen der beteiligten Akteure. Schließlich war Tzuo einer der ersten Mitarbeiter bei dem CRM-Anbieter und dort dann neun Jahre in Führungspositionen aktiv. Unter anderem baute er das ursprüngliche Abrechnungssystem auf. „Anfangs mussten wir bei Salesforce bis zur Hälfte der Entwickler nur dafür abstellen. Es war eine Riesenarbeit und wir wussten schon lange, dass es sich lohnen würde, da etwas Eigenes draus zu machen“, so Tzuo. „Wir“, das ist in dem Fall des damalige Salesforce-Führungsteam. Beleg für Tzuos Aussage ist, dass Salesforce-Chef Marc Benioff einer der ersten Investoren bei Zuora war.

Über die Abrechnung hinaus bietet Zuora aber auch die Möglichkeit, Tarife, Zahlungsweisen und Preisstaffeln schnell zu verändern. „Wir haben allle denkbaren Zahlungsmodelle vorkonfiguriert, der Nutzer setzt sie einfach um: Markieren, Klicken, Entwerfen“, so Tzuo. Damit biete man einen erheblichen Mehrwert gegenüber herkömmlichen Systemen.

Tzuo nennt das Beispiel eines US-Medienunternehemens, das seinen Kunden Monats- und Jahresabos für den Onlinezugriff angeboten habe. Dann habe man die Idee gehabt, einen eintägigen Zugriff zu erlauben, um neue Kunden zu gewinnen. Nach sechsmonatiger Vorbereitung habe sich dann herausgestellt, dass das Angebot kaum akzeptiert wurde. „So etwas geht in Zukunft nicht mehr. Firmen müssen schnell und flexibel reagieren können, sonst verschwinden sie vom Markt.“

Expansion in Europa geplant

Tzuo ist aber nicht nur für ein Weißwurst-Frühstück nach Europa gekommen. Sein Unternehmen hat diese Woche die vierte Finanzierungsrunde abgeschlossen, die erste mit europäischem Kapital (von Index Ventures). Mit dem Geld soll in erster Linie das Geschäft in Europa ausgebaut werden. Dazu werden nicht nur neben den bestehenden Niederlassungen in London und Utrecht neue Büros in Deutschland und Frankreich eröffnet, sondern 2012 auch ein europäisches Rechenzentrum gebaut. Die Compliance-Regeln zwängen Zuora dazu, technisch sehe man keinen Grund dafür.

Schon jetzt kann der Anbieter auf 30 europäische Kunden verweisen, darunter das Medienunternehmen Reed Business Information, den Touring Club Suisse und das junge Hamburger Unternehmen Jimdo, Anbieter eines Online-Websitebaukastens. Weltweit zählen Firmen wie Dell, Informatica und Tata zu den Zuora-Kunden. Sie setzen die SaaS-Lösung für ihre Cloud-Angebote ein. „Für sein Hardwaregeschäft nutzt Dell nach wie vor Oracle. Aber für die neuen Angebote eignet sich die Oracle-Software nicht. Sie ist weder PCI-compliant, um Kreditkartendaten verarbeiten zu können, noch hilft sie, Tarife und Preistaffelungen zu entwerfen oder kurzfristig zu verändern,“ so Tzuo.

Er weiß wovon er spricht, war er doch vor seiner Zeit bei Salesforce selbst bei Oracle für große Telekommunikationaccounts zuständig. Die großen ERP-Anbieter seien bei denen zwar vertreten, aber eben nicht bei der Gestaltung von Tarifen und der Abrechnung mit dem Kunden. Dafür nutzen diese Firmen in der Regel Spezialsystem, entweder selbst entworfene oder solche wie von Amdocs, dem Marktführer in diesem Segment. Allerdings seien die äußerst schwerfällig und viel zu teuer, findet Tzuo – und für mittelständische Firmen eigneten sie sich überhaupt nicht.

