So richtig wollen viele immer noch nicht daran glauben, dass die Überschwemmungen in Thailand erhebliche Auswirkungen auf die IT-Branche haben. Da helfen auch die Satellitenbilder der ESA wenig: Auf ihnen sieht man zwar, wie sich das Wasser (die schwarzen Flächen) von September bis November ausbreitet, erkennt aber nicht, was sich dahinter verbirgt. Und Meldungen über Katastrophen und Verknappungen ist man in der IT ja gewohnt – doch selbst nach Erdbeben, Tsunami und Reaktorleck in Japan ging ja alles doch irgendwie weiter.
Mit Thailand und den Festplatten verhält es sich aber etwas anders: Glaubhaften Berichten und Bildern zufolge haben die Werke nicht nur mit kurzfristigen Ausfällen zu kämpfen, sondern stehen wochenlang unter Wasser.
Pro Monat fehlen mindestens 10 Millionen Festplatten
Heute haben thailändische Behörden in einem Zwischenbericht immerhin von einem leichten Sinken des Pegels in wichtigen Industriegebieten gesprochen. Industrieminister Wannarat Channukul rechnet damit, dass die Entwässerung in wichtigen Gewerbezonen in rund zwei Wochen abgeschlossen ist. In der Provinz Ayutthaya könne die Produktion voraussichtlich Ende Dezember oder Anfang Januar wieder aufgenommen werden.
Nach Ansicht des Ministers seien die Schäden in den Gewerbegebieten geringer als zunächst angenommen. Allerdings könne man Genaues erst sagen, wenn das Wasser vollständig abgelaufen ist. Aber selbst dann wird erst noch einmal gründlich aufgeräumt werden müssen: Ein Analyst sprach kürzlich von 56 Tagen Ausfallzeit für Western Digitals Festplattenwerk.
Weltweit wurden monatlich zuletzt etwas über 50 Millionen HDDs produziert. Von Western Digital stammen über den Daumen gepeilt gut ein Drittel davon. Aus dem Werk in Thailand kamen davon wiederum bisher rund 60 Prozent. Grob kalkuliert fehlen dem Weltmarkt also allein von Western Digital in den kommenden drei Monaten 15 bis 20 Prozent der sonst hergestellten Festplatten. In absoluten Zahlen sind das zwischen 9 und 12 Millionen – und das wird sich auf alle Fälle schmerzlich bemerkbar machen.
Die Lage bei Western Digital, Toshiba und Seagate
Vor allem, da das noch eine optimistische Schätzung ist. Denn die möglicherweise durch das Fehlen von Komponenten entstehenden Engpässe sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Allerdings ist es wesentlich schwieriger festzustellen, woher diese kommen und welche Alternativen die Hersteller haben. Bekannt ist immerhin, dass die Fabrik von Nidec, einem Hersteller von Motoren für Festplatten, überflutet war. Dessen Marktanteil wird auf 70 bis 80 Prozent geschätzt; er beliefert Hitachi, Seagate, Toshiba und Western Digital.
iSuppli spricht in einer aktuellen Analyse davon, dass in den kommenden Monaten sogar bis zu 30 Prozent weniger Festplatten ausgeliefert werden als in denen vor der Flutkatastrophe. Analyst Fang Zhang prognostiziert für das vierte Quartal einen Ausstoß der HDD-Werke von 125 Millionen Stück, 28,6 Prozent weniger als im dritten Quartal. Damit läge das Segment bei den Werten, die es zuletzt Ende 2008 verzeichnet hatte, als die Nachfrage wegen der Rezession in Folge der US-Bankenkrise abgesackt war. Laut Zhang stammten zuletzt über 25 Prozent der weltweit verkauften Festplatten aus den Überschwemmungsgebieten in Thailand.
Außer dem Werk von Western Digital mit 37.000 Angestellten ist auch eines von Toshiba mit 5900 Mitarbeitern betroffen. Aus dem kam bisher die Hälfte aller von dem japanischen Unternehmen produzierten Festplatten. Deren Fehlen wirkt sich besonders auf den Markt für Notebook-Festplatten aus: Western Digital und Toshiba erreichen in diesem Segment zusammen einen Marktanteil von 45 Prozent.
Das Werk von Seagate in Thailand steht laut Zhang dagegen in zweierlei Hinsicht auf dem Trockenen: Zwar wurde es nicht überflutet, es erhält aber auch keine Komponenten mehr. Seagate rechne daher trotz intakter Fertigungsanlagen mit einem Rückgang der Produktion um gut 20 Prozent.
Die Preisentwicklung der vergangenen vier Wochen
Die Auswirkungen all dessen lassen sich schon jetzt feststellen. Die Preise für Festplatten für Server und Speichersysteme sind wenig transparent, die grundsätzliche Tendenz lässt sich aber auch an anderen, gängigen Modellen ablesen. ZDNet hat dazu die Festplattenpreise in Preisvergleichsportalen am 25. Oktober und am 24. November untersucht. Innerhalb eines Monats zogen die zwischen 40 und 102 Prozent an. Externe Festplatten wurden weniger teurer als interne, die von Western Digital mehr als die von Seagate. Details zeigt die folgende Tabelle, die natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, sondern als Stichprobe nur einen Eindruck von der Marktentwicklung geben kann.
