Kurz vor Weihnachten, als ich ein paar alte Dinge auf Ebay verramscht habe, um Platz für die erhofften neuen zu schaffen, wurde mir wieder einmal deutlich, welchen Ehrgeiz Webnutzer entwickeln können, wenn es um ihren Status geht: Einer der Käufer, der seine Ware zwei Tage vor den Feiertagen erhalten haben muss, wies am 30. Dezember nachdrücklich darauf hin, dass ich ihn immer noch nicht bewertet hatte. Dabei hatte ich ehrlich gesagt weitaus besseres zu tun – zum Beispiel mit der Familie den Skiurlaub in Südtirol zu genießen.
Aber – weitaus schlauere Köpfe haben das schon längst erkannt – zuerst mit dem Web, endgültig aber mit dem Siegeszug der Sozialen Netzwerke, hat auch „Gamefication“ in unser Leben Einzug gehalten. In meinem Fall heißt das: Der Käufer kann es kaum erwarten, den gerechten Lohn für seinen Kauf zu erhalten – die positive Bewertung – und damit einen weiteren Schritt zu dem für ihn offenbar ungeheuer wichtigen türkisen, gelben oder roten Sternchen neben seinem Ebay-Nutzernamen zu machen.
Wobei diese Bewertung durch Käufer seit der Anpassung der Ebay-Bewertungsmöglichkeiten quasi obsolet geworden ist – kann der Verkäufer im Normalfall doch gar nicht anders, als eine positive Bewertung abzugeben. Und welcher Verkäufer hat schon einmal den Verkauf verweigert, nur weil der Kaufinteressent lediglich 17 oder 18 Bewertungen hatte? Das erhöht die Absurdität noch. Nichtsdestotrotz ist dem Käufer das positive Feedback offenbar wichtig. Und um alle Leser zu beruhigen, die mit ihm mitgefiebert haben: Er hat es von mir inzischen auch bekommen.
Verständlicher ist es um umgekehrten Fall: Für Verkäufer, insbesondere gewerbliche, ist neben dem Preis, den sie bieten können, eine möglichst große Zahl positiver Bewertungen zunehmend wichtig. Selbst vereinzelte Ausreißer – vielleicht weil ein paar Tage lang etwas mit dem Versand nicht klappt, können fatale Folgen haben. Nutzer machen sich darüber oft nicht viele Gedanken: Aber schon der Klick auf vier statt fünf Sternchen kann dem unbedacht so bewerteten Händler, mit dem man im Grunde eigentlich zufrieden ist, erhebliche Nachteile bescheren. Aber das sind eben die Tücken des Geschäfts – sei es bei Ebay oder im Amazon Marketplace oder wo anders.
Zum Glück gibt es ja im Web 2.0 (oder sind wir schon bei 3.0?) dank Facebook, Qype, Ciao, Twitter und anderen Angeboten zahllose weitere Möglichkeiten, sich Ansehen, Ruhm und Ehre zu verschaffen. Die Kehrseite der Medaille: Auch das sind unsichere Gewässer. Denn wer die deutschen Kunden kennt, der weiß, dass sie im Zweifelsfall zwar wieder bei einem Einkaufen, es ihnen aber schwer fällt, sich öffentlich als „Freund“ des Unternehmens zu bekennen oder aussagekräftige, positive Bewertungen zu verfassen. Normale Kunden zumindest, nicht die Heerschar der sich ständig selbst gegenseitig beweihräuchernden Social-Media-Profilneurotiker. Für Otto Normalverbraucher scheint Zufriedenheit dagegen eine weitaus schlechtere Muse zu sein als Ärger.
Das Oberlandesgericht Hamm: kein Mitmach-Web-Fan
Also braucht es Anreize: Wenn der Konsument sich nicht freiwillig äußert, muss er eben dazu gezwungen werden, dass Glück des Händler zu machen. Gerade Onlinehändler loben deshalb Rabatte aus, wenn sich jemand zu einem positiven Kommentar in einem Bewertungsportal hinreißen oder zum Klick auf den „Gefällt mir“-Button bewegen lässt. Auch der eine oder andere Entwickler von Apps für iOS und Android lockt mit Belohnungen, wenn er vom Kunden fünf Sterne im App Store erhält.
Abgesehen davon, dass dadurch das ganze Bewertungssystem ad absurdum geführt wird, kann es auch rechtlich Folgen haben. Darauf hat jetzt Rechtsanwalt Christian Solmecke von der Kanzlei Wilde Beuger Solmecke unter Verweis auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm (Aktenzeichen I-4 U 136/10) aufmerksam gemacht.
Ein Internet-Händler für Druckerzubehör warb in seinem Newsletter mit einem Sonderrabatt. Den sollten Kunden erhalten, wenn sie eine Bewertung auf einem Meinungsportal abgaben. Wörtlich hieß es: „Sie sind von uns begeistert oder wollen einfach Ihre Meinung über uns mit anderen teilen? Wenn Sie innerhalb von 90 Tagen nach Erhalt unserer Waren eine Bewertung auf dem folgenden Meinungsportal abgeben „….“ und uns eine Kopie der Bewertung per Email an „….“ senden, erhalten Sie von uns nachträglich einmalig einen Preisrabatt von 10 Prozent auf den Warenwert Ihrer letzten Bestellung [….]“ Auf dem Bewertungsportal wurde auf das Rabattangebot an die Kunden nicht hingewiesen – aber wer hat das schon erlebt?
Diese Werbung hielt ein Mitbewerb für einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht. Er verschickte deshalb eine Abmahnung, wegen der es zum Prozess kam. Das Oberlandesgericht Hamm gab dem Abmahnenden Recht: Die Werbung mit Rabatten für Kundenbewertungen stellt seiner Ansicht nach eine Irreführung im Sinne von Paragraf 5, Absatz 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb dar. Kunden, die auf dem Portal ihre Meinung zu Qualität der Waren des Onlineshops äußerten, seien bei ihrem Urteil nicht frei und unbeeinflusst gewesen: Werde nicht ausdrücklich darauf hingeweisen, dass es sich um bezahlte Nutzermeinungen handelt, seien bezahlte Empfehlungen wettbewerbswidrig.
Das Urteil kann nach Auffassung von Rechtsanwalt Christian Solmecke unter Umständen erhebliche Folgen haben: „Bei Facebook werben viele Unternehmen mit Belohnungen für ihre ‚Fans‘, etwa Rabatten oder Gutscheinen. Auch ein ‚Like‘ stellt jedoch eine Kundenempfehlung dar, die nicht erkauft werden darf. Auf diese Weise möglichst viele ‚Fans‘ zu gewinnen, kann also rechtlich durchaus riskant sein. Ähnlich sieht es bei iPhone-Apps aus. App-Entwickler versuchen einiges, um die begehrte 5-Sterne-Bewertung für ihre App zu erhalten. Jedoch gilt auch hier, dass keine geldwerten Vorteile für eine Empfehlung versprochen werden dürfen.“
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