Bei Zuora wird entweder pro Rechnung oder mit einem Anteil am Rechnungsumsatz abgerechnet. In letzterem Fall liegt die Beteiligung zwischen ein und zwei Prozent am Umsatz. Allerdings geht das Geld nie über Zuora, würde dies doch erforderlich machen, dass man einen bankähnlichen Status hat und alle dazugehörigen Auflagen und Vorschriften erfüllt. Insofern sieht man sich auch weniger in Konkurrenz als vielmehr in Partnerschaft zu Anbietern herkömmlicher und neuerer Zahlungsverfahren – seien es nun Kreditkartenanbieter, Banken oder Dienstleister wie PayPal.

Die nächsten Schritte

Technisch geht die Reise bei Zuora künftig hin zu mehr Transparenz. Derzeit werden zwar viele Daten über die Abrechnungsvorgänge gesammelt und den Kunden zur Verfügung gestellt, es gibt aber noch keine internen Analysemöglichkeiten. Wer die Daten auswerten will, muss sie nach Excel oder in eine vorhandene Business-Intelligence-Lösung exportieren. Daran will Zuora arbeiten. Ziel ist es, ein mit Google Analytics vergleichbares Tool zu haben: Keine echte, umfassende Business-Intelligence-Lösung, aber ein Werkzeug, dass innerhalb der ihm zugedachten Bereiche seine Aufgaben gut erfüllt. Damit könnten Kunden dann einfacher herausfinden, wie sie ihre Preise gestalten, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.

Außerdem arbeite man mit Hochdruck an einer Finance-Lösung. „Das Problem bei den Subscription-Modellen ist, dass bespielsweise der Kunde quartalsweise zahlt, er aber einen Jahresvertrag hat und die Buchhaltung die Umsätze monatlich einbuchen muss. So lange das statisch ist, ist es schon kompliziert genug. Wenn aber Dynmaik dazukommt, also der Kunde im Vertragszeitraum mehr oder weniger Leistung in Anspruch nimmt, wie das bei vielen Cloud-Angeboten möglich ist, wird es aus Sicht der Buchhaltung doch recht kompliziert – und falls viel manuelle Interaktion, womöglich in mehreren Systemen, erforderlich ist, auch teuer“, so Tzuo. Und dagegen will man etwas tun: Die eigene Finance-Lösung werde solche Umsätze automatisch korrekt verteilen und zuordnen. Wann sie kommt, ist unklar. Sicher ist für Tzuo nur, dass sie lange am Markt sein wird, bevor SAP oder Oracle etwas vergleichbares bieten können.

ZDNet.de Redaktion

Recent Posts

Studie: Ein Drittel aller E-Mails an Unternehmen sind unerwünscht

Der Cybersecurity Report von Hornetsecurity stuft 2,3 Prozent der Inhalte gar als bösartig ein. Die…

2 Tagen ago

HubPhish: Phishing-Kampagne zielt auf europäische Unternehmen

Die Hintermänner haben es auf Zugangsdaten zu Microsoft Azure abgesehen. Die Kampagne ist bis mindestens…

3 Tagen ago

1. Januar 2025: Umstieg auf E-Rechnung im B2B-Geschäftsverkehr

Cloud-Plattform für elektronische Beschaffungsprozesse mit automatisierter Abwicklung elektronischer Rechnungen.

3 Tagen ago

Google schließt schwerwiegende Sicherheitslücken in Chrome 131

Mindestens eine Schwachstelle erlaubt eine Remotecodeausführung. Dem Entdecker zahlt Google eine besonders hohe Belohnung von…

3 Tagen ago

Erreichbarkeit im Weihnachtsurlaub weiterhin hoch

Nur rund die Hälfte schaltet während der Feiertage komplett vom Job ab. Die anderen sind…

4 Tagen ago

Hacker missbrauchen Google Calendar zum Angriff auf Postfächer

Security-Experten von Check Point sind einer neuen Angriffsart auf die Spur gekommen, die E-Mail-Schutzmaßnahmen umgehen…

5 Tagen ago