Zwei Jahre Open-Source-Professur an der Universität Erlangen-Nürnberg

Mit dem Wintersemester 2009/10 hat Professor Doktor Dirk Riehle an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als erster Lehrstuhlinhaber einer Open-Source-Professur die Lehrtätigkeit aufgenommen. Erklärtes Ziel war es damals, Open-Source-basierende Softwareentwicklungsprozesse und deren Einsatz in Softwarefirmen und Konsortien zu erforschen. Eine weitere zentrale Fragestellung sollte sein, wie Wirtschaft und Großprojekte von Open-Source-Prozessen profitieren können. Zudem wollte sich die Professur als Inkubator für die Ausgliederung von Open-Source-Spin-Offs etablieren. ZDNet hat nachgefragt, wie sich der Bereich zwei Jahre nach seiner Gründung entwickelt hat.

„Zur Stellung von Open Source haben unsere Forschungen gezeigt, dass quelloffene Software inzwischen überwiegend von Profis auf Firmenkosten entwickelt wird. Das ist ein schöner Erfolg“, so Riehle. Außerdem habe man festgestellt, dass Open Source in ganz unterschiedlichen Bereichen immer weiter vordringt. Dass dem so ist, zeigt auch die Liste der Sponsoren des Lehrstuhls aus der Wirtschaft: Zu Beginn waren es mit Novell/Suse und Red Hat zwei etablierte Open-Source-Anbieter, inzwischen stehen dort neben Suse auch Bearing Pont und Google. Bosch wird demnächst dazukommen.


Dirk Riehle, Lehrstuhlinhaber der Open-Source-Professur an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Bild: Privat).

Ebenfalls bemerkenswert ist, dass Open Source in den vergangenen zwei Jahren auch ein Zusammenarbeitsmodell geworden ist. „Früher mussten Firmen vor der Zusammenarbeit an Softwareprojekten erst einmal ein Rahmenwerk ausarbeiten. Oder anders gesagt: Bevor die Zusammenarbeit beginnen konnte, kamen die Rechstanwälte“, so Riehle. Heute sei das vielfach anders. „Mit Open Source steht Firmen eine Schablone der Zusammenarbeit zur Verfügung, bei der alle wissen, wie sie funktioniert und was sie leistet.“

So hielten Open-Source-Praktiken auch in traditionellen Closed-Source-Firmen Einzug. Das gelte auch für die ganz großen deutschen Softwarefirmen, in denen früher bei den Projekten ein Silodenken vorgeherrscht habe, inzwischen aber auch öfter und intensiver über den Tellerrand geschaut werde. „Ich denke, wir sehen in Zukunft auch in anderen Bereichen mehr von der Open-Source-Softwareentwicklung inspirierte Zusammenarbeitsmodelle“, so Riehle.

Eine Besonderheit des Open-Source-Lehrstuhls sieht Riehle darin, dass ein Schwerpunkt der Lehre auf dem Produktmanagement liegt. „Viele, die anderswo Informatik studieren, konzentrieren sich auf kundenspezifische Projekte. Wir stellen dagegen in erster Linie die Frage, wie sich effektiv Produkte an den Markt bringen lassen – wofür ganz andere Antworten gefunden werden müssen.“

Im Rahmen eines Seminars zum Produktmanagment arbeitet Riehle mit sogenannten Cases auf Grundlage der Harvard-Business-School-Cases. Allerdings nutzt man nicht die kostenpflichtigen Lehrmaterialien aus den USA, sondern hat angefangen, eigene Cases zu schreiben. Dafür werden derzeit noch Industrieunternehmen gesucht, die Fälle aus ihrem Geschäft zur Verfügung stellen wollen. Einer könnte etwa sein, wie man den richtigen Preis für ein Produkt findet. Im Anschluss an die Lehrveranstaltung sollten die Studierenden dann die Gelegenheit haben, mit dem für den Case Zuständigen aus dem Unternehmen zu diskutieren.

Derzeit sind am Lehrstuhl von Professor Riehle drei Doktoranden beschäftigt. Sieben Studenten haben in den vergangenen zwei Jahren dort ihren Abschluss gemacht, entweder ein Diplom oder einen Master. In Riehles Bilanz dürfen neben den Forschungsergebnissen aber auch die eigenen Entwicklungen nicht fehlen. Zu nennen ist der Sweble Wikitext Parser. Er macht kurz gesagt Texte in Wikis für Maschinen verständlich. Die Software steht der Öffentlichkeit unter der Apache Software License 2.0 zur Verfügung.

Die Funktion als Inkubator für neue Unternehmen füllt der Lehrstuhl ebenfalls aus, wenn vielleicht auch in einem etwas anderen Umfang als ursprünglich angedacht. Bisher ist aus einem studentischen Praktikum das Portal Mydosis hervorgegangen. Die Online-Datenbank hält Informationen zu häufig in der Pädiatrie verwendeten Medikamenten bereit und hat kürzlich für seinen Geschäftsbetrieb eine Anschubfinanzierung von 100.000 Euro erhalten.

Der Open-Source-Lehrstuhl unterstützt Mydosis weiterhin, hat aber gleichzeitig auch schon ein Nachfolgeprojekt. Allerdings will Riehle darauf achten, sich auf wenige Firmengründungen zu konzentrieren, etwa eine pro Jahr, um sich nicht zu verzetteln: Eine Schwemme an Open-Source-Firmen ist aus Erlangen daher zunächst nicht zu erwarten.

ZDNet.de Redaktion

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