Politiker scheren sich einen feuchten Kehricht um Telekommunikationsprojekte

Wenn es darum geht, bei Messeeröffnungen in die Kamera zu lächeln, mit Verständnis simulierendem Gesichtsausdruck Hightech-Produkte und -Produktionsanlagen zu bestaunen oder vor Industrievertretern die Bedeutung moderner Technologien zu betonen sind Politiker jeder Couleur stets gern zur Stelle. Droht aber der Griff in den Geldbeutel, um für die eben noch bestaunte Branche etwas zu tun, ist die Bereitschaft schon deutlich geringer.

Dann werden lieber nicht konkurrenzfähige Katalogversender als möglicherweise doch konkurrenzfähige Chipproduzenten subventioniert, dann werden Funklizenzen lieber meistbietend versteigert, um den schlaffen Staatssäckel aufzufüllen, als wirtschaftsstimulierend ausgeschrieben, dann wird der Löwenanteil von Konjunkturpaketen lieber für das Aufreißen und Zuasphaltieren von eigentlich ganz ordentlichen Autobahnauffahrten als in den Ausbau der Datenautobahn investiert und dann liegt die Verantwortung für die Versorgung der Bevölkerung auf dem flachen Land mit Internetzugängen bei Providern und Telekommunikationskonzernen statt bei Kommunen und Kreisverwaltungen. Dabei würde die Investition in IT-Infrastruktur oft ein Bruchteil dessen kosten, was für monströse Straßen- und andere Bauprojekte ausgegeben wird. Und sie würde sich um ein Vielfaches positiver auf Wirtschaft und Gesellschaft auswirken.


(Screenshot: ZDNet.de bei Connect St. Helena).

Ein besonders augenfälliges, aktuelles Beispiel für diese Mentalität ist das britische Überseegebiet St. Helena. Die im Südatlantik gelegene Insel kennen die meisten – wenn überhaupt – nur als Verbannungsort Napoléons. Auch heute noch fühlen sich viele der rund 4000 Einwohner der Insel wie Verbannte. Die abgelegene Lage der Insel – rund 2000 Kilometer von Südafrika und 3000 Kilometer von Brasilien entfernt, die fehlenden Flugverbindungen und vor allem die mangelhaften Kommunikationsinfrastruktur sowie die spärlichen Beschäftigungsmöglichkeiten führen dazu, dass ein großer Teil der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter das Weite sucht.

Als Arbeitskräfte mit Englisch als Muttersprache und einer Ausbildung im englischen Schulsystem finden sie leicht irgendwo auf der Welt eine Stelle. Allerdings quält sie dort oft das Heimweh – und viele kehren früher oder später zurück in die wundersame Inselwelt. Dort sind etwa 40 Prozent der arbeitenden Bevölkerung im Staatsdienst und der von der Queen entsandte Gouverneur regiert das Überseeterritorium, zu dem auch die noch entlegeneren und spärlicher besiedelten Inseln Tristan da Cunha und Ascencion gehören, weitgehend nach Gutdünken. Der Begriff Infrastruktur setzt sich für ihn aus den Worten Asphalt und Beton zusammen. Telekommunikation gehört nicht dazu: Die gut 4000 Einwohner teilen sich zu horrenden Preisen (mindestens 24 Euro pro Monat für 128/64 KBit/s mit maximalem Datenvolumen von 300 MByte) eine unzuverlässige 10-MBit-Satellitenverbindung und kennen Mobilfunk nur vom Hörensagen.

Connect St. Helena

Der Tübinger IT-Consultant Christian von der Ropp hat schon lange eine Schwäche für die Insel – ohne jemals dort gewesen zu sein. Freunde oder Leute, die ihn auf sein seltsames Hobby ansprechen, verweist er gerne auf die Aufzeichnung einer vor rund zwei Jahren bei Arte gelaufenen 45-minütigen Dokumentation über die Insel. Hat man sie gesehen, versteht man etwas besser, wie sich jemand dafür begeistern kann. Sein Interesse erschöpft sich aber nicht in stiller Bewunderung, durch den Kontakt mit Inselbewohnern und von der Insel stammenden Menschen hat der Tübinger auch ein Gespür für die Probleme der Insel entwickelt. Dessen Ergebnis ist eine jetzt zusammen mit dem auf St. Helena tätigen Lehrer James Greenwood gestartete E-Petition.


Christian von der Ropp, IT-Consultant und St.Helena-Fan (Bild: Privat).

Deren Ziel wird auf der Website Connect St. Helena ausführlich erklärt: Die britische Regierung soll sich darum bemühen und Geld dafür bereitstellen, dass das in Vorbereitung befindliche South Atlantic Express Cable, das den Süden Afrikas mit Brasilien verbinden wird, anders als geplant verlegt und so nicht hunderte von Seemeilen nördlich an der Insel vorbeigeführt wird, sondern diese direkt anbindet. Dadurch sollen die digitale Kluft geschlossen, die Abwanderung gestoppt, der Ausbau der Wirtschaft ermöglicht sowie die Möglichkeiten für Bildung und Gesundheitsversorgung verbessert und ein wesentlicher Schritt zur wirtschaftlichen Autonomie der derzeit am Tropf des Mutterlandes hängenden Insel gemacht werden.

Im Sommer vergangenen Jahres hat die Inselregierung laut von der Ropp beim derzeit exklusiven Telekommunikationsanbieter Cable & Wireless Erkundigungen eingeholt, ob die Anlandung eines Glasfaserkabels möglich sei. Die Antwort: Das koste mindestens 50 Millionen Dollar. Dafür erhalte die Insel dann ein sogenanntes IRU (indefeasible rights of use), das ihr über die gesamte Lebenszeit des Kabels (durchschnittlich circa 20 Jahre) die Nutzung einer vollen Wellenlänge mit 40 GBit/s ermögliche. Dies wäre von der Ropp zufolge völlig überdimensioniert. Im Übrigen ließe sich statt ein IRU zu erwerben die Kapazität auch problemlos anmieten.