Preisentwicklung bei ausgewählten Festplatten | |||
Intern, 2,5-Zoll-SATA, 500 GByte | – | – | – |
---|---|---|---|
Modell | Preis in Euro am 25.10.2011 | Preis in Euro am 24.11.2011 | Anstieg in Prozent |
Samsung SpinpointT M7 500GB (HM500JI) | 44,89 | 79,90 | 78 |
Western Digital Scorpio Blue 500GB (WD5000BEVT) | 54,03 | 108,99 | 102 |
Seagate Momentus 5400.FDE.4 500GB (ST9500327AS) | 83,95 | 149,00 | 77 |
Extern, 2,5 Zoll, 500 GByte | – | – | – |
Western Digital Elements SE Portable 500GB (WDBABV5000ABK) | 46,90 | 74,99 | 60 |
Samsung S2 Portable 500GB (HXMU050DA) | 48,59 | 87,00 | 79 |
Seagate Free Agent Goflex 500GB (STAA500200) | 61,39 | 85,90 | 40 |
Verbatim Store ’n‘ go USB 3.0 500GB | 44,95 | 66,90 | 49 |
Die Preise wurden durch Recherche in mehreren Vergleichsportalen ermittelt. Sie verstehen sich jeweils ohne Versandkosten und orientieren sich am günstigsten Anbieter. Teilweise konnte der nicht tatsächlich liefern; dann wurde dessen Preis auch nicht in der Tabelle berücksichtigt.
Angesicht der oben geschilderten Ausgangsvoraussetzungen wird sich an den Grundtendenzen so schnell nichts ändern. Im Gegenteil: Jetzt, wo den großen PC-Herstellern allmählich die Vorräte ausgehen und die noch vor dem Eintreten der Flut zugesagten oder abgeschickten Lieferungen verbraucht sind, werden Hamsterkäufe wahrscheinlich. Hewlett-Packard hat damit schon vor Wochen angefangen. Es bietet sich den großen Server-Abnehmern jetzt als Retter an. Ausdrücklich nennt Meg Whitman Google und Facebook als Kunden.
Wer nicht so viel Geld wie Google und Facebook auf dem Konto hat, sollte in kommenden vier bis sechs Monaten vermeiden, in größerem Umfang Festplatten zu beschaffen. Wenn es nicht anders geht, kommt er mit Laufwerken in externen Gehäusen wahrscheinlich noch am besten weg.
Die noch verfügbaren Komponenten verbauen die Hersteller so weit wie möglich sicher zuerst in den großen, neuen, teuren und margenträchtigen Produkten. Es ist daher davon auszugehen, dass besonders die bisher günstigen Festplatten mit kleiner Speicherkapazität zuerst knapp werden.
Bei den PCs und Notebooks sieht es ähnlich aus. DisplaySearch-Analyst Richard Shim rechnete Ende Oktober allerdings erst langfristig mit Preiserhöhungen: „Normalerweise haben Notebook-Hersteller einen Lagerbestand für vier bis fünf Wochen, um auf Veränderungen am Markt und bei der Beschaffung reagieren zu können.“ Bei einigen Anbietern reichten die Bestände aber auch nur für zwei bis drei Wochen. „Sollte sich die Nachfrage nach Festplatten erhöhen und die Flut die Produktion in Thailand weiter stören, dann könnten wir ein Problem bekommen“, sagte Shim damals in einem Interview mit ZDNet.
Längere Lieferzeiten und Lieferengpässe
Es könnte sich lohnen, bei Notebooks, Netbooks und vor allem den neuen Ultrabooks die Preise für Geräte mit SSDs im Auge zu behalten. Möglicherweise schon im Weihnachtsgeschäft, vielleicht auch erst Ende Januar oder Anfang Februar könnte der für sie zu zahlende Aufpreis deutlich niedriger sein als jetzt. Die offene Frage ist noch, wie die SSD-Hersteller reagieren: Ob sie die Situation ausnutzen, um ihre Stückzahlen zu erhöhen, oder ob sie darauf setzen, dass die Käufer ohnehin zu ihnen kommen und daher versuchen, die Marge hochzuhalten.
Wer einen PC mit herkömmlicher Festplatte kaufen will, fährt sicher mit Geräten besser, die schon vor der Flut ins Lager der Händler gewandert sind. Bei den aktuellsten Modellen werden sich die steigenden Festplattenpreise stärker auswirken. Und von der Krise profitieren die großen PC-Hersteller: HP, Dell oder Lenovo haben den Lieferanten gegenüber einfach eine andere Verhandlungsposition als kleine Anbieter. Sie werden es im Großen und Ganzen daher schaffen, jeweils die Festplatten zu bekommen, die sie benötigen. Ob kleineren Produzenten das gelingt, ist dagegen zumindest fraglich.
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