Amtsgericht München geht in Filesharing-Verfahren von Beweislastumkehr aus

Das Amtsgericht München hat eine Rentnerin zur Erstattung von Abmahnkosten in Höhe von 651,80 Euro verurteilt, obwohl sie weder einen Computer noch einen WLAN-Router besaß (Aktenzeichen 142 C 2564/11). Darauf hat ihr Anwalt Christian Solmecke von der Kanzlei Wilde Beuger Solmecke hingewiesen. Der Dame wurde vorgeworfen, im Januar 2010 einen Hooligan-Film über ein Filesharing-System zum Download angeboten zu haben. Das war dem Rechteinhaber aufgefallen, der daraufhin seinen Anwalt beauftragte, eine Abmahnung zu verschicken.

Laut Solmecke hat die Rentnerin zur Vermeidung weiterer Kosten vorgerichtlich – und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht – eine modifizierte, strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben. Der Rechtinhaber forderte anschließend trotzdem die Erstattung der Abmahnkosten sowie Schadenersatz in Höhe von 68,20 Euro.

Das Amtsgericht München kam zu dem Ergebnis, dass der Anspruch auf Schadenersatz nicht zu begründen sei. Dazu müsse die Rentnerin eindeutig als Täterin identifiziert werden. Die Abmahnkosten soll sie trotzdem tragen. Laut Gericht ist davon auszugehen, dass der Film zumindest über ihren Internetanschluss angeboten wurde.


Rechstanwalt Christian Solmecke von der Kanzlei Wilde Beuger Solmecke (Bild: Privat).

Laut Solmecke ist die Beklagte pflegebedürftig und lebt allein. Sie besaß im Januar 2010 vertraglich zwar einen Internetanschluss, aber nur, weil sie einen Zweijahresvertrag nicht vorzeitig beenden konnte. Ihren Computer hatte sie ein halbes Jahr vor der behaupteten Rechtsverletzung verkauft. Die Rentnerin nannte zum angeblichen Tatzeitpunkt zudem weder einen WLAN-Router noch eine E-Mail-Adresse ihr Eigen. Sie erklärte auch, dass keine dritte Person Zugriff auf ihren nur theoretisch vorhandenen Internetanschluss gehabt habe.

Rechtsanwalt Solmecke geht davon aus, dass es bei der Ermittlung oder Rückverfolgung der IP-Adresse zu einem Fehler gekommen ist. So lange die Betroffene allerdings nicht angeben könne, um was für einen Fehler es sich handelt, scheine sie jedenfalls vor dem Amtsgericht München schlechte Karten zu haben. „Aus meiner Sicht handelt es sich um ein eindeutiges Fehlurteil“, erklärt Solmecke in einer Pressemitteilung.

„Wir werden Berufung einlegen und schauen, was das Landgericht München dazu zu sagen hat. Was soll die arme Frau denn noch tun? Ohne WLAN und ohne Computer kann sie einfach keinen Fehler gemacht haben. Das Amtsgericht München hätte nach meiner Auffassung, wie auch in einem anderen Fall das Landgricht Stuttgart die Klage schlichtweg abweisen müssen, weil eine Verantwortlichkeit nicht feststand“, so der Anwalt.

In dem Verfahren vor dem Landgericht Stuttgart (Aktenzeichen 17 O 39/11) wurde eine Klage der die Rechteinhaber Warner, Sony, Universal und EMI vertretenden Kanzlei Rasch gegen eine Familie abgewiesen. Laut dem Rechtsbeistand der Familie, der Ludwigsburger Kanzlei Riegger, hatte die proMedia GmbH ermittelt, dass über einen zunächst unbekannten Internetanschluss angeblich insgesamt 253 Musikdateien durch ein Filesharingprogramm im Internet zum Download bereitgestellt wurden.

Nach einem Strafantrag ergaben die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und die Nachfrage beim zuständigen Provider, dass die angeblich ermittelte IP-Adresse zum Tatzeitpunkt dem Internetanschluss des Klienten der Kanzlei zugewiesen gewesen sein soll. Zudem stellten die Kläger in vier weiteren Fällen Strafanträge, denen zufolge zwischen von August 2006 und Februar 2007 ähnlich viele Musikdateien über einen Internetanschluss in Peer-to-Peer-Netzwerken zum Tausch angeboten worden sein sollen. Auch in diesen Fällen führten die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nach der Providerauskunft zum Anschluss der Familie.

Im Juli 2007 kam ein Mitarbeiter der Kriminalpolizei in deren Wohnung. Dabei stellte sich heraus, dass das Ehepaar zusammen mit den beiden 15 und 18 Jahre alten Kindern einen gemeinsamen Computer nutzt. Die Familie gestattete dem Beamten, diesen zu untersuchen. Bei der Durchsuchung konnten weder das Filesharing-Programm noch die verdächtigen Audio-Dateien gefunden werden. Die Beklagten beteuerten stets, mit der Nutzung solcher Musiktauschbörsen nichts zu tun zu haben. Auch die beiden Kinder gaben an, solche Tauschbörsen nicht genutzt zu haben. Der Anschluss wurde mit einem WLAN betrieben. Dieses hatte der Sohn der Familie nach den üblichen Verschlüsselungsstandards gesichert und mit einem individuellen Passwort versehen. Aufgrund dieser Erkenntnisse und Beweislage hat das Landgericht Stuttgart am 28. Juni 2011 die Klage abgewiesen. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.

Update 13 Uhr 50:

Inzwischen liegt ZDNet auch eine Stellungnahme von Rechtsanwalt Martin Bahr vor. Er sieht das Münchener Urteil (PDF) etwas differenzierter: „Das Urteil ist inhaltlich nicht wirklich überzeugend, es ist aber auch kein Skandalurteil.“ Es sei inzwischen in der Rechtsprechung so, dass es eben nicht ausreiche, Filesharing-Vorwürfe pauschal zu bestreiten. Wenn man in der Interpretation des Urteils davon ausgehe, dass der Sachverhalt klar sei, erscheine es natürlich unverständlich. Bei einem Blick in das Urteil werde aber deutlich, dass eben nicht alles klar ist.

Das größte Problem sind für Bahr Unklarheiten bei einer im Verfahren erwähnten „Box“. So eine Box habe die von der Verteidigung als Zeugin angeführte Schwester der Beklagten in der Wohnung gesehen. Im Verfahren sei nicht geklärt worden, um was es sich dabei genau gehandelt habe. Außerdem habe das Münchner Amtsgericht sogar einen Sachverständigen zur Zuverlässigkeit der zur Ermittlung der IP-Adresse verwendeten Software gehört. „Für ein Amtsgerichtsverfahren ist das sogar schon überdurchschnittlich“, sagt Bahr aus Erfahrung. Schließlich habe sich das Gericht sich durchaus mit den technischen Gegebenheiten beschäftigt, etwa mit dem Hash-Wert der Datei und dessen Zuverlässigkeit – auch das sei für ein Amtsgerichtsverfahren nicht Standard.

Letztendlich wurde laut Bahr im Verfahren eben nicht endgültig geklärt, ob die Rentnerin keinen Computer und keinen Internetanschluss hatte. Nicht zuletzt weist das Amtsgericht darauf hin, dass einiges verspätet vorgetragen wurde. „In einem Verfahren vor einem Amtsgericht ist das so, dass Dinge, die nicht rechtzeitig vorgebracht werden, nicht mehr berücksichtigt werden.“

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ZDNet.de Redaktion

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