Cable & Wireless hat als Monopolist hat aber kaum Interesse daran, die Lage zu ändern – zumindest nicht zu einem geringen Preis. Wer würde noch internationale Telefongespräche zu einem Tarif von einem britischen Pfund pro Minute führen, wenn er mit Flatrate kostenlos Videotelefonate über Skype mit den Familienangehören führen kann? Dennoch gaben sich die Behörden mit dieser Auskunft zufrieden. Und auch aus der Bevölkerung war wenig Widerstand zu hören: Da fast jede Familie in irgendeiner Form von einem Arbeitsplatz im Staatsdienst abhängig ist, will man sich lieber nicht zu weit aus dem Fenster lehnen und dabei unangenehm auffallen.

Flughafen oder Glasfaserkabel?

Außerdem setzen viele ihre Hoffnungen auf ein anderes, großes Projekt: St. Helena soll für insgesamt 250 Millionen Euro (200 Millionen für den Bau, 50 Millionen für den Betreib in den ersten Jahren) einen Flughafen bekommen. Damit sollen nicht nur die Einheimischen dem Rest der Welt ein Stück näherkommen, sondern auch der Rest der Welt den Einheimischen: Die Pläne der Behörden sprechen von 30.000 Touristen, die man pro Jahr auf das Eiland bringen will. Zugegeben, damit wird St. Helena kein zweites Mallorca, aber das hat man auch nicht im Sinn. Der Entwicklungsplan sieht vor, da die Flüge dennoch vergleichsweise teuer sein werden, dass sich die Tourismusbranche der Insel auf besonders zahlungskräftige Kundschaft spezialisiert.

Allerdings dürften die nicht nur an Küche, Unterkunft und Rahmenprogramm gewisse Ansprüche haben, sondern wie der Telekommunikationsingenieur und Fachbuchautor Martin Sauter in seinem Blog schreibt, auch an die Telekommunikationsinfrastruktur: „Wer wird wirklich dorthin reisen wollen, wenn der Internetzugang im günstigsten Fall mangelhaft ist und sein iPhone nicht mehr mit dem Rest der Welt kommunizieren kann? … Das werden heute nur noch die in Erwägung ziehen, die unter Informationsüberflutung leiden – und mit denen wird man die Flugzeuge schwerlich füllen können.“


Die Lage von St. Helena im Südatlantik sowie die geplante (hellblau) und die vorgeschlagene (dunkelblau) Route des Glasfaserkabels zwischen Afrika und Südamerika (Screenshot: ZDNet.de bei Connect St. Helena).

Auch aus anderer Sicht ist das Konzept nicht wirklich durchdacht: Die Landebahn ist mit einer Länge von 1800 Metern konzipiert. Das reicht für große Flugzeuge nicht. Bei der vorgesehenen Frequenz (ein Flug pro Woche nach Kapstadt und zurück zur Insel) müssten um die 30.000 Besucher auf die Insel zu bekommen aber mit jedem Flug mindestens 500 Passagiere mitfliegen.

Kurzum, die ganze, teure Aktion mit Flughafen und Tourismus ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Und dabei geht letzten Endes auch das Geld deutscher Steuerzahler in einem Fass ohne Boden verloren: Im Zeitraum von 2008 bis 2013 fördert die EU Baumaßnahmen auf St. Helena mit 15,5 Millionen Euro. Zum Vergleich: Die Kosten für die mit der von Greenwood und von der Ropp initiierten Petition verbundenen Änderungen am Weg des Unterseekabels werden auf 5 Millionen Pfund (etwas über 6 Millionen Euro) geschätzt, die jährlichen Folgekosten für einen OC-3-Link mit 155 MBit/s auf maximal 100.000 Pfund.

Greenwood und von der Ropp sehen dagegen den IT-Sektor als machbare Alternative. Die Insel liegt in einer günstigen Zeitzone, um dort zum Beispiel Call-Center einzurichten. Aufgrund des hohen Bildungsstandes der Einwohner könnten die durchaus qualitativen Arbeitsplätze bieten. IT-Dienstleistungen könnten ebenfalls von St. Helena aus erbracht werden. „Auch als Testbed für die immer wichtiger werdenden Remote-Applikationen könnte St. Helena eine Vorreiterrolle einnehmen“, ist sich von der Ropp sicher. Voraussetzung für all das ist natürlich eine vernünftige Infrastruktur.


Humorvolle Aufarbeitung der unbefriedigenden Telekommunikationssituaition auf St. Helena (Screenshot: ZDNet.de bei Connect St-Helena).

Und die Gelegenheit, die zu schaffen, ist mit dem projektierten Unterseekabel von Südafrika nach Brasilien so günstig wie nie zuvor. Allerdings drängt die Zeit, denn das South Atlantic Express Cable muss bis zur Fußballweltmeisterschaft in Brasilien im Sommer 2014 verlegt sein, um die bereits fest einkalkulierten Gebühren für TV-Übertragungen mitzunehmen. Die Petition läuft bis 23. Juli. Bis dahin müssen sich 100.000 britische Staatsbürger oder in Großbritannien lebende Menschen finden, die sie unterzeichnen, damit sie eine Chance hat, in den zuständigen Gremien diskutiert zu werden. Während dieser Artikel geschrieben wurde, haben laut Counter auf der Connect-St.Helena-Website drei Menschen unterzeichnet. Für Greenwood und von der Ropp bleibt dennoch noch viel zu tun.

ZDNet.de Redaktion

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